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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

erträgnisse unbekannter Arbeiter künftiger Jahre geschaffen werden. Flürscheim
schätzt diese neu angelegten Einkommenteile in der Kulturwelt auf jährlich zehn
Milliarden Mark! "

Daß diese Entwicklung schon in ganz kurzer Zeit unsre heutige Wirt¬
schaftsordnung aä adsurclum führen muß, dazu braucht man, scheint mir, doch
eigentlich keine Wissenschaft. Dieses "Vermögen" wächst nach einer verstärkten
Zinseszinsformel. Ich erinnere mich eines Lesebuchs, das wir in der Klipp¬
schule hatten, es hieß "Der Kinderfreund." Dciriu wurde ausgerechnet, daß,
wenn man einen Pfennig zu Christi Geburt auf Zinseszins ausgeliehen hätte,
dieser Pfennig heute zu einem Kapital angewachsen sein würde, aus dem man
damals, als ich ein Junge war, vier oder fünfmal, heute also etwa fünfzehn
mal nicht bloß die Erde, sondern auch den Mond, ja alle übrigen Planeten
und die Sonne selber, sich massiv aus chemisch reinem Golde herstellen lassen
könnte. Und wir rechnen hier nicht mit einem Pfennig, sondern mit einem
Kapitale, dessen nicht mehr zu verzehrender Zinsenertragsüberschuß zehn
Milliarden betrügt!

Die frühern Großkapitalisten, die Feudalherren, fanden ihre ganz realen
Schranken in den Grenzen des besessenen Bodens, seiner Ertragsfähigkeit
und der deutlich sichtbaren Notwendigkeit, vom Ertrag Gesinde und Bauern
mindestens mitleben zu lassen. Nur neues Land, etwa durch Rodungen ge¬
wonnen, schuf neues "Kapital," und nur wirtschaftliche Verbesserungen, Ertrags¬
steigerungen erhöhten die "Rente." Die heutige Kapitalvermehrung, die Ver¬
mehrung des .Forderungskapitals, diese Vermehrung des "Nationalvermögens,"
die darin besteht, daß viele Leute wenig Leuten immer mehr schuldig werden,
ohne daß alle zusammen irgendwie mehr haben, ist aus dem Gebiete der Wirk¬
lichkeit ganz herausgetreten, sie ist eine Gehirnthütigkeit, also ganz unbegrenzt
geworden. Die Milliarden der Rockefeller, der Rothschilds sind heute schon
rein metaphysisch, und sie werden es immer mehr.

Wird nun von irgendeiner Ware unverhältnismäßig viel erzeugt, ist die
Ware außerordentlich reichlich vorhanden, so wird sie billig, und nur dann
würde sich die selbstthätige Vermehrung des Kapitals, des gedankengebornen
Goldes, dem aber alle Kräfte des wirklichen Goldes eigen sind, ertragen
lassen, wenn das auch hier so wäre. Das Gold, das Geld müßte "billig"
werden. Nicht billig im Börsensinne, daß ein Reicher einem andern Reichen
zu sehr niedrigem Zinsfuß Geld zu irgendeinem Geschäftszweck vorübergehend
liebe, sondern billig in dem Sinne, daß es an Kaufkraft der Gesamt¬
heit der andern Güter gegenüber einbüßte. Bei der wahnsinnigen Kapital¬
vermehrung, die wir in den letzten hundert Jahren erlebt haben, müßte heute
ein Beefsteak fünf Doppelkronen, ein Dreierbrötchen drei Mark kosten, das
Honorar für den Druckbogen dieser Zeitschrift zehntausend Mark betragen.
Wäre dem so, dann würden ungefähr alle Volksgenossen einigermaßen gleichen
Anteil an den "Fortschritten der Neuzeit" gehabt haben. Ich hoffe, die


Das Petroleum

erträgnisse unbekannter Arbeiter künftiger Jahre geschaffen werden. Flürscheim
schätzt diese neu angelegten Einkommenteile in der Kulturwelt auf jährlich zehn
Milliarden Mark! "

Daß diese Entwicklung schon in ganz kurzer Zeit unsre heutige Wirt¬
schaftsordnung aä adsurclum führen muß, dazu braucht man, scheint mir, doch
eigentlich keine Wissenschaft. Dieses „Vermögen" wächst nach einer verstärkten
Zinseszinsformel. Ich erinnere mich eines Lesebuchs, das wir in der Klipp¬
schule hatten, es hieß „Der Kinderfreund." Dciriu wurde ausgerechnet, daß,
wenn man einen Pfennig zu Christi Geburt auf Zinseszins ausgeliehen hätte,
dieser Pfennig heute zu einem Kapital angewachsen sein würde, aus dem man
damals, als ich ein Junge war, vier oder fünfmal, heute also etwa fünfzehn
mal nicht bloß die Erde, sondern auch den Mond, ja alle übrigen Planeten
und die Sonne selber, sich massiv aus chemisch reinem Golde herstellen lassen
könnte. Und wir rechnen hier nicht mit einem Pfennig, sondern mit einem
Kapitale, dessen nicht mehr zu verzehrender Zinsenertragsüberschuß zehn
Milliarden betrügt!

Die frühern Großkapitalisten, die Feudalherren, fanden ihre ganz realen
Schranken in den Grenzen des besessenen Bodens, seiner Ertragsfähigkeit
und der deutlich sichtbaren Notwendigkeit, vom Ertrag Gesinde und Bauern
mindestens mitleben zu lassen. Nur neues Land, etwa durch Rodungen ge¬
wonnen, schuf neues „Kapital," und nur wirtschaftliche Verbesserungen, Ertrags¬
steigerungen erhöhten die „Rente." Die heutige Kapitalvermehrung, die Ver¬
mehrung des .Forderungskapitals, diese Vermehrung des „Nationalvermögens,"
die darin besteht, daß viele Leute wenig Leuten immer mehr schuldig werden,
ohne daß alle zusammen irgendwie mehr haben, ist aus dem Gebiete der Wirk¬
lichkeit ganz herausgetreten, sie ist eine Gehirnthütigkeit, also ganz unbegrenzt
geworden. Die Milliarden der Rockefeller, der Rothschilds sind heute schon
rein metaphysisch, und sie werden es immer mehr.

Wird nun von irgendeiner Ware unverhältnismäßig viel erzeugt, ist die
Ware außerordentlich reichlich vorhanden, so wird sie billig, und nur dann
würde sich die selbstthätige Vermehrung des Kapitals, des gedankengebornen
Goldes, dem aber alle Kräfte des wirklichen Goldes eigen sind, ertragen
lassen, wenn das auch hier so wäre. Das Gold, das Geld müßte „billig"
werden. Nicht billig im Börsensinne, daß ein Reicher einem andern Reichen
zu sehr niedrigem Zinsfuß Geld zu irgendeinem Geschäftszweck vorübergehend
liebe, sondern billig in dem Sinne, daß es an Kaufkraft der Gesamt¬
heit der andern Güter gegenüber einbüßte. Bei der wahnsinnigen Kapital¬
vermehrung, die wir in den letzten hundert Jahren erlebt haben, müßte heute
ein Beefsteak fünf Doppelkronen, ein Dreierbrötchen drei Mark kosten, das
Honorar für den Druckbogen dieser Zeitschrift zehntausend Mark betragen.
Wäre dem so, dann würden ungefähr alle Volksgenossen einigermaßen gleichen
Anteil an den „Fortschritten der Neuzeit" gehabt haben. Ich hoffe, die


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[0625] Das Petroleum erträgnisse unbekannter Arbeiter künftiger Jahre geschaffen werden. Flürscheim schätzt diese neu angelegten Einkommenteile in der Kulturwelt auf jährlich zehn Milliarden Mark! " Daß diese Entwicklung schon in ganz kurzer Zeit unsre heutige Wirt¬ schaftsordnung aä adsurclum führen muß, dazu braucht man, scheint mir, doch eigentlich keine Wissenschaft. Dieses „Vermögen" wächst nach einer verstärkten Zinseszinsformel. Ich erinnere mich eines Lesebuchs, das wir in der Klipp¬ schule hatten, es hieß „Der Kinderfreund." Dciriu wurde ausgerechnet, daß, wenn man einen Pfennig zu Christi Geburt auf Zinseszins ausgeliehen hätte, dieser Pfennig heute zu einem Kapital angewachsen sein würde, aus dem man damals, als ich ein Junge war, vier oder fünfmal, heute also etwa fünfzehn mal nicht bloß die Erde, sondern auch den Mond, ja alle übrigen Planeten und die Sonne selber, sich massiv aus chemisch reinem Golde herstellen lassen könnte. Und wir rechnen hier nicht mit einem Pfennig, sondern mit einem Kapitale, dessen nicht mehr zu verzehrender Zinsenertragsüberschuß zehn Milliarden betrügt! Die frühern Großkapitalisten, die Feudalherren, fanden ihre ganz realen Schranken in den Grenzen des besessenen Bodens, seiner Ertragsfähigkeit und der deutlich sichtbaren Notwendigkeit, vom Ertrag Gesinde und Bauern mindestens mitleben zu lassen. Nur neues Land, etwa durch Rodungen ge¬ wonnen, schuf neues „Kapital," und nur wirtschaftliche Verbesserungen, Ertrags¬ steigerungen erhöhten die „Rente." Die heutige Kapitalvermehrung, die Ver¬ mehrung des .Forderungskapitals, diese Vermehrung des „Nationalvermögens," die darin besteht, daß viele Leute wenig Leuten immer mehr schuldig werden, ohne daß alle zusammen irgendwie mehr haben, ist aus dem Gebiete der Wirk¬ lichkeit ganz herausgetreten, sie ist eine Gehirnthütigkeit, also ganz unbegrenzt geworden. Die Milliarden der Rockefeller, der Rothschilds sind heute schon rein metaphysisch, und sie werden es immer mehr. Wird nun von irgendeiner Ware unverhältnismäßig viel erzeugt, ist die Ware außerordentlich reichlich vorhanden, so wird sie billig, und nur dann würde sich die selbstthätige Vermehrung des Kapitals, des gedankengebornen Goldes, dem aber alle Kräfte des wirklichen Goldes eigen sind, ertragen lassen, wenn das auch hier so wäre. Das Gold, das Geld müßte „billig" werden. Nicht billig im Börsensinne, daß ein Reicher einem andern Reichen zu sehr niedrigem Zinsfuß Geld zu irgendeinem Geschäftszweck vorübergehend liebe, sondern billig in dem Sinne, daß es an Kaufkraft der Gesamt¬ heit der andern Güter gegenüber einbüßte. Bei der wahnsinnigen Kapital¬ vermehrung, die wir in den letzten hundert Jahren erlebt haben, müßte heute ein Beefsteak fünf Doppelkronen, ein Dreierbrötchen drei Mark kosten, das Honorar für den Druckbogen dieser Zeitschrift zehntausend Mark betragen. Wäre dem so, dann würden ungefähr alle Volksgenossen einigermaßen gleichen Anteil an den „Fortschritten der Neuzeit" gehabt haben. Ich hoffe, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/625>, abgerufen am 24.07.2024.