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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Malerei und Zeichnung

und die vorwiegende Geistigkeit des Ganzen es nicht verträgt, in den vollen
Schein der Realität, wie ihn die Farbe giebt, hereinversetzt zu werden." Anton
Springer bemerkt in seinem Aufsatz über den altdeutschen Holzschnitt und Kupfer¬
stich, daß niemand von diesen Kunstweisen eine bis zur Täuschung treue und
lebendige Wiedergabe der Natur verlange, jeder Unbefangne wisse, daß dieses
die Grenzen ihres Wirkungskreises weit überschreite, daß ihr künstlerischer Wert
in einer andern Richtung gesucht werden müsse; da sie keine selbständige, ihr
Recht trotzig fordernde Formenwelt kennten, wie die farbenreiche Malerei, so
sei hier der Phantasie des Künstlers, seiner poetischen Kraft ein weiter Spiel¬
raum gewährt; auch das Phantastische und Märchenhafte finde hier seinen
rechten Platz. Eduard v. Hartmann sagt in seiner Ästhetik, wo er von der
Zeichnung als freien und selbständigem Kunstwerk und von den ästhetischen
Gründen spricht, die zur Abstraktion von der Farbe nötigen: diese Nötigung
liege vor allem da vor, wo die sujets der Darstellung aus einer nicht
bloß imaginären, sondern geradezu mit der Realität in Widerspruch stehenden
Welt entlehnt sind, z. B. bei Gegenständen der Tierfabel. Auch für die reine
Allegorie eigne sich die Zeichnung besser als die andern bildenden Künste, weil
sie sich eher mit einem idealen Gehalt von einer gewissen Abstraktheit vertrage.
Wenn eine Darstellung aus der Märchenwelt nicht völlig auf die Farbe ver¬
zichte, so werde sie doch desto sicherer von einer naturtreuen Behandlung des
Kolorits absehen usw.

Was Klinger über das ideelle Wesen der Zeichnung bemerkt, zum Teil
in etwas gesuchten Wendungen, stimmt in der Hauptsache mit diesen allbe¬
kannten Ansichten überein. Immer läuft es darauf hinaus, daß gewisse Phan¬
tasiebilder, die sich durch die Malerei nicht oder nur bedingterweise darstellen
lassen, in der Zeichnung darstellbar sind. Die Malerei wie die Skulptur
"legt überall den strengen, nicht abzuwerfenden Zaum der Naturbedingungen
auf"; weil die Zeichnung nicht ebenso fest an diese Bedingungen gebunden ist,
kann sich die Phantasie in ihr freier ergehen, sie kann ungehemmter poetisiren
und sabuliren als in andern bildnerischen Formen. Auch da, wo der Künstler
mehr auf den Verstand als auf die Vorstellungskraft des Betrachters ein¬
wirken will, wo es ihm darauf ankommt, gewisse Jdeenverbindungen anzu¬
regen, auch da bietet sich ihm die Zeichnung als angemessenes Darstellungs¬
mittel.

An zwei Stellen wird nun auch das Thema von der Darstellung des
Häßlichen wieder berührt, aber ohne jede Beziehung auf das früher darüber
gesagte. "Alle Künstler der Zeichnung, heißt es an der einen Stelle, ent¬
wickeln in ihren Werken einen auffallenden Zug von Ironie, Satire, Karri-
katur." Alle Künstler der Zeichnung? Wie steht es mit Ludwig Richter und
Moritz Schwind? "Mit Vorliebe, heißt es weiter, heben sie (die Zeichner)
das Schwache, das Harte, Schlechte hervor. Aus ihren Werken bricht fast


Malerei und Zeichnung

und die vorwiegende Geistigkeit des Ganzen es nicht verträgt, in den vollen
Schein der Realität, wie ihn die Farbe giebt, hereinversetzt zu werden." Anton
Springer bemerkt in seinem Aufsatz über den altdeutschen Holzschnitt und Kupfer¬
stich, daß niemand von diesen Kunstweisen eine bis zur Täuschung treue und
lebendige Wiedergabe der Natur verlange, jeder Unbefangne wisse, daß dieses
die Grenzen ihres Wirkungskreises weit überschreite, daß ihr künstlerischer Wert
in einer andern Richtung gesucht werden müsse; da sie keine selbständige, ihr
Recht trotzig fordernde Formenwelt kennten, wie die farbenreiche Malerei, so
sei hier der Phantasie des Künstlers, seiner poetischen Kraft ein weiter Spiel¬
raum gewährt; auch das Phantastische und Märchenhafte finde hier seinen
rechten Platz. Eduard v. Hartmann sagt in seiner Ästhetik, wo er von der
Zeichnung als freien und selbständigem Kunstwerk und von den ästhetischen
Gründen spricht, die zur Abstraktion von der Farbe nötigen: diese Nötigung
liege vor allem da vor, wo die sujets der Darstellung aus einer nicht
bloß imaginären, sondern geradezu mit der Realität in Widerspruch stehenden
Welt entlehnt sind, z. B. bei Gegenständen der Tierfabel. Auch für die reine
Allegorie eigne sich die Zeichnung besser als die andern bildenden Künste, weil
sie sich eher mit einem idealen Gehalt von einer gewissen Abstraktheit vertrage.
Wenn eine Darstellung aus der Märchenwelt nicht völlig auf die Farbe ver¬
zichte, so werde sie doch desto sicherer von einer naturtreuen Behandlung des
Kolorits absehen usw.

Was Klinger über das ideelle Wesen der Zeichnung bemerkt, zum Teil
in etwas gesuchten Wendungen, stimmt in der Hauptsache mit diesen allbe¬
kannten Ansichten überein. Immer läuft es darauf hinaus, daß gewisse Phan¬
tasiebilder, die sich durch die Malerei nicht oder nur bedingterweise darstellen
lassen, in der Zeichnung darstellbar sind. Die Malerei wie die Skulptur
»legt überall den strengen, nicht abzuwerfenden Zaum der Naturbedingungen
auf"; weil die Zeichnung nicht ebenso fest an diese Bedingungen gebunden ist,
kann sich die Phantasie in ihr freier ergehen, sie kann ungehemmter poetisiren
und sabuliren als in andern bildnerischen Formen. Auch da, wo der Künstler
mehr auf den Verstand als auf die Vorstellungskraft des Betrachters ein¬
wirken will, wo es ihm darauf ankommt, gewisse Jdeenverbindungen anzu¬
regen, auch da bietet sich ihm die Zeichnung als angemessenes Darstellungs¬
mittel.

An zwei Stellen wird nun auch das Thema von der Darstellung des
Häßlichen wieder berührt, aber ohne jede Beziehung auf das früher darüber
gesagte. „Alle Künstler der Zeichnung, heißt es an der einen Stelle, ent¬
wickeln in ihren Werken einen auffallenden Zug von Ironie, Satire, Karri-
katur." Alle Künstler der Zeichnung? Wie steht es mit Ludwig Richter und
Moritz Schwind? „Mit Vorliebe, heißt es weiter, heben sie (die Zeichner)
das Schwache, das Harte, Schlechte hervor. Aus ihren Werken bricht fast


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[0541] Malerei und Zeichnung und die vorwiegende Geistigkeit des Ganzen es nicht verträgt, in den vollen Schein der Realität, wie ihn die Farbe giebt, hereinversetzt zu werden." Anton Springer bemerkt in seinem Aufsatz über den altdeutschen Holzschnitt und Kupfer¬ stich, daß niemand von diesen Kunstweisen eine bis zur Täuschung treue und lebendige Wiedergabe der Natur verlange, jeder Unbefangne wisse, daß dieses die Grenzen ihres Wirkungskreises weit überschreite, daß ihr künstlerischer Wert in einer andern Richtung gesucht werden müsse; da sie keine selbständige, ihr Recht trotzig fordernde Formenwelt kennten, wie die farbenreiche Malerei, so sei hier der Phantasie des Künstlers, seiner poetischen Kraft ein weiter Spiel¬ raum gewährt; auch das Phantastische und Märchenhafte finde hier seinen rechten Platz. Eduard v. Hartmann sagt in seiner Ästhetik, wo er von der Zeichnung als freien und selbständigem Kunstwerk und von den ästhetischen Gründen spricht, die zur Abstraktion von der Farbe nötigen: diese Nötigung liege vor allem da vor, wo die sujets der Darstellung aus einer nicht bloß imaginären, sondern geradezu mit der Realität in Widerspruch stehenden Welt entlehnt sind, z. B. bei Gegenständen der Tierfabel. Auch für die reine Allegorie eigne sich die Zeichnung besser als die andern bildenden Künste, weil sie sich eher mit einem idealen Gehalt von einer gewissen Abstraktheit vertrage. Wenn eine Darstellung aus der Märchenwelt nicht völlig auf die Farbe ver¬ zichte, so werde sie doch desto sicherer von einer naturtreuen Behandlung des Kolorits absehen usw. Was Klinger über das ideelle Wesen der Zeichnung bemerkt, zum Teil in etwas gesuchten Wendungen, stimmt in der Hauptsache mit diesen allbe¬ kannten Ansichten überein. Immer läuft es darauf hinaus, daß gewisse Phan¬ tasiebilder, die sich durch die Malerei nicht oder nur bedingterweise darstellen lassen, in der Zeichnung darstellbar sind. Die Malerei wie die Skulptur »legt überall den strengen, nicht abzuwerfenden Zaum der Naturbedingungen auf"; weil die Zeichnung nicht ebenso fest an diese Bedingungen gebunden ist, kann sich die Phantasie in ihr freier ergehen, sie kann ungehemmter poetisiren und sabuliren als in andern bildnerischen Formen. Auch da, wo der Künstler mehr auf den Verstand als auf die Vorstellungskraft des Betrachters ein¬ wirken will, wo es ihm darauf ankommt, gewisse Jdeenverbindungen anzu¬ regen, auch da bietet sich ihm die Zeichnung als angemessenes Darstellungs¬ mittel. An zwei Stellen wird nun auch das Thema von der Darstellung des Häßlichen wieder berührt, aber ohne jede Beziehung auf das früher darüber gesagte. „Alle Künstler der Zeichnung, heißt es an der einen Stelle, ent¬ wickeln in ihren Werken einen auffallenden Zug von Ironie, Satire, Karri- katur." Alle Künstler der Zeichnung? Wie steht es mit Ludwig Richter und Moritz Schwind? „Mit Vorliebe, heißt es weiter, heben sie (die Zeichner) das Schwache, das Harte, Schlechte hervor. Aus ihren Werken bricht fast

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/541>, abgerufen am 25.08.2024.