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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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großen, allgemeinen, von Gott gewirkten Geistesbewegung, deren Träger nicht
ein einzelner, sondern viele und zwar besonders die Humanisten waren, das
alles mag mit dazu beigetragen haben, daß er sich des gewaltigen Einflusses,
den Luther auf ihn thatsächlich ausgeübt hat, nicht klar bewußt geworden ist.
Aber ich kann nicht leugnen, daß für mein Gefühl ein unerklärter und viel¬
leicht auch unerklürbarer Rest übrig bleibt, der eine gewisse tragische Schuld
Zwinglis einschließt. Mag er sich bewußt gewesen sein, mehr von Männern
wie Wyttenbach, Erasmus und Faber Stapulensis als von Luther gelernt zu
haben, mag er ein formelles Recht gehabt haben, das eigentliche Schüler-
verhültnis Luther gegenüber abzulehnen, so durfte er doch bei einer einiger¬
maßen ehrlichen Selbstprüfung nun und nimmer behaupten, daß er ganz un¬
abhängig von Luther geblieben, daß von dem Reichtum Luthers nichts auf
ihn gekommen sei. Warum vermied er es denn so peinlich, mit Luther ni
Verbindung zu treten? Warum trat er nicht frei und öffentlich in der Zeit
des großen Kampfes ganz auf die Seite des Mannes, mit dem er sich in seiner
Überzeugung eins wußte? "Nicht weil ich jemanden darob gefürchtet hätte,
sagt er selbst, sondern weil ich damit habe wollen allen Menschen offenbar
machen, wie einhellig der Geist Gottes sei, daß wir so weit von einander und
doch so einhellig die Lehre Christi ohne alle Verabredung verkündigen, obwohl
ich ihm nicht zuzuzählen bin; denn jeder thut, wie ihn Gott weist." Ich halte
diese Erklärung Zwinglis für eine Selbsttäuschung. Wie er sich nicht klar
darüber gewesen ist, wie sehr er von Luther beeinflußt worden ist, so ist er
sich auch über die Beweggründe nicht klar geworden, die ihn bei seiner sonder¬
baren Zurückhaltung Luther gegenüber bestimmt haben. Es ist ja gar nicht
einzusehen, warum die Einhelligkeit des göttlichen Geistes weniger ersichtlich
gewesen wäre, wenn Zwingli Luther als seinen Gesinnungsgenossen begrüßt
und es ihm offen ausgesprochen hätte, wie er ganz unabhängig von ihm zu
denselben Ergebnissen gelangt sei. Das wäre doch sicher das einfachste und
natürlichste gewesen, während Zwinglis angeblicher Beweggrund doch eine recht
künstliche Berechnung ist. Man hat dabei den Eindruck, daß er das Bedürfnis
gehabt habe, sich sein sonderbares Verhalten nachträglich selbst zurechtzulegen.
Im Grunde war es doch wohl seine kluge diplomatische Vorsicht, die ihn an¬
fangs hinderte, ganz auf Luthers Seite zu treten, und das Streben, seine ver¬
meintliche volle Selbständigkeit zu wahren, ließ ihn dieses unnatürliche Ver¬
hältnis auch späterhin aufrecht erhalten. Thatsächlich wurde dadurch die "Ein¬
helligkeit des Geistes" uicht erwiesen, sondern ernstlich in Frage gestellt. Die
Folge war, daß Luther, als er ihn znerst in dem Sakramentsstreit kennen
lernte, ihn in der Reihe seiner Gegner, auf der Seite Karlstadts und der
"Schwarmgeister" fand. Das hat sich bei dein Neligivnsgespräch zu Marburg
gerächt. Oft, genng ist Luther seine Schroffheit bei diesem Gespräch, mit der
er "um eines Wortes willen" die Hand der Versöhnung zurückwies, zum Vor-


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großen, allgemeinen, von Gott gewirkten Geistesbewegung, deren Träger nicht
ein einzelner, sondern viele und zwar besonders die Humanisten waren, das
alles mag mit dazu beigetragen haben, daß er sich des gewaltigen Einflusses,
den Luther auf ihn thatsächlich ausgeübt hat, nicht klar bewußt geworden ist.
Aber ich kann nicht leugnen, daß für mein Gefühl ein unerklärter und viel¬
leicht auch unerklürbarer Rest übrig bleibt, der eine gewisse tragische Schuld
Zwinglis einschließt. Mag er sich bewußt gewesen sein, mehr von Männern
wie Wyttenbach, Erasmus und Faber Stapulensis als von Luther gelernt zu
haben, mag er ein formelles Recht gehabt haben, das eigentliche Schüler-
verhültnis Luther gegenüber abzulehnen, so durfte er doch bei einer einiger¬
maßen ehrlichen Selbstprüfung nun und nimmer behaupten, daß er ganz un¬
abhängig von Luther geblieben, daß von dem Reichtum Luthers nichts auf
ihn gekommen sei. Warum vermied er es denn so peinlich, mit Luther ni
Verbindung zu treten? Warum trat er nicht frei und öffentlich in der Zeit
des großen Kampfes ganz auf die Seite des Mannes, mit dem er sich in seiner
Überzeugung eins wußte? „Nicht weil ich jemanden darob gefürchtet hätte,
sagt er selbst, sondern weil ich damit habe wollen allen Menschen offenbar
machen, wie einhellig der Geist Gottes sei, daß wir so weit von einander und
doch so einhellig die Lehre Christi ohne alle Verabredung verkündigen, obwohl
ich ihm nicht zuzuzählen bin; denn jeder thut, wie ihn Gott weist." Ich halte
diese Erklärung Zwinglis für eine Selbsttäuschung. Wie er sich nicht klar
darüber gewesen ist, wie sehr er von Luther beeinflußt worden ist, so ist er
sich auch über die Beweggründe nicht klar geworden, die ihn bei seiner sonder¬
baren Zurückhaltung Luther gegenüber bestimmt haben. Es ist ja gar nicht
einzusehen, warum die Einhelligkeit des göttlichen Geistes weniger ersichtlich
gewesen wäre, wenn Zwingli Luther als seinen Gesinnungsgenossen begrüßt
und es ihm offen ausgesprochen hätte, wie er ganz unabhängig von ihm zu
denselben Ergebnissen gelangt sei. Das wäre doch sicher das einfachste und
natürlichste gewesen, während Zwinglis angeblicher Beweggrund doch eine recht
künstliche Berechnung ist. Man hat dabei den Eindruck, daß er das Bedürfnis
gehabt habe, sich sein sonderbares Verhalten nachträglich selbst zurechtzulegen.
Im Grunde war es doch wohl seine kluge diplomatische Vorsicht, die ihn an¬
fangs hinderte, ganz auf Luthers Seite zu treten, und das Streben, seine ver¬
meintliche volle Selbständigkeit zu wahren, ließ ihn dieses unnatürliche Ver¬
hältnis auch späterhin aufrecht erhalten. Thatsächlich wurde dadurch die „Ein¬
helligkeit des Geistes" uicht erwiesen, sondern ernstlich in Frage gestellt. Die
Folge war, daß Luther, als er ihn znerst in dem Sakramentsstreit kennen
lernte, ihn in der Reihe seiner Gegner, auf der Seite Karlstadts und der
„Schwarmgeister" fand. Das hat sich bei dein Neligivnsgespräch zu Marburg
gerächt. Oft, genng ist Luther seine Schroffheit bei diesem Gespräch, mit der
er „um eines Wortes willen" die Hand der Versöhnung zurückwies, zum Vor-


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[0584] Zwingli großen, allgemeinen, von Gott gewirkten Geistesbewegung, deren Träger nicht ein einzelner, sondern viele und zwar besonders die Humanisten waren, das alles mag mit dazu beigetragen haben, daß er sich des gewaltigen Einflusses, den Luther auf ihn thatsächlich ausgeübt hat, nicht klar bewußt geworden ist. Aber ich kann nicht leugnen, daß für mein Gefühl ein unerklärter und viel¬ leicht auch unerklürbarer Rest übrig bleibt, der eine gewisse tragische Schuld Zwinglis einschließt. Mag er sich bewußt gewesen sein, mehr von Männern wie Wyttenbach, Erasmus und Faber Stapulensis als von Luther gelernt zu haben, mag er ein formelles Recht gehabt haben, das eigentliche Schüler- verhültnis Luther gegenüber abzulehnen, so durfte er doch bei einer einiger¬ maßen ehrlichen Selbstprüfung nun und nimmer behaupten, daß er ganz un¬ abhängig von Luther geblieben, daß von dem Reichtum Luthers nichts auf ihn gekommen sei. Warum vermied er es denn so peinlich, mit Luther ni Verbindung zu treten? Warum trat er nicht frei und öffentlich in der Zeit des großen Kampfes ganz auf die Seite des Mannes, mit dem er sich in seiner Überzeugung eins wußte? „Nicht weil ich jemanden darob gefürchtet hätte, sagt er selbst, sondern weil ich damit habe wollen allen Menschen offenbar machen, wie einhellig der Geist Gottes sei, daß wir so weit von einander und doch so einhellig die Lehre Christi ohne alle Verabredung verkündigen, obwohl ich ihm nicht zuzuzählen bin; denn jeder thut, wie ihn Gott weist." Ich halte diese Erklärung Zwinglis für eine Selbsttäuschung. Wie er sich nicht klar darüber gewesen ist, wie sehr er von Luther beeinflußt worden ist, so ist er sich auch über die Beweggründe nicht klar geworden, die ihn bei seiner sonder¬ baren Zurückhaltung Luther gegenüber bestimmt haben. Es ist ja gar nicht einzusehen, warum die Einhelligkeit des göttlichen Geistes weniger ersichtlich gewesen wäre, wenn Zwingli Luther als seinen Gesinnungsgenossen begrüßt und es ihm offen ausgesprochen hätte, wie er ganz unabhängig von ihm zu denselben Ergebnissen gelangt sei. Das wäre doch sicher das einfachste und natürlichste gewesen, während Zwinglis angeblicher Beweggrund doch eine recht künstliche Berechnung ist. Man hat dabei den Eindruck, daß er das Bedürfnis gehabt habe, sich sein sonderbares Verhalten nachträglich selbst zurechtzulegen. Im Grunde war es doch wohl seine kluge diplomatische Vorsicht, die ihn an¬ fangs hinderte, ganz auf Luthers Seite zu treten, und das Streben, seine ver¬ meintliche volle Selbständigkeit zu wahren, ließ ihn dieses unnatürliche Ver¬ hältnis auch späterhin aufrecht erhalten. Thatsächlich wurde dadurch die „Ein¬ helligkeit des Geistes" uicht erwiesen, sondern ernstlich in Frage gestellt. Die Folge war, daß Luther, als er ihn znerst in dem Sakramentsstreit kennen lernte, ihn in der Reihe seiner Gegner, auf der Seite Karlstadts und der „Schwarmgeister" fand. Das hat sich bei dein Neligivnsgespräch zu Marburg gerächt. Oft, genng ist Luther seine Schroffheit bei diesem Gespräch, mit der er „um eines Wortes willen" die Hand der Versöhnung zurückwies, zum Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/584>, abgerufen am 24.07.2024.