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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

vörMoatss -- von 2,50 Dollars für 40 amerikanische Gallons, ohne Faß in
Amerika). Zu und über diesen höchsten Preisen verkauft er durch die Deutsch-
Amerikanische Petroleumgesellschaft den deutschen Händlern auf Lieferung August-
Dezember riesige Mengen "Petroleum." Nachdem er sie glücklich los ist, wirft
er die Preise auf die Hälfte, wirft dadurch Rossi mit und kauft das zur
Herstellung der zu zwölf Mark verkauften Mengen erforderliche Quantum
zu einem Preise (1 Dollar bis 1,30 Dollars für 40 amerikanische Gallons,
ohne Faß), der einem Werte der raffinirten Ware von sechs Mark entspricht.
Gleichzeitig zwingt er die deutschen Binnenlandhändler, die noch für eigne
Rechnung arbeiten, ihr teuer gekauftes Öl zu sechs Mark plus Zoll usw. zu
verkaufen und macht damit den beiden noch übrigen Importeuren tötliche
Konkurrenz mit billigem Petroleum, ohne daß ihn das etwas kostet. Schlie߬
lich vermischt er aber das zu zwölf Mark verkaufte Öl, das nur noch sechs
Mark wert ist, auch noch reichlich mit Limapetroleum, das eigentlich gar
nichts kosten dürfte! "Petroleum" liefert er ja; es ist zwar eine andre, eine
gefälschte Ware, aber in den deutschen Schlußscheinen steht nur "raff, amerik.
Petroleum," weil man sich auf die amerikanische Klausel verlassen hat.

Nachdem der Zweck erreicht war, nachdem auch das Publikum sich wieder
beruhigt und sich überzeugt hatte, daß der brave Rockefeller gar nicht so gierig
sei, wie ihn die bösen Menschen aufschrieen, stieg das Petroleum wieder leise,
aber ganz stetig, um ungefähr zwei Mark: an dem Sonnabend, wo der erste
dieser Artikel in den Grenzboten stand, war es in Bremen acht Mark wert.
Seitdem ist es, bis zum 30. November, wieder um eine Mark gefallen.

Man sieht, wie thöricht es ist, wenn man meint, die Beraubung des
Publikums wäre nur dadurch möglich, daß die Preise dauernd sehr hoch ge¬
halten würden. Die Verehrung billiger Warenpreise ist, beiläufig erwähnt,
überhaupt ein sehr verhängnisvoller Irrtum, den ich mir immer nur aus einer
Art Gehirnanomalie habe erklären können, als eine Folge chronischer Man-
chestrinvergiftung. Ich möchte nicht gern nationalökonomisch werden. Der
nebelhafte Zustand unsrer heutigen Volkswirtschaftslehre hat bei mir noch keine
sehr große Hochachtung vor dieser Wissenschaft aufkommen lassen. Sie be¬
ginnt erst überall leise zu ahnen und unbeholfen zu tasten. Ich bin über¬
zeugt, daß sie sich zur Wirtschaftslehre der Zukunft so verhält, wie die
Weisheit indianischer Medizinmänner und schwarzer Fetischpfaffen zu Kants
Kritik der reinen Vernunft: hie und da findet einer ein Körnchen Wahr¬
heit, aber anstatt es zu erkennen als das, was es ist, als einen Teil eines
Teils des zu Suchenden, wird es sofort als die ganze und ausschließliche
Wahrheit gepriesen und eine neue Schule darauf gegründet. Es ist der
uralte Fehler: auf ein bischen Gedanken wird gleich wieder eine neue Richtung
oder gar eine neue Religion, eine neue Kirche gebaut. Selbst so bedeutende
Leute wie Marx und Engels sind diesem Fehler verfallen. Die in der Ware
enthaltne Arbeit bestimmt zwar hauptsächlich und unter gewissen Umständen,


Das Petroleum

vörMoatss — von 2,50 Dollars für 40 amerikanische Gallons, ohne Faß in
Amerika). Zu und über diesen höchsten Preisen verkauft er durch die Deutsch-
Amerikanische Petroleumgesellschaft den deutschen Händlern auf Lieferung August-
Dezember riesige Mengen „Petroleum." Nachdem er sie glücklich los ist, wirft
er die Preise auf die Hälfte, wirft dadurch Rossi mit und kauft das zur
Herstellung der zu zwölf Mark verkauften Mengen erforderliche Quantum
zu einem Preise (1 Dollar bis 1,30 Dollars für 40 amerikanische Gallons,
ohne Faß), der einem Werte der raffinirten Ware von sechs Mark entspricht.
Gleichzeitig zwingt er die deutschen Binnenlandhändler, die noch für eigne
Rechnung arbeiten, ihr teuer gekauftes Öl zu sechs Mark plus Zoll usw. zu
verkaufen und macht damit den beiden noch übrigen Importeuren tötliche
Konkurrenz mit billigem Petroleum, ohne daß ihn das etwas kostet. Schlie߬
lich vermischt er aber das zu zwölf Mark verkaufte Öl, das nur noch sechs
Mark wert ist, auch noch reichlich mit Limapetroleum, das eigentlich gar
nichts kosten dürfte! „Petroleum" liefert er ja; es ist zwar eine andre, eine
gefälschte Ware, aber in den deutschen Schlußscheinen steht nur „raff, amerik.
Petroleum," weil man sich auf die amerikanische Klausel verlassen hat.

Nachdem der Zweck erreicht war, nachdem auch das Publikum sich wieder
beruhigt und sich überzeugt hatte, daß der brave Rockefeller gar nicht so gierig
sei, wie ihn die bösen Menschen aufschrieen, stieg das Petroleum wieder leise,
aber ganz stetig, um ungefähr zwei Mark: an dem Sonnabend, wo der erste
dieser Artikel in den Grenzboten stand, war es in Bremen acht Mark wert.
Seitdem ist es, bis zum 30. November, wieder um eine Mark gefallen.

Man sieht, wie thöricht es ist, wenn man meint, die Beraubung des
Publikums wäre nur dadurch möglich, daß die Preise dauernd sehr hoch ge¬
halten würden. Die Verehrung billiger Warenpreise ist, beiläufig erwähnt,
überhaupt ein sehr verhängnisvoller Irrtum, den ich mir immer nur aus einer
Art Gehirnanomalie habe erklären können, als eine Folge chronischer Man-
chestrinvergiftung. Ich möchte nicht gern nationalökonomisch werden. Der
nebelhafte Zustand unsrer heutigen Volkswirtschaftslehre hat bei mir noch keine
sehr große Hochachtung vor dieser Wissenschaft aufkommen lassen. Sie be¬
ginnt erst überall leise zu ahnen und unbeholfen zu tasten. Ich bin über¬
zeugt, daß sie sich zur Wirtschaftslehre der Zukunft so verhält, wie die
Weisheit indianischer Medizinmänner und schwarzer Fetischpfaffen zu Kants
Kritik der reinen Vernunft: hie und da findet einer ein Körnchen Wahr¬
heit, aber anstatt es zu erkennen als das, was es ist, als einen Teil eines
Teils des zu Suchenden, wird es sofort als die ganze und ausschließliche
Wahrheit gepriesen und eine neue Schule darauf gegründet. Es ist der
uralte Fehler: auf ein bischen Gedanken wird gleich wieder eine neue Richtung
oder gar eine neue Religion, eine neue Kirche gebaut. Selbst so bedeutende
Leute wie Marx und Engels sind diesem Fehler verfallen. Die in der Ware
enthaltne Arbeit bestimmt zwar hauptsächlich und unter gewissen Umständen,


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[0623] Das Petroleum vörMoatss — von 2,50 Dollars für 40 amerikanische Gallons, ohne Faß in Amerika). Zu und über diesen höchsten Preisen verkauft er durch die Deutsch- Amerikanische Petroleumgesellschaft den deutschen Händlern auf Lieferung August- Dezember riesige Mengen „Petroleum." Nachdem er sie glücklich los ist, wirft er die Preise auf die Hälfte, wirft dadurch Rossi mit und kauft das zur Herstellung der zu zwölf Mark verkauften Mengen erforderliche Quantum zu einem Preise (1 Dollar bis 1,30 Dollars für 40 amerikanische Gallons, ohne Faß), der einem Werte der raffinirten Ware von sechs Mark entspricht. Gleichzeitig zwingt er die deutschen Binnenlandhändler, die noch für eigne Rechnung arbeiten, ihr teuer gekauftes Öl zu sechs Mark plus Zoll usw. zu verkaufen und macht damit den beiden noch übrigen Importeuren tötliche Konkurrenz mit billigem Petroleum, ohne daß ihn das etwas kostet. Schlie߬ lich vermischt er aber das zu zwölf Mark verkaufte Öl, das nur noch sechs Mark wert ist, auch noch reichlich mit Limapetroleum, das eigentlich gar nichts kosten dürfte! „Petroleum" liefert er ja; es ist zwar eine andre, eine gefälschte Ware, aber in den deutschen Schlußscheinen steht nur „raff, amerik. Petroleum," weil man sich auf die amerikanische Klausel verlassen hat. Nachdem der Zweck erreicht war, nachdem auch das Publikum sich wieder beruhigt und sich überzeugt hatte, daß der brave Rockefeller gar nicht so gierig sei, wie ihn die bösen Menschen aufschrieen, stieg das Petroleum wieder leise, aber ganz stetig, um ungefähr zwei Mark: an dem Sonnabend, wo der erste dieser Artikel in den Grenzboten stand, war es in Bremen acht Mark wert. Seitdem ist es, bis zum 30. November, wieder um eine Mark gefallen. Man sieht, wie thöricht es ist, wenn man meint, die Beraubung des Publikums wäre nur dadurch möglich, daß die Preise dauernd sehr hoch ge¬ halten würden. Die Verehrung billiger Warenpreise ist, beiläufig erwähnt, überhaupt ein sehr verhängnisvoller Irrtum, den ich mir immer nur aus einer Art Gehirnanomalie habe erklären können, als eine Folge chronischer Man- chestrinvergiftung. Ich möchte nicht gern nationalökonomisch werden. Der nebelhafte Zustand unsrer heutigen Volkswirtschaftslehre hat bei mir noch keine sehr große Hochachtung vor dieser Wissenschaft aufkommen lassen. Sie be¬ ginnt erst überall leise zu ahnen und unbeholfen zu tasten. Ich bin über¬ zeugt, daß sie sich zur Wirtschaftslehre der Zukunft so verhält, wie die Weisheit indianischer Medizinmänner und schwarzer Fetischpfaffen zu Kants Kritik der reinen Vernunft: hie und da findet einer ein Körnchen Wahr¬ heit, aber anstatt es zu erkennen als das, was es ist, als einen Teil eines Teils des zu Suchenden, wird es sofort als die ganze und ausschließliche Wahrheit gepriesen und eine neue Schule darauf gegründet. Es ist der uralte Fehler: auf ein bischen Gedanken wird gleich wieder eine neue Richtung oder gar eine neue Religion, eine neue Kirche gebaut. Selbst so bedeutende Leute wie Marx und Engels sind diesem Fehler verfallen. Die in der Ware enthaltne Arbeit bestimmt zwar hauptsächlich und unter gewissen Umständen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/623>, abgerufen am 24.07.2024.