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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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stand und ehernem Willen faßte das Ziel ins Auge, seinen Staat aus seiner ge¬
drückten Lage emporzureißen und, gleichviel in welcher Form, an die Spitze
der Nation zu stellen; ein genialer Staatsmann leitete mit sicherer Entschlossen¬
heit und mit alles umfassenden Blick seine Politik; ein großer Organisator
schuf ihr die schneidige Waffe, das Heer; ein Strateg ohne gleichen zeichnete
diesem die Bahnen des Sieges vor. Und als die Zeit der Erfüllung kam,
das große Jahr 1870, welch eine dichte Schar von Heldengestalten, vom Fürsten¬
söhne bis zum schlichten Bauer im Waffenrock, drängte sich um König Wil¬
helm und seine Paladine! Fürwahr, Männer haben die deutsche Geschichte der
neuesten Zeit gemacht, und da, wo die rechten Männer fehlten, da war sie
trotz alles Sehnens und aller Begeisterung schlecht gemacht worden. Und so
ist es immer gewesen und wird es immer sein, nur daß man diese Männer
bald deutlicher, bald undeutlicher erkennen kann. Nicht die namenlose Masse
nordgermanischer Stämme hat die Römerherrschaft in Deutschland vernichtet,
sondern Armin, nicht die Verstimmung und Erbitterung vieler Tausende hat
die päpstliche Herrschaft über die Gemüter der Deutschen zerbrochen, sondern
Luther. Vor dem Großen Kurfürsten war Brandenburg ein machtloser Mittel¬
staat zweiten Ranges, durch ihn wurde es die stärkste deutsche Macht nächst
Österreich, durch Friedrich den Großen eine Großmacht. Mit vollem Rechte
hat sich daher die unvergleichliche Reihe der Erinnerungstage dieses Jahres in
eine Reihe von Dankfesten verwandelt, voll dankbarer Erinnerung an die
Fürsten und Helden, die nicht mehr unter den Lebenden weilen, voll jubelnder
Begeisterung für die Mitstreiter im Rat und auf dem Schlachtfelde, die wir
noch unter uns haben. Und allen voran ist unser Kaiser gegangen im Aus¬
druck dieses Dankes.

Aber Männer danken nicht allein mit Worten, Männer danken mit Thaten
für Thaten der Männer. Es frommt nicht, immer nur zu preisen, was geschehen
ist, und das ungeheure Kapital schwer erworbnen Ruhms immer wieder zu be¬
wundern. Wuchern sollen wir mit diesem Kapital. Das Zeitalter Wilhelms I. hat
dies zerrissene Deutschland zur europäischen Zentralmacht erhoben, die waffen¬
gewaltig den Frieden ein Vierteljahrhundert geschirmt hat, was nach dem Kriege
niemand auch nur zu denken wagte; dem Zeitalter Wilhelms II. ist die Aufgabe
zugefallen, dieses geeinte Deutschland emporzuheben zur Weltmacht. Nicht in
dem Sinne, daß es die Welt beherrschen sollte, wie es dereinst Rom gethan
und die kühnsten unsrer mittelalterlichen Kaiser wenigstens erstrebt haben; das
auch nur zu denken, wäre Wahnsinn. Wohl aber in dem Sinne, daß wir
unsern Anteil fordern an der Herrschaft Europas und seiner Kultur über den
Erdball. Denn noch besteht diese Herrschaft, und sie wird weiter bestehen,
weil in diesem Europa eine ungeheure Kraft aufgespeichert liegt, wie nirgends
sonst. Aber während die Größe der europäischen Kultur gerade in der Mannich-
faltigkeit selbständiger Völker beruht, ist bisher diese Mannichfaltigkeit draußen


Zum ^3. Januar

stand und ehernem Willen faßte das Ziel ins Auge, seinen Staat aus seiner ge¬
drückten Lage emporzureißen und, gleichviel in welcher Form, an die Spitze
der Nation zu stellen; ein genialer Staatsmann leitete mit sicherer Entschlossen¬
heit und mit alles umfassenden Blick seine Politik; ein großer Organisator
schuf ihr die schneidige Waffe, das Heer; ein Strateg ohne gleichen zeichnete
diesem die Bahnen des Sieges vor. Und als die Zeit der Erfüllung kam,
das große Jahr 1870, welch eine dichte Schar von Heldengestalten, vom Fürsten¬
söhne bis zum schlichten Bauer im Waffenrock, drängte sich um König Wil¬
helm und seine Paladine! Fürwahr, Männer haben die deutsche Geschichte der
neuesten Zeit gemacht, und da, wo die rechten Männer fehlten, da war sie
trotz alles Sehnens und aller Begeisterung schlecht gemacht worden. Und so
ist es immer gewesen und wird es immer sein, nur daß man diese Männer
bald deutlicher, bald undeutlicher erkennen kann. Nicht die namenlose Masse
nordgermanischer Stämme hat die Römerherrschaft in Deutschland vernichtet,
sondern Armin, nicht die Verstimmung und Erbitterung vieler Tausende hat
die päpstliche Herrschaft über die Gemüter der Deutschen zerbrochen, sondern
Luther. Vor dem Großen Kurfürsten war Brandenburg ein machtloser Mittel¬
staat zweiten Ranges, durch ihn wurde es die stärkste deutsche Macht nächst
Österreich, durch Friedrich den Großen eine Großmacht. Mit vollem Rechte
hat sich daher die unvergleichliche Reihe der Erinnerungstage dieses Jahres in
eine Reihe von Dankfesten verwandelt, voll dankbarer Erinnerung an die
Fürsten und Helden, die nicht mehr unter den Lebenden weilen, voll jubelnder
Begeisterung für die Mitstreiter im Rat und auf dem Schlachtfelde, die wir
noch unter uns haben. Und allen voran ist unser Kaiser gegangen im Aus¬
druck dieses Dankes.

Aber Männer danken nicht allein mit Worten, Männer danken mit Thaten
für Thaten der Männer. Es frommt nicht, immer nur zu preisen, was geschehen
ist, und das ungeheure Kapital schwer erworbnen Ruhms immer wieder zu be¬
wundern. Wuchern sollen wir mit diesem Kapital. Das Zeitalter Wilhelms I. hat
dies zerrissene Deutschland zur europäischen Zentralmacht erhoben, die waffen¬
gewaltig den Frieden ein Vierteljahrhundert geschirmt hat, was nach dem Kriege
niemand auch nur zu denken wagte; dem Zeitalter Wilhelms II. ist die Aufgabe
zugefallen, dieses geeinte Deutschland emporzuheben zur Weltmacht. Nicht in
dem Sinne, daß es die Welt beherrschen sollte, wie es dereinst Rom gethan
und die kühnsten unsrer mittelalterlichen Kaiser wenigstens erstrebt haben; das
auch nur zu denken, wäre Wahnsinn. Wohl aber in dem Sinne, daß wir
unsern Anteil fordern an der Herrschaft Europas und seiner Kultur über den
Erdball. Denn noch besteht diese Herrschaft, und sie wird weiter bestehen,
weil in diesem Europa eine ungeheure Kraft aufgespeichert liegt, wie nirgends
sonst. Aber während die Größe der europäischen Kultur gerade in der Mannich-
faltigkeit selbständiger Völker beruht, ist bisher diese Mannichfaltigkeit draußen


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[0114] Zum ^3. Januar stand und ehernem Willen faßte das Ziel ins Auge, seinen Staat aus seiner ge¬ drückten Lage emporzureißen und, gleichviel in welcher Form, an die Spitze der Nation zu stellen; ein genialer Staatsmann leitete mit sicherer Entschlossen¬ heit und mit alles umfassenden Blick seine Politik; ein großer Organisator schuf ihr die schneidige Waffe, das Heer; ein Strateg ohne gleichen zeichnete diesem die Bahnen des Sieges vor. Und als die Zeit der Erfüllung kam, das große Jahr 1870, welch eine dichte Schar von Heldengestalten, vom Fürsten¬ söhne bis zum schlichten Bauer im Waffenrock, drängte sich um König Wil¬ helm und seine Paladine! Fürwahr, Männer haben die deutsche Geschichte der neuesten Zeit gemacht, und da, wo die rechten Männer fehlten, da war sie trotz alles Sehnens und aller Begeisterung schlecht gemacht worden. Und so ist es immer gewesen und wird es immer sein, nur daß man diese Männer bald deutlicher, bald undeutlicher erkennen kann. Nicht die namenlose Masse nordgermanischer Stämme hat die Römerherrschaft in Deutschland vernichtet, sondern Armin, nicht die Verstimmung und Erbitterung vieler Tausende hat die päpstliche Herrschaft über die Gemüter der Deutschen zerbrochen, sondern Luther. Vor dem Großen Kurfürsten war Brandenburg ein machtloser Mittel¬ staat zweiten Ranges, durch ihn wurde es die stärkste deutsche Macht nächst Österreich, durch Friedrich den Großen eine Großmacht. Mit vollem Rechte hat sich daher die unvergleichliche Reihe der Erinnerungstage dieses Jahres in eine Reihe von Dankfesten verwandelt, voll dankbarer Erinnerung an die Fürsten und Helden, die nicht mehr unter den Lebenden weilen, voll jubelnder Begeisterung für die Mitstreiter im Rat und auf dem Schlachtfelde, die wir noch unter uns haben. Und allen voran ist unser Kaiser gegangen im Aus¬ druck dieses Dankes. Aber Männer danken nicht allein mit Worten, Männer danken mit Thaten für Thaten der Männer. Es frommt nicht, immer nur zu preisen, was geschehen ist, und das ungeheure Kapital schwer erworbnen Ruhms immer wieder zu be¬ wundern. Wuchern sollen wir mit diesem Kapital. Das Zeitalter Wilhelms I. hat dies zerrissene Deutschland zur europäischen Zentralmacht erhoben, die waffen¬ gewaltig den Frieden ein Vierteljahrhundert geschirmt hat, was nach dem Kriege niemand auch nur zu denken wagte; dem Zeitalter Wilhelms II. ist die Aufgabe zugefallen, dieses geeinte Deutschland emporzuheben zur Weltmacht. Nicht in dem Sinne, daß es die Welt beherrschen sollte, wie es dereinst Rom gethan und die kühnsten unsrer mittelalterlichen Kaiser wenigstens erstrebt haben; das auch nur zu denken, wäre Wahnsinn. Wohl aber in dem Sinne, daß wir unsern Anteil fordern an der Herrschaft Europas und seiner Kultur über den Erdball. Denn noch besteht diese Herrschaft, und sie wird weiter bestehen, weil in diesem Europa eine ungeheure Kraft aufgespeichert liegt, wie nirgends sonst. Aber während die Größe der europäischen Kultur gerade in der Mannich- faltigkeit selbständiger Völker beruht, ist bisher diese Mannichfaltigkeit draußen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/114>, abgerufen am 01.09.2024.