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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

Karrikatur ist deutlich: erst wenn jemand mehr arbeitsloses Einkommen, mehr
Rente hat, als er aus erzeugten Produkten oder aus Leistungen zieht, erst
dann hat er ein Interesse, daß das Gold teuer, das heißt daß die Waren
billig seien, denn auch Leistungen werden nach dem Stande der Warenpreise
bezahlt. Selbst Leute, die ein festes Einkommen haben, Pensionäre, Beamte usw.
bis zu dem ersten Staatsdiener, dem König hinaus, haben -- die der Zeit
nach auf einander folgenden Personen derselben Klassen immer als eine Ge¬
samtheit gefaßt -- das Interesse an billigem Gold, d. h. an hohen Preisen;
hier drückt sich das, was dem einzelnen als ein vorübergehender Borten er¬
scheinen mag, als ein allmähliches Herabsinken der ganzen Klasse in der
sozialen Stellung aus. Gewiß, der Offizier, der dreitausend Mark jährlich
bekommt, sieht nur einen Vorteil darin, wenn er für seine dreitausend Mark
mehr kaufen kann als im Jahr vorher, aber -- die billigen Preise sür Lebens¬
mittel, für Kleider usw. halten die Gehalte lange auf demselben Niveau. In¬
zwischen vervielfältigt sich das Handels-, das Industriekapital und ist dabei
in dem gleichen Maße kaufkräftiger geworden; der Offizier der nächsten Ge¬
neration ist mit demselben Gehalt auf die Lebenshaltung derer angewiesen, die
fünf, sechs Sprossen tiefer auf der sozialen Leiter stehen als die, neben denen
sich die Vorgänger noch halten konnten. Der vermögenslose Hauptmann steht
in der Lebenshaltung auf einer Stufe mit einem Kommis, der General mit
einem kleinen Bankprokuristen, die großen Bankdirektoren können sich eine fürst¬
liche Lebensführung leisten. Was hier gezeigt ist, paßt auf jede geistige Leistung
und körperliche Arbeit, auf jede produktive Thätigkeit, es paßt sogar auf die
höchste Leistung, auf die Völkerführung. Wo ist das Herrschergeschlecht, das
wirtschaftlich vermöchte, was die Rothschilds und die Rockefeller "vermögen"?
Welcher König kann aus seinen Privatmitteln einer Gemeinde seines Bekennt¬
nisses fix und fertig eine ganze Kirche schenken oder drei Millionen zur Grün¬
dung einer Universität seiner Sekte beitragen, wie das Rockefeller zur Ver¬
söhnung des Himmels, zur Reklame und mit geriebner Spekulation auf den
Carl der Amerikaner thut? Welche Prinzessin brächte ihrem fürstlichen Gemahl
eine bare Mitgift zu, mit der sonderlich viel auszurichten wäre? Wen oder
was aber kann John D. Rockefellers Schwiegersohn nicht kaufen von den
hundert Millionen, die der Krämer aus Cleveland soeben seiner Tochter mit¬
gegeben hat? Wohin verschwänden aber diese Millionen in einer Welt, die
sich nicht zu verkaufen brauchte, gegen eine Zivilliste, angewiesen auf den
unermeßlichen Güterreichtum, auf die geradezu schrankenlose befreite Pro¬
duktionskraft moderner Völker?

Nur die Großkapitalistcn und die von ihren Zinsen lebenden Rentner,
die Parasiten der Gesellschaft, müssen wünschen, daß die Güter, die die Arbeit
der andern erzeugt, materielle und geistige Güter, für möglichst wenig Geld
zu kaufen seien, denn sie leben dann so gut wie möglich weiter und können
eines Tages doch ihre Zinsen nicht mehr verzehren, sie haben dann die Genug-


Das Petroleum

Karrikatur ist deutlich: erst wenn jemand mehr arbeitsloses Einkommen, mehr
Rente hat, als er aus erzeugten Produkten oder aus Leistungen zieht, erst
dann hat er ein Interesse, daß das Gold teuer, das heißt daß die Waren
billig seien, denn auch Leistungen werden nach dem Stande der Warenpreise
bezahlt. Selbst Leute, die ein festes Einkommen haben, Pensionäre, Beamte usw.
bis zu dem ersten Staatsdiener, dem König hinaus, haben — die der Zeit
nach auf einander folgenden Personen derselben Klassen immer als eine Ge¬
samtheit gefaßt — das Interesse an billigem Gold, d. h. an hohen Preisen;
hier drückt sich das, was dem einzelnen als ein vorübergehender Borten er¬
scheinen mag, als ein allmähliches Herabsinken der ganzen Klasse in der
sozialen Stellung aus. Gewiß, der Offizier, der dreitausend Mark jährlich
bekommt, sieht nur einen Vorteil darin, wenn er für seine dreitausend Mark
mehr kaufen kann als im Jahr vorher, aber — die billigen Preise sür Lebens¬
mittel, für Kleider usw. halten die Gehalte lange auf demselben Niveau. In¬
zwischen vervielfältigt sich das Handels-, das Industriekapital und ist dabei
in dem gleichen Maße kaufkräftiger geworden; der Offizier der nächsten Ge¬
neration ist mit demselben Gehalt auf die Lebenshaltung derer angewiesen, die
fünf, sechs Sprossen tiefer auf der sozialen Leiter stehen als die, neben denen
sich die Vorgänger noch halten konnten. Der vermögenslose Hauptmann steht
in der Lebenshaltung auf einer Stufe mit einem Kommis, der General mit
einem kleinen Bankprokuristen, die großen Bankdirektoren können sich eine fürst¬
liche Lebensführung leisten. Was hier gezeigt ist, paßt auf jede geistige Leistung
und körperliche Arbeit, auf jede produktive Thätigkeit, es paßt sogar auf die
höchste Leistung, auf die Völkerführung. Wo ist das Herrschergeschlecht, das
wirtschaftlich vermöchte, was die Rothschilds und die Rockefeller „vermögen"?
Welcher König kann aus seinen Privatmitteln einer Gemeinde seines Bekennt¬
nisses fix und fertig eine ganze Kirche schenken oder drei Millionen zur Grün¬
dung einer Universität seiner Sekte beitragen, wie das Rockefeller zur Ver¬
söhnung des Himmels, zur Reklame und mit geriebner Spekulation auf den
Carl der Amerikaner thut? Welche Prinzessin brächte ihrem fürstlichen Gemahl
eine bare Mitgift zu, mit der sonderlich viel auszurichten wäre? Wen oder
was aber kann John D. Rockefellers Schwiegersohn nicht kaufen von den
hundert Millionen, die der Krämer aus Cleveland soeben seiner Tochter mit¬
gegeben hat? Wohin verschwänden aber diese Millionen in einer Welt, die
sich nicht zu verkaufen brauchte, gegen eine Zivilliste, angewiesen auf den
unermeßlichen Güterreichtum, auf die geradezu schrankenlose befreite Pro¬
duktionskraft moderner Völker?

Nur die Großkapitalistcn und die von ihren Zinsen lebenden Rentner,
die Parasiten der Gesellschaft, müssen wünschen, daß die Güter, die die Arbeit
der andern erzeugt, materielle und geistige Güter, für möglichst wenig Geld
zu kaufen seien, denn sie leben dann so gut wie möglich weiter und können
eines Tages doch ihre Zinsen nicht mehr verzehren, sie haben dann die Genug-


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[0626] Das Petroleum Karrikatur ist deutlich: erst wenn jemand mehr arbeitsloses Einkommen, mehr Rente hat, als er aus erzeugten Produkten oder aus Leistungen zieht, erst dann hat er ein Interesse, daß das Gold teuer, das heißt daß die Waren billig seien, denn auch Leistungen werden nach dem Stande der Warenpreise bezahlt. Selbst Leute, die ein festes Einkommen haben, Pensionäre, Beamte usw. bis zu dem ersten Staatsdiener, dem König hinaus, haben — die der Zeit nach auf einander folgenden Personen derselben Klassen immer als eine Ge¬ samtheit gefaßt — das Interesse an billigem Gold, d. h. an hohen Preisen; hier drückt sich das, was dem einzelnen als ein vorübergehender Borten er¬ scheinen mag, als ein allmähliches Herabsinken der ganzen Klasse in der sozialen Stellung aus. Gewiß, der Offizier, der dreitausend Mark jährlich bekommt, sieht nur einen Vorteil darin, wenn er für seine dreitausend Mark mehr kaufen kann als im Jahr vorher, aber — die billigen Preise sür Lebens¬ mittel, für Kleider usw. halten die Gehalte lange auf demselben Niveau. In¬ zwischen vervielfältigt sich das Handels-, das Industriekapital und ist dabei in dem gleichen Maße kaufkräftiger geworden; der Offizier der nächsten Ge¬ neration ist mit demselben Gehalt auf die Lebenshaltung derer angewiesen, die fünf, sechs Sprossen tiefer auf der sozialen Leiter stehen als die, neben denen sich die Vorgänger noch halten konnten. Der vermögenslose Hauptmann steht in der Lebenshaltung auf einer Stufe mit einem Kommis, der General mit einem kleinen Bankprokuristen, die großen Bankdirektoren können sich eine fürst¬ liche Lebensführung leisten. Was hier gezeigt ist, paßt auf jede geistige Leistung und körperliche Arbeit, auf jede produktive Thätigkeit, es paßt sogar auf die höchste Leistung, auf die Völkerführung. Wo ist das Herrschergeschlecht, das wirtschaftlich vermöchte, was die Rothschilds und die Rockefeller „vermögen"? Welcher König kann aus seinen Privatmitteln einer Gemeinde seines Bekennt¬ nisses fix und fertig eine ganze Kirche schenken oder drei Millionen zur Grün¬ dung einer Universität seiner Sekte beitragen, wie das Rockefeller zur Ver¬ söhnung des Himmels, zur Reklame und mit geriebner Spekulation auf den Carl der Amerikaner thut? Welche Prinzessin brächte ihrem fürstlichen Gemahl eine bare Mitgift zu, mit der sonderlich viel auszurichten wäre? Wen oder was aber kann John D. Rockefellers Schwiegersohn nicht kaufen von den hundert Millionen, die der Krämer aus Cleveland soeben seiner Tochter mit¬ gegeben hat? Wohin verschwänden aber diese Millionen in einer Welt, die sich nicht zu verkaufen brauchte, gegen eine Zivilliste, angewiesen auf den unermeßlichen Güterreichtum, auf die geradezu schrankenlose befreite Pro¬ duktionskraft moderner Völker? Nur die Großkapitalistcn und die von ihren Zinsen lebenden Rentner, die Parasiten der Gesellschaft, müssen wünschen, daß die Güter, die die Arbeit der andern erzeugt, materielle und geistige Güter, für möglichst wenig Geld zu kaufen seien, denn sie leben dann so gut wie möglich weiter und können eines Tages doch ihre Zinsen nicht mehr verzehren, sie haben dann die Genug-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/626>, abgerufen am 24.07.2024.