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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage

Eisenbahnbau? Nach euerm Glaubensbekenntnis werden die deutschen Kapitalien
dem Verdienste eurer Arbeit abgezogen. Nun denn, sollen diese Schätze an
ausländische Börsen verloren gehen? Büßen sie nicht ihre illegitime Ge¬
burt besser, wenn sie zurückkehren zum deutschen Arbeiter und ihm zum Wohl¬
ergehen verhelfen in einer neuen, glücklichern Heimat? Darum können und
müssen auch die Arbeiter mit uns verlangen: Kolonialpolitik!

Wozu ist dieser Aufsatz geschrieben? Nicht um die Regierenden zu belehren.
Sie haben bessere Lehrmittel zur Verfügung als Zeitungsartikel und müssen
besser wissen, wann der Augenblick zum Handeln gekommen ist. Aber bei uns
regiert nicht nur der Zar, sondern auch die Masse des Volks mit Ja und
Nein bei den Wahlen. An diese wende ich mich. Aber Deutschland ist doch
ein kleines Land, sagt der Philister, wenn er vor seinem Atlas sitzt, und die
Erde ist sehr groß; welch ein Unsinn ist also Weltpolitik! Darauf ant¬
worte ich: Die Erde ist sehr klein, und überall draußen ist man vor den
Thoren Deutschlands. Seht euch doch einmal das Reichsgebäude von außen
an! Es sieht ganz stattlich aus, und ihr werdet hören, wie mau sich wundert,
daß eine so große Stadt so wenig Land haben kann, und daß sich ein Volk
über seine große Macht und seine großen Bedürfnisse so schüchtern täuschen
kann wie das deutsche.




Der (Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch
vor dem Reichstage*)

is das deutsche Reich gegründet wurde, hielten es die meisten
deutschen Regierungen nicht für geboten, daß die Reichsgesetz¬
gebung auch auf das ganze Gebiet des bürgerlichen Rechts er¬
streckt würde. Auch weigerten sie sich längere Zeit, den im
Reichstag angenommnen Anträgen zu entsprechen, wonach auch
in dieser Richtung einheitliches Recht geschaffen werden sollte. Nur für das
Recht der Schuldverhältnisse sollte die Zuständigkeit des Reichs anerkannt, im
übrigen der Landesgesetzgebung freier Spielraum gelassen werden. Der Reichs¬
tag ist aber in seinem Bestreben nicht ermüdet und hat dadurch schließlich die
Verfassungsänderung errungen, die erst die Herbeiführung der Rechtseinheit
auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts ermöglicht. Nun liegt nach langer
und mühevoller Arbeit, an der außer den beiden mit der Aufstellung des



Vergl. hierzu die Abteilung "Maßgebliches" in diesem Heft.
Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage

Eisenbahnbau? Nach euerm Glaubensbekenntnis werden die deutschen Kapitalien
dem Verdienste eurer Arbeit abgezogen. Nun denn, sollen diese Schätze an
ausländische Börsen verloren gehen? Büßen sie nicht ihre illegitime Ge¬
burt besser, wenn sie zurückkehren zum deutschen Arbeiter und ihm zum Wohl¬
ergehen verhelfen in einer neuen, glücklichern Heimat? Darum können und
müssen auch die Arbeiter mit uns verlangen: Kolonialpolitik!

Wozu ist dieser Aufsatz geschrieben? Nicht um die Regierenden zu belehren.
Sie haben bessere Lehrmittel zur Verfügung als Zeitungsartikel und müssen
besser wissen, wann der Augenblick zum Handeln gekommen ist. Aber bei uns
regiert nicht nur der Zar, sondern auch die Masse des Volks mit Ja und
Nein bei den Wahlen. An diese wende ich mich. Aber Deutschland ist doch
ein kleines Land, sagt der Philister, wenn er vor seinem Atlas sitzt, und die
Erde ist sehr groß; welch ein Unsinn ist also Weltpolitik! Darauf ant¬
worte ich: Die Erde ist sehr klein, und überall draußen ist man vor den
Thoren Deutschlands. Seht euch doch einmal das Reichsgebäude von außen
an! Es sieht ganz stattlich aus, und ihr werdet hören, wie mau sich wundert,
daß eine so große Stadt so wenig Land haben kann, und daß sich ein Volk
über seine große Macht und seine großen Bedürfnisse so schüchtern täuschen
kann wie das deutsche.




Der (Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch
vor dem Reichstage*)

is das deutsche Reich gegründet wurde, hielten es die meisten
deutschen Regierungen nicht für geboten, daß die Reichsgesetz¬
gebung auch auf das ganze Gebiet des bürgerlichen Rechts er¬
streckt würde. Auch weigerten sie sich längere Zeit, den im
Reichstag angenommnen Anträgen zu entsprechen, wonach auch
in dieser Richtung einheitliches Recht geschaffen werden sollte. Nur für das
Recht der Schuldverhältnisse sollte die Zuständigkeit des Reichs anerkannt, im
übrigen der Landesgesetzgebung freier Spielraum gelassen werden. Der Reichs¬
tag ist aber in seinem Bestreben nicht ermüdet und hat dadurch schließlich die
Verfassungsänderung errungen, die erst die Herbeiführung der Rechtseinheit
auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts ermöglicht. Nun liegt nach langer
und mühevoller Arbeit, an der außer den beiden mit der Aufstellung des



Vergl. hierzu die Abteilung „Maßgebliches" in diesem Heft.
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[0123] Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage Eisenbahnbau? Nach euerm Glaubensbekenntnis werden die deutschen Kapitalien dem Verdienste eurer Arbeit abgezogen. Nun denn, sollen diese Schätze an ausländische Börsen verloren gehen? Büßen sie nicht ihre illegitime Ge¬ burt besser, wenn sie zurückkehren zum deutschen Arbeiter und ihm zum Wohl¬ ergehen verhelfen in einer neuen, glücklichern Heimat? Darum können und müssen auch die Arbeiter mit uns verlangen: Kolonialpolitik! Wozu ist dieser Aufsatz geschrieben? Nicht um die Regierenden zu belehren. Sie haben bessere Lehrmittel zur Verfügung als Zeitungsartikel und müssen besser wissen, wann der Augenblick zum Handeln gekommen ist. Aber bei uns regiert nicht nur der Zar, sondern auch die Masse des Volks mit Ja und Nein bei den Wahlen. An diese wende ich mich. Aber Deutschland ist doch ein kleines Land, sagt der Philister, wenn er vor seinem Atlas sitzt, und die Erde ist sehr groß; welch ein Unsinn ist also Weltpolitik! Darauf ant¬ worte ich: Die Erde ist sehr klein, und überall draußen ist man vor den Thoren Deutschlands. Seht euch doch einmal das Reichsgebäude von außen an! Es sieht ganz stattlich aus, und ihr werdet hören, wie mau sich wundert, daß eine so große Stadt so wenig Land haben kann, und daß sich ein Volk über seine große Macht und seine großen Bedürfnisse so schüchtern täuschen kann wie das deutsche. Der (Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage*) is das deutsche Reich gegründet wurde, hielten es die meisten deutschen Regierungen nicht für geboten, daß die Reichsgesetz¬ gebung auch auf das ganze Gebiet des bürgerlichen Rechts er¬ streckt würde. Auch weigerten sie sich längere Zeit, den im Reichstag angenommnen Anträgen zu entsprechen, wonach auch in dieser Richtung einheitliches Recht geschaffen werden sollte. Nur für das Recht der Schuldverhältnisse sollte die Zuständigkeit des Reichs anerkannt, im übrigen der Landesgesetzgebung freier Spielraum gelassen werden. Der Reichs¬ tag ist aber in seinem Bestreben nicht ermüdet und hat dadurch schließlich die Verfassungsänderung errungen, die erst die Herbeiführung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts ermöglicht. Nun liegt nach langer und mühevoller Arbeit, an der außer den beiden mit der Aufstellung des Vergl. hierzu die Abteilung „Maßgebliches" in diesem Heft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/123>, abgerufen am 01.09.2024.