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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Malerei und Zeichnung

eine große Vervielfältigung des Tendenzbildes zulassen, so liegt der Grund
offenbar nicht bloß darin, daß die Zeichnung den Gedanken gewissermaßen
nackter heraustreten läßt als eine andre Art der bildlichen Darstellung, sondern
auch darin, daß bei solchen Schilderungen, wie in der Regel auch bei den
satirischen Blättern, eine Wirkung in weite Kreise beabsichtigt ist, eine Massen-
Wirkung, die durch die leichte Vervielfältigung der Darstellung ermöglicht wird.

Das Häßliche kann hier durch die Tendenz genügend gerechtfertigt sein.
Aber auch aus andern, zum Teil schon angedeuteten Gründen kann seine Dar¬
stellung berechtigt erscheinen. Immer ist sie es dann, wenn sich das Häßliche
in irgend einem Sinne als ein überwundnes zeigt, wenn es in einer Kontrast-
wirknng nur als Mittel der Charakteristik dient, oder wenn in der Form
des Häßlichen selbst -- auch das ist ja möglich -- ein Gehalt von positiver
Bedeutung zum Ausdruck kommt. In der geistreichen Karrikatur erscheint das
Häßliche gewissermaßen durch sich selbst gerichtet und vernichtet; eine andre
Art der Überwindung des Häßlichen kann im Komischen und Humoristischen
liegen, als Kontrastmittel kann es dazu dienen, den Eindruck einer sieghaften
Schönheit zu erhöhen -- in dem Teppichkarton der Heilung des Lahmen ist
auch Raffael in der Charakteristik der beiden Krüppel vor der Darstellung
einer furchtbaren Häßlichkeit nicht zurückgeschreckt --, endlich aber kann auch
in der Mißgestalt selbst etwas geistig bedeutsames aufleuchten, die häßliche
Form selbst kann durch den seelischen Ausdruck verklärt werden, und oft
liegt gerade in solchen Erscheinungen, wie so häufig bei Rembrandt, etwas
eigentümlich und tief ergreifendes.

Wenn das Häßliche in einer Art von Wahnsinn um des Häßlichen willen
gesucht wird als ein Reizmittel für abgenutzte Nerven, so bleibt in der Regel
die bekannte sophistische Verteidigung des "rein künstlerischen Standpunkts"
nicht ans: was liegt am Gegenstande, mag er der häßlichste sein, wenn er
nur schön behandelt ist! Die Virtuosität der Behandlung gilt dann unter
allen Umständen als eine hinreichende künstlerische Rechtfertigung. Möglich ist
es freilich, von der Häßlichkeit des Gegenstandes in kühler Ruhe zu abstrahiren
und sich bloß an der Virtuosität der Behandlung zu vergnügen, dann aber
wird Lessing doch schießlich Recht behalten, der von einem derartigen Vergnügen
sehr gelassen sagt: "Es wird alle Augenblicke durch die Überlegung unterbrochen,
wie übel die Kunst angewendet worden, und diese Überlegung wird selten ver¬
fehlen, die Geringschätzung des Künstlers nach sich zu ziehen."

Die Rechtfertigungsversuche Klingers, die in seiner Schrift so sehr in
den Vordergrund treten, waren zum Teil wohl durch subjektive, persönliche
Gründe veranlaßt. Klinger selbst hat in einer großen Zahl seiner Radirungen,
in einzelnen Blättern und in zyklische,: Kompositionen, Motive behandelt, die
ganz jener dunkeln Seite, der Nachtseite des Lebens angehören; jene Recht¬
fertigungsversuche kann man also gewissermaßen als eine orativ xro äomo be-


Malerei und Zeichnung

eine große Vervielfältigung des Tendenzbildes zulassen, so liegt der Grund
offenbar nicht bloß darin, daß die Zeichnung den Gedanken gewissermaßen
nackter heraustreten läßt als eine andre Art der bildlichen Darstellung, sondern
auch darin, daß bei solchen Schilderungen, wie in der Regel auch bei den
satirischen Blättern, eine Wirkung in weite Kreise beabsichtigt ist, eine Massen-
Wirkung, die durch die leichte Vervielfältigung der Darstellung ermöglicht wird.

Das Häßliche kann hier durch die Tendenz genügend gerechtfertigt sein.
Aber auch aus andern, zum Teil schon angedeuteten Gründen kann seine Dar¬
stellung berechtigt erscheinen. Immer ist sie es dann, wenn sich das Häßliche
in irgend einem Sinne als ein überwundnes zeigt, wenn es in einer Kontrast-
wirknng nur als Mittel der Charakteristik dient, oder wenn in der Form
des Häßlichen selbst — auch das ist ja möglich — ein Gehalt von positiver
Bedeutung zum Ausdruck kommt. In der geistreichen Karrikatur erscheint das
Häßliche gewissermaßen durch sich selbst gerichtet und vernichtet; eine andre
Art der Überwindung des Häßlichen kann im Komischen und Humoristischen
liegen, als Kontrastmittel kann es dazu dienen, den Eindruck einer sieghaften
Schönheit zu erhöhen — in dem Teppichkarton der Heilung des Lahmen ist
auch Raffael in der Charakteristik der beiden Krüppel vor der Darstellung
einer furchtbaren Häßlichkeit nicht zurückgeschreckt —, endlich aber kann auch
in der Mißgestalt selbst etwas geistig bedeutsames aufleuchten, die häßliche
Form selbst kann durch den seelischen Ausdruck verklärt werden, und oft
liegt gerade in solchen Erscheinungen, wie so häufig bei Rembrandt, etwas
eigentümlich und tief ergreifendes.

Wenn das Häßliche in einer Art von Wahnsinn um des Häßlichen willen
gesucht wird als ein Reizmittel für abgenutzte Nerven, so bleibt in der Regel
die bekannte sophistische Verteidigung des „rein künstlerischen Standpunkts"
nicht ans: was liegt am Gegenstande, mag er der häßlichste sein, wenn er
nur schön behandelt ist! Die Virtuosität der Behandlung gilt dann unter
allen Umständen als eine hinreichende künstlerische Rechtfertigung. Möglich ist
es freilich, von der Häßlichkeit des Gegenstandes in kühler Ruhe zu abstrahiren
und sich bloß an der Virtuosität der Behandlung zu vergnügen, dann aber
wird Lessing doch schießlich Recht behalten, der von einem derartigen Vergnügen
sehr gelassen sagt: „Es wird alle Augenblicke durch die Überlegung unterbrochen,
wie übel die Kunst angewendet worden, und diese Überlegung wird selten ver¬
fehlen, die Geringschätzung des Künstlers nach sich zu ziehen."

Die Rechtfertigungsversuche Klingers, die in seiner Schrift so sehr in
den Vordergrund treten, waren zum Teil wohl durch subjektive, persönliche
Gründe veranlaßt. Klinger selbst hat in einer großen Zahl seiner Radirungen,
in einzelnen Blättern und in zyklische,: Kompositionen, Motive behandelt, die
ganz jener dunkeln Seite, der Nachtseite des Lebens angehören; jene Recht¬
fertigungsversuche kann man also gewissermaßen als eine orativ xro äomo be-


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[0545] Malerei und Zeichnung eine große Vervielfältigung des Tendenzbildes zulassen, so liegt der Grund offenbar nicht bloß darin, daß die Zeichnung den Gedanken gewissermaßen nackter heraustreten läßt als eine andre Art der bildlichen Darstellung, sondern auch darin, daß bei solchen Schilderungen, wie in der Regel auch bei den satirischen Blättern, eine Wirkung in weite Kreise beabsichtigt ist, eine Massen- Wirkung, die durch die leichte Vervielfältigung der Darstellung ermöglicht wird. Das Häßliche kann hier durch die Tendenz genügend gerechtfertigt sein. Aber auch aus andern, zum Teil schon angedeuteten Gründen kann seine Dar¬ stellung berechtigt erscheinen. Immer ist sie es dann, wenn sich das Häßliche in irgend einem Sinne als ein überwundnes zeigt, wenn es in einer Kontrast- wirknng nur als Mittel der Charakteristik dient, oder wenn in der Form des Häßlichen selbst — auch das ist ja möglich — ein Gehalt von positiver Bedeutung zum Ausdruck kommt. In der geistreichen Karrikatur erscheint das Häßliche gewissermaßen durch sich selbst gerichtet und vernichtet; eine andre Art der Überwindung des Häßlichen kann im Komischen und Humoristischen liegen, als Kontrastmittel kann es dazu dienen, den Eindruck einer sieghaften Schönheit zu erhöhen — in dem Teppichkarton der Heilung des Lahmen ist auch Raffael in der Charakteristik der beiden Krüppel vor der Darstellung einer furchtbaren Häßlichkeit nicht zurückgeschreckt —, endlich aber kann auch in der Mißgestalt selbst etwas geistig bedeutsames aufleuchten, die häßliche Form selbst kann durch den seelischen Ausdruck verklärt werden, und oft liegt gerade in solchen Erscheinungen, wie so häufig bei Rembrandt, etwas eigentümlich und tief ergreifendes. Wenn das Häßliche in einer Art von Wahnsinn um des Häßlichen willen gesucht wird als ein Reizmittel für abgenutzte Nerven, so bleibt in der Regel die bekannte sophistische Verteidigung des „rein künstlerischen Standpunkts" nicht ans: was liegt am Gegenstande, mag er der häßlichste sein, wenn er nur schön behandelt ist! Die Virtuosität der Behandlung gilt dann unter allen Umständen als eine hinreichende künstlerische Rechtfertigung. Möglich ist es freilich, von der Häßlichkeit des Gegenstandes in kühler Ruhe zu abstrahiren und sich bloß an der Virtuosität der Behandlung zu vergnügen, dann aber wird Lessing doch schießlich Recht behalten, der von einem derartigen Vergnügen sehr gelassen sagt: „Es wird alle Augenblicke durch die Überlegung unterbrochen, wie übel die Kunst angewendet worden, und diese Überlegung wird selten ver¬ fehlen, die Geringschätzung des Künstlers nach sich zu ziehen." Die Rechtfertigungsversuche Klingers, die in seiner Schrift so sehr in den Vordergrund treten, waren zum Teil wohl durch subjektive, persönliche Gründe veranlaßt. Klinger selbst hat in einer großen Zahl seiner Radirungen, in einzelnen Blättern und in zyklische,: Kompositionen, Motive behandelt, die ganz jener dunkeln Seite, der Nachtseite des Lebens angehören; jene Recht¬ fertigungsversuche kann man also gewissermaßen als eine orativ xro äomo be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/545>, abgerufen am 24.08.2024.