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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

auch er hat das Recht, beurteilt zu werden nach seinem eignen Maßstabe, wie
er das an so vielen andern geübt hat. Er hat das Höchste geleistet, was er
seiner Zeit und seinem Wesen nach leisten konnte, und was sie forderte. Er
hat, die Kunst Niebuhrs auf die neuere Geschichte übertragend und als der größte
wissenschaftliche Erbe jener fruchtbaren Epoche der Romantik, der in dem land¬
läufigen Liberalismus noch immer fortwirkenden flachen Auffassung der Auf¬
klärungszeit, die altklug absprechend Völker und Menschen nach einer angeblich
für alle Nationen. Zeiten und Kulturstufen passenden absolut giltigen politischen
Schablone behandelte, und uicht minder jener moralisirenden Geschichtschreibung,
die alles von einem und demselben engen Sittlichkeitsstandpunkte beurteilte, jedem
wie der Weltenrichter sein "Schuldig" oder "Nichtschuldig" zuerkannte und
die Weltgeschichte in eine trostlose Kette gelungner oder mißlungner Schurken¬
streiche auflöste, das unbefangne Verständnis jeder Zeit, jedes Volks, jedes
Menschen ans sich selbst heraus, nach ihrem eignen Maßstabe entgegengesetzt
und uns dadurch erst den ganzen unendlichen Reichtum der Geschichte ent¬
hüllt, und er hat gegenüber dem Materialismus, der schließlich verzweifelnd
ins öde Nichts starrt, das ehrfürchtige Suchen nach den Gedanken Gottes in
der Geschichte immer als seine höchste und schönste Aufgabe festgehalten. Mag
eine jüngere Generation bereits von ihrem Meister abgewichen sein, wie es
das gute Recht jedes Schülers ist, mögen Sybel und Treitschke, so sehr sie
von einander verschieden sind, mit vollem Bewußtsein die Äußerung lebendiger
Mitempfindung mit dem Erzählten als ein Recht des Historikers in Anspruch
nehmen, der eine wie ein kluger Staatsmann, der andre wie ein schneidiger
Soldat, der im Kampfe steht, mag die jüngste Zeit, wie es in der Gegen¬
wart begründet ist, die wirtschaftlichen und sozialen Interessen mehr in den
Vordergrund rücken, sie werden alle willig zugestehen, daß Leopold Ranke ein
Stolz der Nation für alle Zeiten bleibt.


Veto Kaemmel


Das Petroleum Theodor Dnimchen von
3. Internationale Rleptokratie oder volksköuigtum?

oller wir für ausländische Großgauner fröhnen oder dem Vater¬
lande dienen? Sollen uns Spitzbuben beherrschen zum Nutzen
ihres Geldsacks, oder werden Kaiser und Fürsten auch ihrer
Deutschen wirtschaftliche Führung übernehmen zum Besten des
Volkes und des Reichs?

Ein Bauernfänger hat es dahin gebracht, daß ihm, dem einzelnen Menschen,


Grenzboten IV 189S 78
Das Petroleum

auch er hat das Recht, beurteilt zu werden nach seinem eignen Maßstabe, wie
er das an so vielen andern geübt hat. Er hat das Höchste geleistet, was er
seiner Zeit und seinem Wesen nach leisten konnte, und was sie forderte. Er
hat, die Kunst Niebuhrs auf die neuere Geschichte übertragend und als der größte
wissenschaftliche Erbe jener fruchtbaren Epoche der Romantik, der in dem land¬
läufigen Liberalismus noch immer fortwirkenden flachen Auffassung der Auf¬
klärungszeit, die altklug absprechend Völker und Menschen nach einer angeblich
für alle Nationen. Zeiten und Kulturstufen passenden absolut giltigen politischen
Schablone behandelte, und uicht minder jener moralisirenden Geschichtschreibung,
die alles von einem und demselben engen Sittlichkeitsstandpunkte beurteilte, jedem
wie der Weltenrichter sein „Schuldig" oder „Nichtschuldig" zuerkannte und
die Weltgeschichte in eine trostlose Kette gelungner oder mißlungner Schurken¬
streiche auflöste, das unbefangne Verständnis jeder Zeit, jedes Volks, jedes
Menschen ans sich selbst heraus, nach ihrem eignen Maßstabe entgegengesetzt
und uns dadurch erst den ganzen unendlichen Reichtum der Geschichte ent¬
hüllt, und er hat gegenüber dem Materialismus, der schließlich verzweifelnd
ins öde Nichts starrt, das ehrfürchtige Suchen nach den Gedanken Gottes in
der Geschichte immer als seine höchste und schönste Aufgabe festgehalten. Mag
eine jüngere Generation bereits von ihrem Meister abgewichen sein, wie es
das gute Recht jedes Schülers ist, mögen Sybel und Treitschke, so sehr sie
von einander verschieden sind, mit vollem Bewußtsein die Äußerung lebendiger
Mitempfindung mit dem Erzählten als ein Recht des Historikers in Anspruch
nehmen, der eine wie ein kluger Staatsmann, der andre wie ein schneidiger
Soldat, der im Kampfe steht, mag die jüngste Zeit, wie es in der Gegen¬
wart begründet ist, die wirtschaftlichen und sozialen Interessen mehr in den
Vordergrund rücken, sie werden alle willig zugestehen, daß Leopold Ranke ein
Stolz der Nation für alle Zeiten bleibt.


Veto Kaemmel


Das Petroleum Theodor Dnimchen von
3. Internationale Rleptokratie oder volksköuigtum?

oller wir für ausländische Großgauner fröhnen oder dem Vater¬
lande dienen? Sollen uns Spitzbuben beherrschen zum Nutzen
ihres Geldsacks, oder werden Kaiser und Fürsten auch ihrer
Deutschen wirtschaftliche Führung übernehmen zum Besten des
Volkes und des Reichs?

Ein Bauernfänger hat es dahin gebracht, daß ihm, dem einzelnen Menschen,


Grenzboten IV 189S 78
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[0619] Das Petroleum auch er hat das Recht, beurteilt zu werden nach seinem eignen Maßstabe, wie er das an so vielen andern geübt hat. Er hat das Höchste geleistet, was er seiner Zeit und seinem Wesen nach leisten konnte, und was sie forderte. Er hat, die Kunst Niebuhrs auf die neuere Geschichte übertragend und als der größte wissenschaftliche Erbe jener fruchtbaren Epoche der Romantik, der in dem land¬ läufigen Liberalismus noch immer fortwirkenden flachen Auffassung der Auf¬ klärungszeit, die altklug absprechend Völker und Menschen nach einer angeblich für alle Nationen. Zeiten und Kulturstufen passenden absolut giltigen politischen Schablone behandelte, und uicht minder jener moralisirenden Geschichtschreibung, die alles von einem und demselben engen Sittlichkeitsstandpunkte beurteilte, jedem wie der Weltenrichter sein „Schuldig" oder „Nichtschuldig" zuerkannte und die Weltgeschichte in eine trostlose Kette gelungner oder mißlungner Schurken¬ streiche auflöste, das unbefangne Verständnis jeder Zeit, jedes Volks, jedes Menschen ans sich selbst heraus, nach ihrem eignen Maßstabe entgegengesetzt und uns dadurch erst den ganzen unendlichen Reichtum der Geschichte ent¬ hüllt, und er hat gegenüber dem Materialismus, der schließlich verzweifelnd ins öde Nichts starrt, das ehrfürchtige Suchen nach den Gedanken Gottes in der Geschichte immer als seine höchste und schönste Aufgabe festgehalten. Mag eine jüngere Generation bereits von ihrem Meister abgewichen sein, wie es das gute Recht jedes Schülers ist, mögen Sybel und Treitschke, so sehr sie von einander verschieden sind, mit vollem Bewußtsein die Äußerung lebendiger Mitempfindung mit dem Erzählten als ein Recht des Historikers in Anspruch nehmen, der eine wie ein kluger Staatsmann, der andre wie ein schneidiger Soldat, der im Kampfe steht, mag die jüngste Zeit, wie es in der Gegen¬ wart begründet ist, die wirtschaftlichen und sozialen Interessen mehr in den Vordergrund rücken, sie werden alle willig zugestehen, daß Leopold Ranke ein Stolz der Nation für alle Zeiten bleibt. Veto Kaemmel Das Petroleum Theodor Dnimchen von 3. Internationale Rleptokratie oder volksköuigtum? oller wir für ausländische Großgauner fröhnen oder dem Vater¬ lande dienen? Sollen uns Spitzbuben beherrschen zum Nutzen ihres Geldsacks, oder werden Kaiser und Fürsten auch ihrer Deutschen wirtschaftliche Führung übernehmen zum Besten des Volkes und des Reichs? Ein Bauernfänger hat es dahin gebracht, daß ihm, dem einzelnen Menschen, Grenzboten IV 189S 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/619>, abgerufen am 24.07.2024.