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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Das Landtagswahlrecht in Sachsen

hültnisse als segensreich erweisen. Dann wird man sich aber auch des Reichs¬
tags, dem es vergönnt gewesen ist, in Verbindung mit den deutschen Re¬
gierungen die Rechtseinheit auf das Gebiet des bürgerlichen Rechts zu er¬
strecken, noch in spätern Zeiten mit Anerkennung und Dankbarkeit erinnern.


Julius Petersen


Das Landtagswahlrecht in wachsen

le zweite sächsische Ständekammer setzt sich aus 37 Abgeordneten
der Städte und 45 Abgeordneten der ländlichen Wahlbezirke zu¬
sammen. Von den 82 Abgeordneten gehören 14 der sozial¬
demokratischen Partei an. Bei den Dritteilserneuerungswcihlen
des letzten Herbstes ist es der Sozialdemokratie trotz eines zum
Teil sehr beträchtlichen Stimmenzuwachses nur gelungen, diesen Besitzstand zu
behaupten.

Die Kammer hat die sozialdemokratischen Abgeordneten von jeher aus den
sogenannten Deputationen ausgeschlossen und daran auch festgehalten, nachdem
es die Sozialdemokratie im Jahre 1891 zuerst auf mehr als zehn Mitglieder
und damit zu einer eignen Kammerfraktion gebracht hatte. Ja um zu ver¬
hüten, daß sich in einer der fünf durch das Los gebildeten Kammerabteilungen
zufällig eine Mehrheit für die Wahl sozialdemokratischer Deputationsmitglieder
zusammenfinde, ist im Jahre 1894 die Geschäftsordnung dahin abgeändert
worden, daß die Wahl der Deputationen den Abteilungen entzogen und auf
das Plenum der Kammer übertragen worden ist. Da um alle Gesetzes¬
vorlagen von Bedeutung sowie der Staatshaushaltsplan fast ausnahmslos
den Deputationen zur Vorberatung überwiesen zu werden pflegen, so ruht in
ihnen der Schwerpunkt der ganzen Abgevrdnetenthätigkeit. Die grundsätzliche
Ausschließung von den Deputationen bedeutet also für eine Kammerfraktivn
fast die Unmöglichkeit, an fruchtbarer, praktischer Arbeit sich zu beteiligen, und
läßt ihr nur noch den Weg, in den Plenarbemtungen ihre Stimme zu erheben.
Daß das die Sozialdemokraten in sehr vernehmlichen und nicht immer wohl¬
gesetzten Worten gethan und gegen den über sie verhängten Bannspruch stets
von neuem wieder aufs heftigste protestirt haben, kann nicht Wunder nehmen.

Augenscheinlich trägt sich die Kammer mit der Besorgnis, die Anzahl der
sozialdemokratischen Abgeordneten werde in nicht zu ferner Zeit so hoch an¬
wachsen, daß es nicht mehr möglich sein werde, dieses Absperrungssystem auf¬
recht zu erhalten. Ja ängstliche Gemüter sehen schon den Tag kommen, wo


Grenzboten I 1896 17
Das Landtagswahlrecht in Sachsen

hültnisse als segensreich erweisen. Dann wird man sich aber auch des Reichs¬
tags, dem es vergönnt gewesen ist, in Verbindung mit den deutschen Re¬
gierungen die Rechtseinheit auf das Gebiet des bürgerlichen Rechts zu er¬
strecken, noch in spätern Zeiten mit Anerkennung und Dankbarkeit erinnern.


Julius Petersen


Das Landtagswahlrecht in wachsen

le zweite sächsische Ständekammer setzt sich aus 37 Abgeordneten
der Städte und 45 Abgeordneten der ländlichen Wahlbezirke zu¬
sammen. Von den 82 Abgeordneten gehören 14 der sozial¬
demokratischen Partei an. Bei den Dritteilserneuerungswcihlen
des letzten Herbstes ist es der Sozialdemokratie trotz eines zum
Teil sehr beträchtlichen Stimmenzuwachses nur gelungen, diesen Besitzstand zu
behaupten.

Die Kammer hat die sozialdemokratischen Abgeordneten von jeher aus den
sogenannten Deputationen ausgeschlossen und daran auch festgehalten, nachdem
es die Sozialdemokratie im Jahre 1891 zuerst auf mehr als zehn Mitglieder
und damit zu einer eignen Kammerfraktion gebracht hatte. Ja um zu ver¬
hüten, daß sich in einer der fünf durch das Los gebildeten Kammerabteilungen
zufällig eine Mehrheit für die Wahl sozialdemokratischer Deputationsmitglieder
zusammenfinde, ist im Jahre 1894 die Geschäftsordnung dahin abgeändert
worden, daß die Wahl der Deputationen den Abteilungen entzogen und auf
das Plenum der Kammer übertragen worden ist. Da um alle Gesetzes¬
vorlagen von Bedeutung sowie der Staatshaushaltsplan fast ausnahmslos
den Deputationen zur Vorberatung überwiesen zu werden pflegen, so ruht in
ihnen der Schwerpunkt der ganzen Abgevrdnetenthätigkeit. Die grundsätzliche
Ausschließung von den Deputationen bedeutet also für eine Kammerfraktivn
fast die Unmöglichkeit, an fruchtbarer, praktischer Arbeit sich zu beteiligen, und
läßt ihr nur noch den Weg, in den Plenarbemtungen ihre Stimme zu erheben.
Daß das die Sozialdemokraten in sehr vernehmlichen und nicht immer wohl¬
gesetzten Worten gethan und gegen den über sie verhängten Bannspruch stets
von neuem wieder aufs heftigste protestirt haben, kann nicht Wunder nehmen.

Augenscheinlich trägt sich die Kammer mit der Besorgnis, die Anzahl der
sozialdemokratischen Abgeordneten werde in nicht zu ferner Zeit so hoch an¬
wachsen, daß es nicht mehr möglich sein werde, dieses Absperrungssystem auf¬
recht zu erhalten. Ja ängstliche Gemüter sehen schon den Tag kommen, wo


Grenzboten I 1896 17
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[0137] Das Landtagswahlrecht in Sachsen hültnisse als segensreich erweisen. Dann wird man sich aber auch des Reichs¬ tags, dem es vergönnt gewesen ist, in Verbindung mit den deutschen Re¬ gierungen die Rechtseinheit auf das Gebiet des bürgerlichen Rechts zu er¬ strecken, noch in spätern Zeiten mit Anerkennung und Dankbarkeit erinnern. Julius Petersen Das Landtagswahlrecht in wachsen le zweite sächsische Ständekammer setzt sich aus 37 Abgeordneten der Städte und 45 Abgeordneten der ländlichen Wahlbezirke zu¬ sammen. Von den 82 Abgeordneten gehören 14 der sozial¬ demokratischen Partei an. Bei den Dritteilserneuerungswcihlen des letzten Herbstes ist es der Sozialdemokratie trotz eines zum Teil sehr beträchtlichen Stimmenzuwachses nur gelungen, diesen Besitzstand zu behaupten. Die Kammer hat die sozialdemokratischen Abgeordneten von jeher aus den sogenannten Deputationen ausgeschlossen und daran auch festgehalten, nachdem es die Sozialdemokratie im Jahre 1891 zuerst auf mehr als zehn Mitglieder und damit zu einer eignen Kammerfraktion gebracht hatte. Ja um zu ver¬ hüten, daß sich in einer der fünf durch das Los gebildeten Kammerabteilungen zufällig eine Mehrheit für die Wahl sozialdemokratischer Deputationsmitglieder zusammenfinde, ist im Jahre 1894 die Geschäftsordnung dahin abgeändert worden, daß die Wahl der Deputationen den Abteilungen entzogen und auf das Plenum der Kammer übertragen worden ist. Da um alle Gesetzes¬ vorlagen von Bedeutung sowie der Staatshaushaltsplan fast ausnahmslos den Deputationen zur Vorberatung überwiesen zu werden pflegen, so ruht in ihnen der Schwerpunkt der ganzen Abgevrdnetenthätigkeit. Die grundsätzliche Ausschließung von den Deputationen bedeutet also für eine Kammerfraktivn fast die Unmöglichkeit, an fruchtbarer, praktischer Arbeit sich zu beteiligen, und läßt ihr nur noch den Weg, in den Plenarbemtungen ihre Stimme zu erheben. Daß das die Sozialdemokraten in sehr vernehmlichen und nicht immer wohl¬ gesetzten Worten gethan und gegen den über sie verhängten Bannspruch stets von neuem wieder aufs heftigste protestirt haben, kann nicht Wunder nehmen. Augenscheinlich trägt sich die Kammer mit der Besorgnis, die Anzahl der sozialdemokratischen Abgeordneten werde in nicht zu ferner Zeit so hoch an¬ wachsen, daß es nicht mehr möglich sein werde, dieses Absperrungssystem auf¬ recht zu erhalten. Ja ängstliche Gemüter sehen schon den Tag kommen, wo Grenzboten I 1896 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/137>, abgerufen am 01.09.2024.