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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

können, solange in jedem europäischen Hafenplatz einige tausend Spekulanten
darin thätig waren. Tausend Spekulanten, von denen jeder im Durchschnitt
zweihundert Faß August-Dezember kaufte, nahmen ihm im Handumdrehen eine
Million Barrels aus der Hand, wenn er den Markt ohne natürlichen Grund
zum Zweck irgend welcher Manipulation werfen wollte. Tausend Spekulanten
verkauften auf Grund der sehr großen Lager, die die Seeplätze damals hielten
und halten konnten, im Handumdrehen Millionen von Barrels an den ängstlich
werdenden Verbrauch, wenn er den Markt ohne vernünftigen Grund treiben
wollte. Und in Europa hatte er doch nicht die Gewaltmittel, die ihm in
Amerika zu Gebote standen.

Wenn jemand, dem die ganze Handelet gleichgiltig ist, sich recht lebhaft
vorstellt, wie der Jankee feinen Zweck erreicht hat, so muß das fast einen
komischen Eindruck auf ihn machen. In Newyork, in Hamburg, in Bremen,
in Rotterdam sitzen fleißige Leute und studiren die Berichte aus den Ölfeldern,
wieviel neue Bohrungen im vergangnen Monat vorgenommen worden sind,
wieviel davon sich produktiv und wieviel sich unproduktiv erwiesen haben, wie
sich das tägliche Durchschnittsergebnis der neuen Bohrungen gestaltet hat, ob
der Tagesdurchschnitt der alten Quellen gestiegen oder gesunken ist, welche
Schiffe in den amerikanischen Häfen mit Petroleum beladen werden, was auf
dem Ozean schwimmt, wie die Ankünfte in den Seehäfen gewesen sind, welche
Versorgung der Lager von Antwerpen bis Danzig sichtbar ist; sie lassen sich von
ihren Agenten in andern Seeplätzen oder im Hinterkante unterrichten, was
wohl die Händler schon besitzen oder auf spätere Lieferungen abgeschlossen
haben, unterhalten sich jeden Morgen stundenlang mit einem Dutzend Agenten
und einem halben Dutzend Makler, pflegen kostspielige Verbindungen drüben
in Amerika, damit ihnen ja keine Information entgehe, bilden sich so eine
bestimmte Meinung von der "Marktlage" und gehen daraufhin nach reiflicher
Erwägung in der Richtung des Kaufs oder des Verkaufs vor. Und inzwischen
sieht Rockefeller jedem einigermaßen bedeutenden Petroleumhändler in die Karten,
kennt jede Ladung, jedes Faß, das an ihn geht, was er versendet und an
wen, fälscht die Berichte aus den Ölquellen, wie es ihm gutdünkt, und führt
die Meinung selbst der bestunterrichteten Fachleute irre, wie es ihm Spaß
macht.

Natürlich erreichte er seinen Zweck, natürlich war er allen "überlegen,"
wie dem ehrlichen Spieler immer der überlegen ist, der mit gezeichneten Karten
spielt, oder, der statt ehrliche Knochen im Lederbecher zu schütteln, Blei in
den Würfeln hat.




Das Petroleum

können, solange in jedem europäischen Hafenplatz einige tausend Spekulanten
darin thätig waren. Tausend Spekulanten, von denen jeder im Durchschnitt
zweihundert Faß August-Dezember kaufte, nahmen ihm im Handumdrehen eine
Million Barrels aus der Hand, wenn er den Markt ohne natürlichen Grund
zum Zweck irgend welcher Manipulation werfen wollte. Tausend Spekulanten
verkauften auf Grund der sehr großen Lager, die die Seeplätze damals hielten
und halten konnten, im Handumdrehen Millionen von Barrels an den ängstlich
werdenden Verbrauch, wenn er den Markt ohne vernünftigen Grund treiben
wollte. Und in Europa hatte er doch nicht die Gewaltmittel, die ihm in
Amerika zu Gebote standen.

Wenn jemand, dem die ganze Handelet gleichgiltig ist, sich recht lebhaft
vorstellt, wie der Jankee feinen Zweck erreicht hat, so muß das fast einen
komischen Eindruck auf ihn machen. In Newyork, in Hamburg, in Bremen,
in Rotterdam sitzen fleißige Leute und studiren die Berichte aus den Ölfeldern,
wieviel neue Bohrungen im vergangnen Monat vorgenommen worden sind,
wieviel davon sich produktiv und wieviel sich unproduktiv erwiesen haben, wie
sich das tägliche Durchschnittsergebnis der neuen Bohrungen gestaltet hat, ob
der Tagesdurchschnitt der alten Quellen gestiegen oder gesunken ist, welche
Schiffe in den amerikanischen Häfen mit Petroleum beladen werden, was auf
dem Ozean schwimmt, wie die Ankünfte in den Seehäfen gewesen sind, welche
Versorgung der Lager von Antwerpen bis Danzig sichtbar ist; sie lassen sich von
ihren Agenten in andern Seeplätzen oder im Hinterkante unterrichten, was
wohl die Händler schon besitzen oder auf spätere Lieferungen abgeschlossen
haben, unterhalten sich jeden Morgen stundenlang mit einem Dutzend Agenten
und einem halben Dutzend Makler, pflegen kostspielige Verbindungen drüben
in Amerika, damit ihnen ja keine Information entgehe, bilden sich so eine
bestimmte Meinung von der „Marktlage" und gehen daraufhin nach reiflicher
Erwägung in der Richtung des Kaufs oder des Verkaufs vor. Und inzwischen
sieht Rockefeller jedem einigermaßen bedeutenden Petroleumhändler in die Karten,
kennt jede Ladung, jedes Faß, das an ihn geht, was er versendet und an
wen, fälscht die Berichte aus den Ölquellen, wie es ihm gutdünkt, und führt
die Meinung selbst der bestunterrichteten Fachleute irre, wie es ihm Spaß
macht.

Natürlich erreichte er seinen Zweck, natürlich war er allen „überlegen,"
wie dem ehrlichen Spieler immer der überlegen ist, der mit gezeichneten Karten
spielt, oder, der statt ehrliche Knochen im Lederbecher zu schütteln, Blei in
den Würfeln hat.




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[0534] Das Petroleum können, solange in jedem europäischen Hafenplatz einige tausend Spekulanten darin thätig waren. Tausend Spekulanten, von denen jeder im Durchschnitt zweihundert Faß August-Dezember kaufte, nahmen ihm im Handumdrehen eine Million Barrels aus der Hand, wenn er den Markt ohne natürlichen Grund zum Zweck irgend welcher Manipulation werfen wollte. Tausend Spekulanten verkauften auf Grund der sehr großen Lager, die die Seeplätze damals hielten und halten konnten, im Handumdrehen Millionen von Barrels an den ängstlich werdenden Verbrauch, wenn er den Markt ohne vernünftigen Grund treiben wollte. Und in Europa hatte er doch nicht die Gewaltmittel, die ihm in Amerika zu Gebote standen. Wenn jemand, dem die ganze Handelet gleichgiltig ist, sich recht lebhaft vorstellt, wie der Jankee feinen Zweck erreicht hat, so muß das fast einen komischen Eindruck auf ihn machen. In Newyork, in Hamburg, in Bremen, in Rotterdam sitzen fleißige Leute und studiren die Berichte aus den Ölfeldern, wieviel neue Bohrungen im vergangnen Monat vorgenommen worden sind, wieviel davon sich produktiv und wieviel sich unproduktiv erwiesen haben, wie sich das tägliche Durchschnittsergebnis der neuen Bohrungen gestaltet hat, ob der Tagesdurchschnitt der alten Quellen gestiegen oder gesunken ist, welche Schiffe in den amerikanischen Häfen mit Petroleum beladen werden, was auf dem Ozean schwimmt, wie die Ankünfte in den Seehäfen gewesen sind, welche Versorgung der Lager von Antwerpen bis Danzig sichtbar ist; sie lassen sich von ihren Agenten in andern Seeplätzen oder im Hinterkante unterrichten, was wohl die Händler schon besitzen oder auf spätere Lieferungen abgeschlossen haben, unterhalten sich jeden Morgen stundenlang mit einem Dutzend Agenten und einem halben Dutzend Makler, pflegen kostspielige Verbindungen drüben in Amerika, damit ihnen ja keine Information entgehe, bilden sich so eine bestimmte Meinung von der „Marktlage" und gehen daraufhin nach reiflicher Erwägung in der Richtung des Kaufs oder des Verkaufs vor. Und inzwischen sieht Rockefeller jedem einigermaßen bedeutenden Petroleumhändler in die Karten, kennt jede Ladung, jedes Faß, das an ihn geht, was er versendet und an wen, fälscht die Berichte aus den Ölquellen, wie es ihm gutdünkt, und führt die Meinung selbst der bestunterrichteten Fachleute irre, wie es ihm Spaß macht. Natürlich erreichte er seinen Zweck, natürlich war er allen „überlegen," wie dem ehrlichen Spieler immer der überlegen ist, der mit gezeichneten Karten spielt, oder, der statt ehrliche Knochen im Lederbecher zu schütteln, Blei in den Würfeln hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/534>, abgerufen am 25.08.2024.