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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag

stellungsweise ist wesentlich bestimmt worden durch die Rilazioni jener feinen,
klugen venezianischen Gesandten, die, von einer staatsmännischen, hochgebildeten
Aristokratie ohnegleichen geschult und ihr verantwortlich, überall, in Konstan-
tinopel und Madrid, in Rom und Wien, in Paris und Florenz, mit den
Angen ihres Landsmannes Tizian sahen und mit seinem Pinsel malten. Und
daher verstand es sich für Ranke von selbst, daß ihm der Staat und der be¬
wußte persönliche Wille der Staatslenker durchaus und überall im Vorder¬
grunde der Betrachtungen steht, daß er politische Geschichte schreibt, nicht
Kultur- und Sozialgeschichte. Kamille er doch diese Kreise seiner eignen Zeit
aus persönlicher Erfahrung. Aber wer wie er überall nach den großen Zu¬
sammenhängen, nach den herrschenden Tendenzen sucht, der muß weit hinaus¬
sehen über die Welt, der kann sich nicht auf den immer verhältnismäßig engen
Horizont eines Staates oder Volkes, auch nicht seines eignen, beschränken, der
muß Weltgeschichte schreiben. So hat denn auch Rankes Forschung und Dar¬
stellung von Anfang an einen weiten Gesichtskreis umspannt. Schon seine
erste Arbeit behandelte die germanischen und romanischen Volker als ein großes
Ganze, seine Fürsten und Völker von Südenropa umfaßten fast den gesamten
Umfang der Mittelmeerländer, in den "Päpsten," dem Buche, das seinen Welt¬
ruhm begründete, sah er von der Höhe des Vatikans, mit Goethe zu reden,
die Reiche dieser Welt sehr klein zu seinen Füßen liegen, und auch wem? er
später deutsche und preußische, französische und englische Staatsgeschichte schrieb,
er faßte sie doch immer vom universalhistorischen Standpunkt aus, er sah seine
Hauptaufgabe darin, den Zusammenhang zwischen dem Einzelvolk und der
Welt und die Einwirkungen beider auf einander darzustellen; ja sein Interesse
für einen Staat begann eigentlich erst da, wo er welthistorisch wurde, selbst
sür Preußen. Ganz folgerichtig hat daher der Funfundachtzigjährige mit
der "Weltgeschichte" seine Wirksamkeit abgeschlossen, einem zusammenfassenden
Ergebnis durchweg eigner, nicht fremder Studien.

Damit war nun zugleich der Charakterzug gegeben, an den jeder zuerst denkt,
wenn von Ranke die Rede ist, seine Objektivität. Denn wessen Blick alle
Völker und Zeiten überschaut und Menschen der verschiedensten Art, der wird
sich allerdings kaum von heftiger Sympathie und Antipathie hinreißen lassen,
der wird wirklich sins irg. de> 8w<Jip schreiben, was der Urheber des Wortes,
Taeitus, bekanntlich durchaus nicht vermocht hat, denn er wird die relative
Berechtigung der einander bekämpfenden Gegensätze anerkennen, weil er ihren
Ursprung übersieht und sie also versteht, und er wird nur el" Ziel un Auge
haben, die Wahrheit, und "die Wahrheit kann nur eine sein!" Und so ist
Rankes Geschichtschreibung. Nicht daß ihm eine feste persönliche Überzeugung
gefehlt hätte, ganz im Gegenteil. Er war Zeit seines Lebens ein gläubiger
Christ und ein Protestant, ein Preuße, ein Deutscher und ein konservativer
Monarchist. Einfachere, schönere und wahrere Worte hat niemals ein Historiker
über Christus geschrieben, keiner hat Luther tiefer gefaßt, keiner würdiger das


Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag

stellungsweise ist wesentlich bestimmt worden durch die Rilazioni jener feinen,
klugen venezianischen Gesandten, die, von einer staatsmännischen, hochgebildeten
Aristokratie ohnegleichen geschult und ihr verantwortlich, überall, in Konstan-
tinopel und Madrid, in Rom und Wien, in Paris und Florenz, mit den
Angen ihres Landsmannes Tizian sahen und mit seinem Pinsel malten. Und
daher verstand es sich für Ranke von selbst, daß ihm der Staat und der be¬
wußte persönliche Wille der Staatslenker durchaus und überall im Vorder¬
grunde der Betrachtungen steht, daß er politische Geschichte schreibt, nicht
Kultur- und Sozialgeschichte. Kamille er doch diese Kreise seiner eignen Zeit
aus persönlicher Erfahrung. Aber wer wie er überall nach den großen Zu¬
sammenhängen, nach den herrschenden Tendenzen sucht, der muß weit hinaus¬
sehen über die Welt, der kann sich nicht auf den immer verhältnismäßig engen
Horizont eines Staates oder Volkes, auch nicht seines eignen, beschränken, der
muß Weltgeschichte schreiben. So hat denn auch Rankes Forschung und Dar¬
stellung von Anfang an einen weiten Gesichtskreis umspannt. Schon seine
erste Arbeit behandelte die germanischen und romanischen Volker als ein großes
Ganze, seine Fürsten und Völker von Südenropa umfaßten fast den gesamten
Umfang der Mittelmeerländer, in den „Päpsten," dem Buche, das seinen Welt¬
ruhm begründete, sah er von der Höhe des Vatikans, mit Goethe zu reden,
die Reiche dieser Welt sehr klein zu seinen Füßen liegen, und auch wem? er
später deutsche und preußische, französische und englische Staatsgeschichte schrieb,
er faßte sie doch immer vom universalhistorischen Standpunkt aus, er sah seine
Hauptaufgabe darin, den Zusammenhang zwischen dem Einzelvolk und der
Welt und die Einwirkungen beider auf einander darzustellen; ja sein Interesse
für einen Staat begann eigentlich erst da, wo er welthistorisch wurde, selbst
sür Preußen. Ganz folgerichtig hat daher der Funfundachtzigjährige mit
der „Weltgeschichte" seine Wirksamkeit abgeschlossen, einem zusammenfassenden
Ergebnis durchweg eigner, nicht fremder Studien.

Damit war nun zugleich der Charakterzug gegeben, an den jeder zuerst denkt,
wenn von Ranke die Rede ist, seine Objektivität. Denn wessen Blick alle
Völker und Zeiten überschaut und Menschen der verschiedensten Art, der wird
sich allerdings kaum von heftiger Sympathie und Antipathie hinreißen lassen,
der wird wirklich sins irg. de> 8w<Jip schreiben, was der Urheber des Wortes,
Taeitus, bekanntlich durchaus nicht vermocht hat, denn er wird die relative
Berechtigung der einander bekämpfenden Gegensätze anerkennen, weil er ihren
Ursprung übersieht und sie also versteht, und er wird nur el» Ziel un Auge
haben, die Wahrheit, und „die Wahrheit kann nur eine sein!" Und so ist
Rankes Geschichtschreibung. Nicht daß ihm eine feste persönliche Überzeugung
gefehlt hätte, ganz im Gegenteil. Er war Zeit seines Lebens ein gläubiger
Christ und ein Protestant, ein Preuße, ein Deutscher und ein konservativer
Monarchist. Einfachere, schönere und wahrere Worte hat niemals ein Historiker
über Christus geschrieben, keiner hat Luther tiefer gefaßt, keiner würdiger das


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[0615] Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag stellungsweise ist wesentlich bestimmt worden durch die Rilazioni jener feinen, klugen venezianischen Gesandten, die, von einer staatsmännischen, hochgebildeten Aristokratie ohnegleichen geschult und ihr verantwortlich, überall, in Konstan- tinopel und Madrid, in Rom und Wien, in Paris und Florenz, mit den Angen ihres Landsmannes Tizian sahen und mit seinem Pinsel malten. Und daher verstand es sich für Ranke von selbst, daß ihm der Staat und der be¬ wußte persönliche Wille der Staatslenker durchaus und überall im Vorder¬ grunde der Betrachtungen steht, daß er politische Geschichte schreibt, nicht Kultur- und Sozialgeschichte. Kamille er doch diese Kreise seiner eignen Zeit aus persönlicher Erfahrung. Aber wer wie er überall nach den großen Zu¬ sammenhängen, nach den herrschenden Tendenzen sucht, der muß weit hinaus¬ sehen über die Welt, der kann sich nicht auf den immer verhältnismäßig engen Horizont eines Staates oder Volkes, auch nicht seines eignen, beschränken, der muß Weltgeschichte schreiben. So hat denn auch Rankes Forschung und Dar¬ stellung von Anfang an einen weiten Gesichtskreis umspannt. Schon seine erste Arbeit behandelte die germanischen und romanischen Volker als ein großes Ganze, seine Fürsten und Völker von Südenropa umfaßten fast den gesamten Umfang der Mittelmeerländer, in den „Päpsten," dem Buche, das seinen Welt¬ ruhm begründete, sah er von der Höhe des Vatikans, mit Goethe zu reden, die Reiche dieser Welt sehr klein zu seinen Füßen liegen, und auch wem? er später deutsche und preußische, französische und englische Staatsgeschichte schrieb, er faßte sie doch immer vom universalhistorischen Standpunkt aus, er sah seine Hauptaufgabe darin, den Zusammenhang zwischen dem Einzelvolk und der Welt und die Einwirkungen beider auf einander darzustellen; ja sein Interesse für einen Staat begann eigentlich erst da, wo er welthistorisch wurde, selbst sür Preußen. Ganz folgerichtig hat daher der Funfundachtzigjährige mit der „Weltgeschichte" seine Wirksamkeit abgeschlossen, einem zusammenfassenden Ergebnis durchweg eigner, nicht fremder Studien. Damit war nun zugleich der Charakterzug gegeben, an den jeder zuerst denkt, wenn von Ranke die Rede ist, seine Objektivität. Denn wessen Blick alle Völker und Zeiten überschaut und Menschen der verschiedensten Art, der wird sich allerdings kaum von heftiger Sympathie und Antipathie hinreißen lassen, der wird wirklich sins irg. de> 8w<Jip schreiben, was der Urheber des Wortes, Taeitus, bekanntlich durchaus nicht vermocht hat, denn er wird die relative Berechtigung der einander bekämpfenden Gegensätze anerkennen, weil er ihren Ursprung übersieht und sie also versteht, und er wird nur el» Ziel un Auge haben, die Wahrheit, und „die Wahrheit kann nur eine sein!" Und so ist Rankes Geschichtschreibung. Nicht daß ihm eine feste persönliche Überzeugung gefehlt hätte, ganz im Gegenteil. Er war Zeit seines Lebens ein gläubiger Christ und ein Protestant, ein Preuße, ein Deutscher und ein konservativer Monarchist. Einfachere, schönere und wahrere Worte hat niemals ein Historiker über Christus geschrieben, keiner hat Luther tiefer gefaßt, keiner würdiger das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/615>, abgerufen am 24.07.2024.