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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Weltpolitik!

Roh verlangt ihr "General" vom Schulzen Lebensmittel, Kleidungsstücke und
Quartier zunächst für eine Woche. Der Schulze macht ihn darauf aufmerksam,
daß morgen mit dem frühsten die Feuerwehren so und so vieler deutschen
Dörfer hier sein würden, ausgediente deutsche Soldaten, gut beritten und gut
bewaffnet. Er thäte darum gut, seinen Truppen strengste Mannszucht zu
empfehle". Außerdem würde der Ort nur so und so viel Lebensmittel liefern
und wünsche die Regierungstruppen nicht länger als eine Nacht in seinen
Fluren zu sehen. Dies mit dem nötigen Nachdruck vorgetragen, wirkt. Am
andern Morgen zogen die Soldaten ganz betrübt, aber friedlich von dannen,
ohne die Bekanntschaft mit der deutschen Feuerwehr gesucht zu haben. Die
Geschichte stand vor etwa einem Jahre in den Zeitungen. Für ihre Wahrheit
kann ich nicht einstehen. Aber sie ist eine Illustration zu dem, was ich sagen
möchte: der Bessere wird sich vom Schlechter" nicht auf die Dauer regieren
lassen, und wie leicht vermag Zucht und Ordnung, d. i. Kultur, Herr zu
werden über die Schein- und Halbkultur!

Eine solche Kolonialpolitik in allen Ozeanen ist natürlich nicht ohne
Schiffe möglich. Wer in dem sogenannten Völkerkonzert gehört werden will,
muß zuweilen mit dem Säbel rasseln können. Die deutsche Flagge über dem
Hause des Konsuls hat wenig Achtung, wenn sie nicht auch im Hafen über
einigen schwimmenden Kanonen weht. Haben wir denn aber Schiffe? Ich
will noch eine dritte Geschichte erzählen. Es war in den ersten Wochen des
japanisch-chinesischen Krieges, als ich nach Singapore kam. Es war von
Europa gerade die Nachricht gekommen, daß einige französische und einige
russische Panzer, im ganzen gegen zwölf, auf dem Wege nach Ostasien wären.
"Sie müssen Singapore Passiren, schrieb die Singapore Zeitung. Was wäre ihnen
leichter, als mit einem Handstreich diesen Platz zu nehmen! Er ist nur schwach
befestigt, noch mehr fehlt es an Soldaten zur Deckung. Wir wissen es, die
Fremden haben geheime Instruktionen. Deshalb fordern wir alle Männer
und Jünglinge dieser Kolonie auf, freiwillige Bataillone zu bilden." Mündlich
erfuhr man dann, daß dabei auch auf die ansehnliche deutsche Kolonie in
Singapore gerechnet wurde, ihrer militärischen Schulung wegen. Aus dem
Handstreich wurde nun freilich nichts. Ganz Unrecht hatte aber die Zeitung
uicht. Wozu hätten auch die Franzosen ihre Riesenflotte, wenn sie niemals
Gebrauch davon machen wollten? Aber andrerseits, was wollen die Franzosen
mit Singapore? Haben sie Kapital draußen? Ja. ein wenig in Tonking usw.,
aber wenn es sehr hoch kommt, doch nur den zehnten Teil des englischen,
wahrscheinlich sehr viel weniger. Die Engländer müßten es ihnen also mit
allen Kosten wieder abnehmen. Denn Singapore beherrscht die Handelsstraße.
Was aber sehr naiv von diesen Engländern war, das war der Appell an die
Deutschen. Denn wenn jemand dem englischen Welthandel gefährlich ist, so
sind es die Deutschen. Die Russen können freilich den Engländern den Ein-


Grenzboten I 1896 Is
Weltpolitik!

Roh verlangt ihr „General" vom Schulzen Lebensmittel, Kleidungsstücke und
Quartier zunächst für eine Woche. Der Schulze macht ihn darauf aufmerksam,
daß morgen mit dem frühsten die Feuerwehren so und so vieler deutschen
Dörfer hier sein würden, ausgediente deutsche Soldaten, gut beritten und gut
bewaffnet. Er thäte darum gut, seinen Truppen strengste Mannszucht zu
empfehle«. Außerdem würde der Ort nur so und so viel Lebensmittel liefern
und wünsche die Regierungstruppen nicht länger als eine Nacht in seinen
Fluren zu sehen. Dies mit dem nötigen Nachdruck vorgetragen, wirkt. Am
andern Morgen zogen die Soldaten ganz betrübt, aber friedlich von dannen,
ohne die Bekanntschaft mit der deutschen Feuerwehr gesucht zu haben. Die
Geschichte stand vor etwa einem Jahre in den Zeitungen. Für ihre Wahrheit
kann ich nicht einstehen. Aber sie ist eine Illustration zu dem, was ich sagen
möchte: der Bessere wird sich vom Schlechter» nicht auf die Dauer regieren
lassen, und wie leicht vermag Zucht und Ordnung, d. i. Kultur, Herr zu
werden über die Schein- und Halbkultur!

Eine solche Kolonialpolitik in allen Ozeanen ist natürlich nicht ohne
Schiffe möglich. Wer in dem sogenannten Völkerkonzert gehört werden will,
muß zuweilen mit dem Säbel rasseln können. Die deutsche Flagge über dem
Hause des Konsuls hat wenig Achtung, wenn sie nicht auch im Hafen über
einigen schwimmenden Kanonen weht. Haben wir denn aber Schiffe? Ich
will noch eine dritte Geschichte erzählen. Es war in den ersten Wochen des
japanisch-chinesischen Krieges, als ich nach Singapore kam. Es war von
Europa gerade die Nachricht gekommen, daß einige französische und einige
russische Panzer, im ganzen gegen zwölf, auf dem Wege nach Ostasien wären.
„Sie müssen Singapore Passiren, schrieb die Singapore Zeitung. Was wäre ihnen
leichter, als mit einem Handstreich diesen Platz zu nehmen! Er ist nur schwach
befestigt, noch mehr fehlt es an Soldaten zur Deckung. Wir wissen es, die
Fremden haben geheime Instruktionen. Deshalb fordern wir alle Männer
und Jünglinge dieser Kolonie auf, freiwillige Bataillone zu bilden." Mündlich
erfuhr man dann, daß dabei auch auf die ansehnliche deutsche Kolonie in
Singapore gerechnet wurde, ihrer militärischen Schulung wegen. Aus dem
Handstreich wurde nun freilich nichts. Ganz Unrecht hatte aber die Zeitung
uicht. Wozu hätten auch die Franzosen ihre Riesenflotte, wenn sie niemals
Gebrauch davon machen wollten? Aber andrerseits, was wollen die Franzosen
mit Singapore? Haben sie Kapital draußen? Ja. ein wenig in Tonking usw.,
aber wenn es sehr hoch kommt, doch nur den zehnten Teil des englischen,
wahrscheinlich sehr viel weniger. Die Engländer müßten es ihnen also mit
allen Kosten wieder abnehmen. Denn Singapore beherrscht die Handelsstraße.
Was aber sehr naiv von diesen Engländern war, das war der Appell an die
Deutschen. Denn wenn jemand dem englischen Welthandel gefährlich ist, so
sind es die Deutschen. Die Russen können freilich den Engländern den Ein-


Grenzboten I 1896 Is
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[0121] Weltpolitik! Roh verlangt ihr „General" vom Schulzen Lebensmittel, Kleidungsstücke und Quartier zunächst für eine Woche. Der Schulze macht ihn darauf aufmerksam, daß morgen mit dem frühsten die Feuerwehren so und so vieler deutschen Dörfer hier sein würden, ausgediente deutsche Soldaten, gut beritten und gut bewaffnet. Er thäte darum gut, seinen Truppen strengste Mannszucht zu empfehle«. Außerdem würde der Ort nur so und so viel Lebensmittel liefern und wünsche die Regierungstruppen nicht länger als eine Nacht in seinen Fluren zu sehen. Dies mit dem nötigen Nachdruck vorgetragen, wirkt. Am andern Morgen zogen die Soldaten ganz betrübt, aber friedlich von dannen, ohne die Bekanntschaft mit der deutschen Feuerwehr gesucht zu haben. Die Geschichte stand vor etwa einem Jahre in den Zeitungen. Für ihre Wahrheit kann ich nicht einstehen. Aber sie ist eine Illustration zu dem, was ich sagen möchte: der Bessere wird sich vom Schlechter» nicht auf die Dauer regieren lassen, und wie leicht vermag Zucht und Ordnung, d. i. Kultur, Herr zu werden über die Schein- und Halbkultur! Eine solche Kolonialpolitik in allen Ozeanen ist natürlich nicht ohne Schiffe möglich. Wer in dem sogenannten Völkerkonzert gehört werden will, muß zuweilen mit dem Säbel rasseln können. Die deutsche Flagge über dem Hause des Konsuls hat wenig Achtung, wenn sie nicht auch im Hafen über einigen schwimmenden Kanonen weht. Haben wir denn aber Schiffe? Ich will noch eine dritte Geschichte erzählen. Es war in den ersten Wochen des japanisch-chinesischen Krieges, als ich nach Singapore kam. Es war von Europa gerade die Nachricht gekommen, daß einige französische und einige russische Panzer, im ganzen gegen zwölf, auf dem Wege nach Ostasien wären. „Sie müssen Singapore Passiren, schrieb die Singapore Zeitung. Was wäre ihnen leichter, als mit einem Handstreich diesen Platz zu nehmen! Er ist nur schwach befestigt, noch mehr fehlt es an Soldaten zur Deckung. Wir wissen es, die Fremden haben geheime Instruktionen. Deshalb fordern wir alle Männer und Jünglinge dieser Kolonie auf, freiwillige Bataillone zu bilden." Mündlich erfuhr man dann, daß dabei auch auf die ansehnliche deutsche Kolonie in Singapore gerechnet wurde, ihrer militärischen Schulung wegen. Aus dem Handstreich wurde nun freilich nichts. Ganz Unrecht hatte aber die Zeitung uicht. Wozu hätten auch die Franzosen ihre Riesenflotte, wenn sie niemals Gebrauch davon machen wollten? Aber andrerseits, was wollen die Franzosen mit Singapore? Haben sie Kapital draußen? Ja. ein wenig in Tonking usw., aber wenn es sehr hoch kommt, doch nur den zehnten Teil des englischen, wahrscheinlich sehr viel weniger. Die Engländer müßten es ihnen also mit allen Kosten wieder abnehmen. Denn Singapore beherrscht die Handelsstraße. Was aber sehr naiv von diesen Engländern war, das war der Appell an die Deutschen. Denn wenn jemand dem englischen Welthandel gefährlich ist, so sind es die Deutschen. Die Russen können freilich den Engländern den Ein- Grenzboten I 1896 Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/121>, abgerufen am 25.11.2024.