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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag

tümliche Gepräge. Thukydides und Tenophon, Sallust und Tacitus nahmen
am Staatsleben ihrer Zeit thätigen Anteil. Thietmar von Merseburg und
Otto von Freisingen waren als Bischöfe Mitglieder der Beamtenaristokratie
des Reichs, und die größten englischen Historiker, wie G. Grote und Macaulay,
standen mitten im politischen Leben, von Rankes Zeitgenossen z. B. auch
Dahlmann und Droysen.

Doch daß dies Ranke nicht gethan hat, ist in mancher Beziehung ein
Vorzug des Historikers und jedenfalls eine Nebensache. Denn die Fähigkeiten
des Staatsmanns sind sehr verschieden von denen des Historikers. Man kann
ein sehr großer Historiker sein und herzlich schlechte Politik machen, und große
Staatsmänner werden, wenn sie ihre eigne Thätigkeit schildern, der Versuchung,
sie von ihrem Standpunkte aus darzustellen, schwer widerstehen. Cäsars histo¬
rische Bücher sind Tendenzschriften, und Friedrich der Große hat doch min¬
destens gewollt, daß seine Leser die Dinge so ansähen, wie er sie angesehen
hat. Vor den Gefahren beider Art blieb Ranke bewahrt, doch auch seine Ge¬
schichtschreibung hat sehr bestimmte Schranken, seinen charakteristischen Vor¬
zügen entsprechen ebenso charakteristische Kehrseiten, oder wenn man will, Mängel,
die von jenen nicht zu trennen sind. Es wird nicht anmaßend sein, auch
davon hier zu reden, da es sich nicht um eine Lobrede, sondern um eine Cha¬
rakteristik handelt. Die Kehrseite seiner Objektivität ist eine gewisse Kühle der
Darstellung, ein Mangel an innerer Wärme. Der Leser hat nicht den Ein¬
druck, als ob das Herz des Historikers bei den erzählten Dingen sei, so wenig
diesem in der That die innere Teilnahme gefehlt hat; er wirkt nur auf den
Verstand und die Phantasie des Lesers, nicht auf das Gemüt, er packt ihn
nicht am Herzen. Irgend jemand hat Rankes Kunst mit den feinen kleinen
Bildern Meissoniers verglichen, und etwas Wahres ist daran, obwohl ihm der
Vergleich keineswegs gerecht wird; vielleicht könnte man besser sagen: Rankes
Pinselstrich ist nicht breit und pastos, sondern glatt und fein, seine Farben¬
gebung ist mehr sorgfältig abgetönt, zuweilen mehr zart als kräftig. Selbst
von seinen Porträts gelingen ihm die Bildnisse überwiegend verstandesmüßiger,
kluger, feingebildeter und maßvoller Persönlichkeiten besser als die helden¬
hafter Naturen. Und damit hängt ein zweites zusammen, die Kehrseite seiner
aristokratisch-monarchischen Auffassung. Er sieht die Dinge zu sehr, zu aus¬
schließlich von oben, in die Niederungen der Gesellschaft steigt er ungern hinab,
er fühlt sich in diesen Regionen nicht wohl. Seine Bühne ist also zu klein,
die Beleuchtung durchschnittlich zu hell, sodaß Treitschke nicht ohne Ironie
von den "Rankischen Erzählungen" sprechen konnte, "wo eine helle Sonne
einen kleinen Kreis lächelnder, satter Menschen bestrahlt." Es ist die klas¬
sische Bühne der "Iphigenie" und des "Tasso," nicht die volksmäßige, tiefe,
breite Bühne des "Goetz" und des "Faust." Von jenen Schichten der Gesell¬
schaft, die mehr fühlen und empfinden als klar denken, mehr nach Gewohnheit
und Instinkt handeln als zweckbewußt, sieht man bei Ranke nichts oder selten


Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag

tümliche Gepräge. Thukydides und Tenophon, Sallust und Tacitus nahmen
am Staatsleben ihrer Zeit thätigen Anteil. Thietmar von Merseburg und
Otto von Freisingen waren als Bischöfe Mitglieder der Beamtenaristokratie
des Reichs, und die größten englischen Historiker, wie G. Grote und Macaulay,
standen mitten im politischen Leben, von Rankes Zeitgenossen z. B. auch
Dahlmann und Droysen.

Doch daß dies Ranke nicht gethan hat, ist in mancher Beziehung ein
Vorzug des Historikers und jedenfalls eine Nebensache. Denn die Fähigkeiten
des Staatsmanns sind sehr verschieden von denen des Historikers. Man kann
ein sehr großer Historiker sein und herzlich schlechte Politik machen, und große
Staatsmänner werden, wenn sie ihre eigne Thätigkeit schildern, der Versuchung,
sie von ihrem Standpunkte aus darzustellen, schwer widerstehen. Cäsars histo¬
rische Bücher sind Tendenzschriften, und Friedrich der Große hat doch min¬
destens gewollt, daß seine Leser die Dinge so ansähen, wie er sie angesehen
hat. Vor den Gefahren beider Art blieb Ranke bewahrt, doch auch seine Ge¬
schichtschreibung hat sehr bestimmte Schranken, seinen charakteristischen Vor¬
zügen entsprechen ebenso charakteristische Kehrseiten, oder wenn man will, Mängel,
die von jenen nicht zu trennen sind. Es wird nicht anmaßend sein, auch
davon hier zu reden, da es sich nicht um eine Lobrede, sondern um eine Cha¬
rakteristik handelt. Die Kehrseite seiner Objektivität ist eine gewisse Kühle der
Darstellung, ein Mangel an innerer Wärme. Der Leser hat nicht den Ein¬
druck, als ob das Herz des Historikers bei den erzählten Dingen sei, so wenig
diesem in der That die innere Teilnahme gefehlt hat; er wirkt nur auf den
Verstand und die Phantasie des Lesers, nicht auf das Gemüt, er packt ihn
nicht am Herzen. Irgend jemand hat Rankes Kunst mit den feinen kleinen
Bildern Meissoniers verglichen, und etwas Wahres ist daran, obwohl ihm der
Vergleich keineswegs gerecht wird; vielleicht könnte man besser sagen: Rankes
Pinselstrich ist nicht breit und pastos, sondern glatt und fein, seine Farben¬
gebung ist mehr sorgfältig abgetönt, zuweilen mehr zart als kräftig. Selbst
von seinen Porträts gelingen ihm die Bildnisse überwiegend verstandesmüßiger,
kluger, feingebildeter und maßvoller Persönlichkeiten besser als die helden¬
hafter Naturen. Und damit hängt ein zweites zusammen, die Kehrseite seiner
aristokratisch-monarchischen Auffassung. Er sieht die Dinge zu sehr, zu aus¬
schließlich von oben, in die Niederungen der Gesellschaft steigt er ungern hinab,
er fühlt sich in diesen Regionen nicht wohl. Seine Bühne ist also zu klein,
die Beleuchtung durchschnittlich zu hell, sodaß Treitschke nicht ohne Ironie
von den „Rankischen Erzählungen" sprechen konnte, „wo eine helle Sonne
einen kleinen Kreis lächelnder, satter Menschen bestrahlt." Es ist die klas¬
sische Bühne der „Iphigenie" und des „Tasso," nicht die volksmäßige, tiefe,
breite Bühne des „Goetz" und des „Faust." Von jenen Schichten der Gesell¬
schaft, die mehr fühlen und empfinden als klar denken, mehr nach Gewohnheit
und Instinkt handeln als zweckbewußt, sieht man bei Ranke nichts oder selten


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[0617] Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag tümliche Gepräge. Thukydides und Tenophon, Sallust und Tacitus nahmen am Staatsleben ihrer Zeit thätigen Anteil. Thietmar von Merseburg und Otto von Freisingen waren als Bischöfe Mitglieder der Beamtenaristokratie des Reichs, und die größten englischen Historiker, wie G. Grote und Macaulay, standen mitten im politischen Leben, von Rankes Zeitgenossen z. B. auch Dahlmann und Droysen. Doch daß dies Ranke nicht gethan hat, ist in mancher Beziehung ein Vorzug des Historikers und jedenfalls eine Nebensache. Denn die Fähigkeiten des Staatsmanns sind sehr verschieden von denen des Historikers. Man kann ein sehr großer Historiker sein und herzlich schlechte Politik machen, und große Staatsmänner werden, wenn sie ihre eigne Thätigkeit schildern, der Versuchung, sie von ihrem Standpunkte aus darzustellen, schwer widerstehen. Cäsars histo¬ rische Bücher sind Tendenzschriften, und Friedrich der Große hat doch min¬ destens gewollt, daß seine Leser die Dinge so ansähen, wie er sie angesehen hat. Vor den Gefahren beider Art blieb Ranke bewahrt, doch auch seine Ge¬ schichtschreibung hat sehr bestimmte Schranken, seinen charakteristischen Vor¬ zügen entsprechen ebenso charakteristische Kehrseiten, oder wenn man will, Mängel, die von jenen nicht zu trennen sind. Es wird nicht anmaßend sein, auch davon hier zu reden, da es sich nicht um eine Lobrede, sondern um eine Cha¬ rakteristik handelt. Die Kehrseite seiner Objektivität ist eine gewisse Kühle der Darstellung, ein Mangel an innerer Wärme. Der Leser hat nicht den Ein¬ druck, als ob das Herz des Historikers bei den erzählten Dingen sei, so wenig diesem in der That die innere Teilnahme gefehlt hat; er wirkt nur auf den Verstand und die Phantasie des Lesers, nicht auf das Gemüt, er packt ihn nicht am Herzen. Irgend jemand hat Rankes Kunst mit den feinen kleinen Bildern Meissoniers verglichen, und etwas Wahres ist daran, obwohl ihm der Vergleich keineswegs gerecht wird; vielleicht könnte man besser sagen: Rankes Pinselstrich ist nicht breit und pastos, sondern glatt und fein, seine Farben¬ gebung ist mehr sorgfältig abgetönt, zuweilen mehr zart als kräftig. Selbst von seinen Porträts gelingen ihm die Bildnisse überwiegend verstandesmüßiger, kluger, feingebildeter und maßvoller Persönlichkeiten besser als die helden¬ hafter Naturen. Und damit hängt ein zweites zusammen, die Kehrseite seiner aristokratisch-monarchischen Auffassung. Er sieht die Dinge zu sehr, zu aus¬ schließlich von oben, in die Niederungen der Gesellschaft steigt er ungern hinab, er fühlt sich in diesen Regionen nicht wohl. Seine Bühne ist also zu klein, die Beleuchtung durchschnittlich zu hell, sodaß Treitschke nicht ohne Ironie von den „Rankischen Erzählungen" sprechen konnte, „wo eine helle Sonne einen kleinen Kreis lächelnder, satter Menschen bestrahlt." Es ist die klas¬ sische Bühne der „Iphigenie" und des „Tasso," nicht die volksmäßige, tiefe, breite Bühne des „Goetz" und des „Faust." Von jenen Schichten der Gesell¬ schaft, die mehr fühlen und empfinden als klar denken, mehr nach Gewohnheit und Instinkt handeln als zweckbewußt, sieht man bei Ranke nichts oder selten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/617>, abgerufen am 24.07.2024.