Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.Zwingli den mutigen Gesinnungsgenossen, der es zuerst offen auszusprechen wagte, Trotz dieser feierlichen Versicherung muß es, wie aus Staehelins Dar¬ Zwingli den mutigen Gesinnungsgenossen, der es zuerst offen auszusprechen wagte, Trotz dieser feierlichen Versicherung muß es, wie aus Staehelins Dar¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0582" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221556"/> <fw type="header" place="top"> Zwingli</fw><lb/> <p xml:id="ID_1919" prev="#ID_1918"> den mutigen Gesinnungsgenossen, der es zuerst offen auszusprechen wagte,<lb/> was er selbst und viele mit ihm als „die Hauptsache der Religion" richtig<lb/> erkannt hatten. Aber er leugnet rundweg, etwas von Luther gelernt zu haben,<lb/> von Luther beeinflußt worden zu sein. „Luther hat mich nicht unterwiesen,"<lb/> schreibt er 1523. Sein Name sei ihm noch zwei Jahre lang unbekannt ge¬<lb/> wesen, nachdem er sich allein an die heilige Schrift gehalten habe. Er habe<lb/> seine Lehre aus dem „Selbstwort Gottes." Im Jahre 1527 schreibt er an<lb/> Luther selbst: „Ich habe von jeher meine Lehrer wie meine Eltern geehrt und<lb/> vor allen die, die mich in der Erkenntnis der göttlichen und menschlichen<lb/> Wahrheit gefördert haben. Warum sollte ich es also nicht eingestehen, wenn<lb/> von dem Reichtum, den dir Gott geschenkt hat, auch auf mich etwas gekommen<lb/> wäre? Aber ich will dir zeigen, wie sich die Sache verhält. Schon ehe<lb/> der Name Luther anfing berühmt zu werden, hat es viele und treffliche<lb/> Männer gegeben, die erkannten, worauf es in der Religion ankommt, und die<lb/> von ganz andern Lehrern, als du meinst, ihre Erkenntnis empfangen haben.<lb/> Von mir selbst bezeuge ich vor Gott: ich habe die Kraft und das Wesen des<lb/> Evangeliums teils aus dem Studium des Johannes und des Augustinus, teils<lb/> aus dem griechischen Text der Briefe des Paulus gelernt, die ich bereits vor<lb/> elf Jahren abgeschrieben habe, während du erst seit acht Jahren zu herrschen<lb/> angefangen hast."</p><lb/> <p xml:id="ID_1920" next="#ID_1921"> Trotz dieser feierlichen Versicherung muß es, wie aus Staehelins Dar¬<lb/> stellung klar hervorgeht, als erwiesen betrachtet werden, daß Zwingli nicht un¬<lb/> wesentlich in seinen theologischen Anschauungen von Luther beeinflußt worden<lb/> ist. Zwingli war anfangs in seiner Auffassung der evangelischen Lehre be¬<lb/> sonders von Erasmus bestimmt. „Er lehrte die Freiheit des menschlichen<lb/> Willens gegenüber Gott und sah demgemäß auch im Evangelium mehr das<lb/> vollkommne, geistig gedeutete Gesetz als die mit Gott versöhnende, die Ge¬<lb/> wissen reinigende Offenbarung der göttlichen Gnade." Mit diesen Anschauungen<lb/> Zwinglis vollzieht sich eine auffallende Wandlung im Jahre 1519. Dafür<lb/> bieten die eigenhändigen Randbemerkungen Zwinglis zu seiner Abschrift der<lb/> paulinischen Briefe einen sichern Anhalt. Da in den Briefen Zwinglis seit<lb/> 1519 gewisse Eigentümlichkeiten der Schriftzüge verschwinden, hat man diese<lb/> Randbemerkungen in zwei Gruppen teilen können, von denen die eine schon<lb/> zu Einsiedeln, die andre erst nach dem Sommer 1519 in Zürich niederge¬<lb/> schrieben ist. In dieser spätern Zeit ist aber die Auffassung Zwinglis ganz anders<lb/> als vorher. Er erkennt jetzt, daß der sündige Mensch Gott gegenüber unfrei ist<lb/> und unfähig ist, sich selbst das Heil zu erwerben, und daß der Mensch allein<lb/> durch Gottes Gnade gerettet wird. Die Grundwahrheit des Evangeliums,<lb/> aus die Luther sein ganzes Werk gründete, ist ihm aufgegangen. Gerade in<lb/> dieser Zeit hat aber Zwingli Luthers Schriften eifrig gelesen. „Es kann nicht<lb/> zufällig sein, sagt staehelin, daß diese neuen Erkenntnisse eben in dem Zeit-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0582]
Zwingli
den mutigen Gesinnungsgenossen, der es zuerst offen auszusprechen wagte,
was er selbst und viele mit ihm als „die Hauptsache der Religion" richtig
erkannt hatten. Aber er leugnet rundweg, etwas von Luther gelernt zu haben,
von Luther beeinflußt worden zu sein. „Luther hat mich nicht unterwiesen,"
schreibt er 1523. Sein Name sei ihm noch zwei Jahre lang unbekannt ge¬
wesen, nachdem er sich allein an die heilige Schrift gehalten habe. Er habe
seine Lehre aus dem „Selbstwort Gottes." Im Jahre 1527 schreibt er an
Luther selbst: „Ich habe von jeher meine Lehrer wie meine Eltern geehrt und
vor allen die, die mich in der Erkenntnis der göttlichen und menschlichen
Wahrheit gefördert haben. Warum sollte ich es also nicht eingestehen, wenn
von dem Reichtum, den dir Gott geschenkt hat, auch auf mich etwas gekommen
wäre? Aber ich will dir zeigen, wie sich die Sache verhält. Schon ehe
der Name Luther anfing berühmt zu werden, hat es viele und treffliche
Männer gegeben, die erkannten, worauf es in der Religion ankommt, und die
von ganz andern Lehrern, als du meinst, ihre Erkenntnis empfangen haben.
Von mir selbst bezeuge ich vor Gott: ich habe die Kraft und das Wesen des
Evangeliums teils aus dem Studium des Johannes und des Augustinus, teils
aus dem griechischen Text der Briefe des Paulus gelernt, die ich bereits vor
elf Jahren abgeschrieben habe, während du erst seit acht Jahren zu herrschen
angefangen hast."
Trotz dieser feierlichen Versicherung muß es, wie aus Staehelins Dar¬
stellung klar hervorgeht, als erwiesen betrachtet werden, daß Zwingli nicht un¬
wesentlich in seinen theologischen Anschauungen von Luther beeinflußt worden
ist. Zwingli war anfangs in seiner Auffassung der evangelischen Lehre be¬
sonders von Erasmus bestimmt. „Er lehrte die Freiheit des menschlichen
Willens gegenüber Gott und sah demgemäß auch im Evangelium mehr das
vollkommne, geistig gedeutete Gesetz als die mit Gott versöhnende, die Ge¬
wissen reinigende Offenbarung der göttlichen Gnade." Mit diesen Anschauungen
Zwinglis vollzieht sich eine auffallende Wandlung im Jahre 1519. Dafür
bieten die eigenhändigen Randbemerkungen Zwinglis zu seiner Abschrift der
paulinischen Briefe einen sichern Anhalt. Da in den Briefen Zwinglis seit
1519 gewisse Eigentümlichkeiten der Schriftzüge verschwinden, hat man diese
Randbemerkungen in zwei Gruppen teilen können, von denen die eine schon
zu Einsiedeln, die andre erst nach dem Sommer 1519 in Zürich niederge¬
schrieben ist. In dieser spätern Zeit ist aber die Auffassung Zwinglis ganz anders
als vorher. Er erkennt jetzt, daß der sündige Mensch Gott gegenüber unfrei ist
und unfähig ist, sich selbst das Heil zu erwerben, und daß der Mensch allein
durch Gottes Gnade gerettet wird. Die Grundwahrheit des Evangeliums,
aus die Luther sein ganzes Werk gründete, ist ihm aufgegangen. Gerade in
dieser Zeit hat aber Zwingli Luthers Schriften eifrig gelesen. „Es kann nicht
zufällig sein, sagt staehelin, daß diese neuen Erkenntnisse eben in dem Zeit-
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