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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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weltpolitik!

Der Kapitalist im Inlande, die Landratte, kauft Portugiesen und Argen¬
tinier, natürlich keine ostafrikanische Anleihe, etwa für einen Eisenbahnbau.
Aber wie, man sollte den deutschen Kleinkapitalisten ermutigen, so unsichere
Papiere zu kaufen? was kann aus deutschen Kolonien gutes kommen? fragt
der Fortschrittsmann. Ich dagegen frage: was könnte denn mit den deutschen
Kolonien geschehen, als höchstens, daß wirklich einmal ein Reichskanzler auf den
Gedanken käme, sie zu verschenken? Es giebt ja auch noch koloniale Privat¬
unternehmungen. Da ist z. B. die cmatolische Eisenbahn, von deutschen In¬
genieuren und deutschen Handwerkern erbaut und unter deutscher Verwaltung.
Die müßte doch gewaltige Gegenliebe finden? Nein, auch die nicht. Denn
wenn auch der besitzende Philister im allgemeinen wenig Vertrauen zu der
Weisheit der deutschen Regierungen hat, so hat er umsomehr Vertrauen zu
der Ehrlichkeit der ausländischen Regierungen und kauft daher mit Vorliebe
brasilische oder argentinische Papiere, zumal wenn im Titel das Wörtchen
"staatlich" vorkommt. Nach zehn Jahren liegt dann die Sache so. In Klein¬
asien ist eine Eisenbahn entstanden, die über kurz oder lang ihre Rente ab¬
werfen muß, außerdem aber durch Erschließung des Landes Arbeitsgelegenheit
für neues Kapital geschaffen hat. In Argentinien ist der Eisenbahnbau über¬
haupt nicht angefangen worden. Die Zinsen sind bisher vom Kapital gezahlt
worden, und die ausländischen Gauner haben sich einige Jahre hohe Gehalte
genommen. Ist aber wirklich ein Unternehmen geschaffen, so fällt es samt
seinen republikanischen Herren bei der nächsten Revolution doch wieder über
den Haufen. In Kleinasten mag geschehen, was will; Unternehmungen unter
europäischer Leitung wird man kein Härchen krümmen. Im Gegenteil, um
ihretwillen überwachen ja die Kabinette den kranken Mann in Konstantinopel
und Kairo wie einen Schuljungen. Kolonien von Mammons wegen sind wohl
noch unantastbarer, als Kolonien von Staats wegen.

Aber wenn auch die Millionen in Türkenlosen, Portugiesen, Griechen
und Argentiniern nicht verloren wären, sondern reichlich Gewinn gebracht
hätten, so wäre dabei doch für die Zukunft des deutschen Volkes wenig ge¬
wonnen, viel Wertvolleres aber wäre verloren gegangen, nämlich Millionen
deutscher Auswandrer, deutscher Arbeiter, die das Vaterland haben verlassen
müssen. Das Kapital, das ins Ausland geht, verliert seinen deutschen Namen,
es wird portugiesisch oder argentinisch. Portugiesische Unternehmer, por¬
tugiesische Arbeiter schaffen mit diesen Mitteln. Die Arbeiter, die ins Aus¬
land gehen, sind aber ebenfalls verloren. Sie legen nicht nur ihre Reichs¬
angehörigkeit ab, sondern auch die deutsche Sprache und schließlich auch die
Erinnerung daran, daß sie einst Deutsche waren. Nur wenn sich beide finden:
deutsches Kapital und deutsche Auswandrer, Arbeiter und Arbeitsmittel, nur
dann entsteht eine deutsche Kolonie. Und nicht nur manchmal und hie und
da, sondern überall, wo das stattfindet, entsteht eine deutsche Kolonie. Wächst


weltpolitik!

Der Kapitalist im Inlande, die Landratte, kauft Portugiesen und Argen¬
tinier, natürlich keine ostafrikanische Anleihe, etwa für einen Eisenbahnbau.
Aber wie, man sollte den deutschen Kleinkapitalisten ermutigen, so unsichere
Papiere zu kaufen? was kann aus deutschen Kolonien gutes kommen? fragt
der Fortschrittsmann. Ich dagegen frage: was könnte denn mit den deutschen
Kolonien geschehen, als höchstens, daß wirklich einmal ein Reichskanzler auf den
Gedanken käme, sie zu verschenken? Es giebt ja auch noch koloniale Privat¬
unternehmungen. Da ist z. B. die cmatolische Eisenbahn, von deutschen In¬
genieuren und deutschen Handwerkern erbaut und unter deutscher Verwaltung.
Die müßte doch gewaltige Gegenliebe finden? Nein, auch die nicht. Denn
wenn auch der besitzende Philister im allgemeinen wenig Vertrauen zu der
Weisheit der deutschen Regierungen hat, so hat er umsomehr Vertrauen zu
der Ehrlichkeit der ausländischen Regierungen und kauft daher mit Vorliebe
brasilische oder argentinische Papiere, zumal wenn im Titel das Wörtchen
„staatlich" vorkommt. Nach zehn Jahren liegt dann die Sache so. In Klein¬
asien ist eine Eisenbahn entstanden, die über kurz oder lang ihre Rente ab¬
werfen muß, außerdem aber durch Erschließung des Landes Arbeitsgelegenheit
für neues Kapital geschaffen hat. In Argentinien ist der Eisenbahnbau über¬
haupt nicht angefangen worden. Die Zinsen sind bisher vom Kapital gezahlt
worden, und die ausländischen Gauner haben sich einige Jahre hohe Gehalte
genommen. Ist aber wirklich ein Unternehmen geschaffen, so fällt es samt
seinen republikanischen Herren bei der nächsten Revolution doch wieder über
den Haufen. In Kleinasten mag geschehen, was will; Unternehmungen unter
europäischer Leitung wird man kein Härchen krümmen. Im Gegenteil, um
ihretwillen überwachen ja die Kabinette den kranken Mann in Konstantinopel
und Kairo wie einen Schuljungen. Kolonien von Mammons wegen sind wohl
noch unantastbarer, als Kolonien von Staats wegen.

Aber wenn auch die Millionen in Türkenlosen, Portugiesen, Griechen
und Argentiniern nicht verloren wären, sondern reichlich Gewinn gebracht
hätten, so wäre dabei doch für die Zukunft des deutschen Volkes wenig ge¬
wonnen, viel Wertvolleres aber wäre verloren gegangen, nämlich Millionen
deutscher Auswandrer, deutscher Arbeiter, die das Vaterland haben verlassen
müssen. Das Kapital, das ins Ausland geht, verliert seinen deutschen Namen,
es wird portugiesisch oder argentinisch. Portugiesische Unternehmer, por¬
tugiesische Arbeiter schaffen mit diesen Mitteln. Die Arbeiter, die ins Aus¬
land gehen, sind aber ebenfalls verloren. Sie legen nicht nur ihre Reichs¬
angehörigkeit ab, sondern auch die deutsche Sprache und schließlich auch die
Erinnerung daran, daß sie einst Deutsche waren. Nur wenn sich beide finden:
deutsches Kapital und deutsche Auswandrer, Arbeiter und Arbeitsmittel, nur
dann entsteht eine deutsche Kolonie. Und nicht nur manchmal und hie und
da, sondern überall, wo das stattfindet, entsteht eine deutsche Kolonie. Wächst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/118>, abgerufen am 25.11.2024.