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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

am besten tausende. Die Spekulanten wirken als Puffer, es kommen nie
Hungerpreise zur Geltung, denn es sind immer Spekulanten da, die im stei¬
genden Markt etwas unter Preis verkaufen und ihren Nutzen einstecken, ehe
das äußerste eintritt. Auch Abschlachtungspreise können nur auf Tage herrschen.
Sind große Händler in Geldverlegenheit, oder sind durch ihren Sturz Waren¬
mengen, Ladungen "notleidend" geworden, so treten immer die Spekulanten
ein, denen die Preise schon niedrig genug sind, und die sich sagen, daß gerade
durch ihr Eingreifen der Markt gehalten wird und in ein paar Wochen ein
Nutzen zu erzielen sein wird.

Man sollte sich die Wörter "Differenz," "Wette," "Spiel" ganz abge¬
wöhnen. Jedes Geschäft, wenn es nicht Mißbrauch einer starken Position
oder gar eines Monopols ist, kann man Spiel nennen, denn es ist ein Rechnen
mit Ansätzen, die nie ganz feststehen, ein Arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten.
Man machte früher, namentlich von London aus, Geschäfte, die unsre Juristen
und Börscnreformer wahrscheinlich für fehr solid halten würden, man rüstete
nämlich in Europa einen Segler mit einer gemischten Ladung von Aachner
Tuch bis Zitwersamen aus, gab dem Kapitän einen kaufmännischen Bevoll¬
mächtigten, der über die Ladung gesetzt war, den Supercargo mit, das Schiff
segelte dann die südamerikanische oder die chinesische oder die afrikanische Küste
ab, verkaufte überall, was es konnte, und kaufte Landesprodukte ein, nur gegen
bar und auf sofortige Lieferung. Die große Hoffnung war, daß man ge¬
legentlich eine Elle Goldbarren gegen eine Elle aufgeklappter Solinger Taschen¬
messer kaufen würde; man verlor aber auch nie die Möglichkeit aus den Augen,
daß das Geschüft sehr viel schlechter oder daß das ganze Schiff verloren gehen
oder daß die Mannschaft einschließlich des Kapitäns und des Supercargo tot¬
geschlagen werden könnte. Unter höchst "soliden" einfachen Formen wurde
also ein ungemein gefährliches, ja wagehalsiges Geschäft betrieben. Aber die
Leute waren ehrlich, sie nannten diese Art des Handels selbst Großabenteuer,
ohne daß ihre Zeitgenossen daran Anstoß genommen hätten, die Londoner
Korporation der meroliimt. AävMwrers erfreute sich im Gegenteil eines vor¬
züglichen Ansehens.

Worauf es mir bei dieser ganzen Auseinandersetzung ankommt, ist, zu
zeigen, daß Terminhandel und Spekulation etwas genau so ehrliches oder un¬
ehrliches ist wie das gewerbsmäßige Kaufen und Verkaufen überhaupt, das
lediglich dem Zwecke dient, von den zwischen Kauf- und Verkaufspreisen er¬
zielten Unterschieden zu leben und Vermögen zu bilden; ferner, daß man etwas
organisch Gewachsenes niemals dadurch "bessern" kann, daß man es auf über-
wundne Entwicklungsformen zurückzuzwingen versucht, sondern nur dadurch,
daß man es in der Richtung des größten Gemeinwohls weiter entwickelt.

Rockefeller hat die Petroleumspekulation nach und nach unmöglich gemacht,
weil er genau wußte, daß er den Artikel nicht würde in die Hand bekommen


Das Petroleum

am besten tausende. Die Spekulanten wirken als Puffer, es kommen nie
Hungerpreise zur Geltung, denn es sind immer Spekulanten da, die im stei¬
genden Markt etwas unter Preis verkaufen und ihren Nutzen einstecken, ehe
das äußerste eintritt. Auch Abschlachtungspreise können nur auf Tage herrschen.
Sind große Händler in Geldverlegenheit, oder sind durch ihren Sturz Waren¬
mengen, Ladungen „notleidend" geworden, so treten immer die Spekulanten
ein, denen die Preise schon niedrig genug sind, und die sich sagen, daß gerade
durch ihr Eingreifen der Markt gehalten wird und in ein paar Wochen ein
Nutzen zu erzielen sein wird.

Man sollte sich die Wörter „Differenz," „Wette," „Spiel" ganz abge¬
wöhnen. Jedes Geschäft, wenn es nicht Mißbrauch einer starken Position
oder gar eines Monopols ist, kann man Spiel nennen, denn es ist ein Rechnen
mit Ansätzen, die nie ganz feststehen, ein Arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten.
Man machte früher, namentlich von London aus, Geschäfte, die unsre Juristen
und Börscnreformer wahrscheinlich für fehr solid halten würden, man rüstete
nämlich in Europa einen Segler mit einer gemischten Ladung von Aachner
Tuch bis Zitwersamen aus, gab dem Kapitän einen kaufmännischen Bevoll¬
mächtigten, der über die Ladung gesetzt war, den Supercargo mit, das Schiff
segelte dann die südamerikanische oder die chinesische oder die afrikanische Küste
ab, verkaufte überall, was es konnte, und kaufte Landesprodukte ein, nur gegen
bar und auf sofortige Lieferung. Die große Hoffnung war, daß man ge¬
legentlich eine Elle Goldbarren gegen eine Elle aufgeklappter Solinger Taschen¬
messer kaufen würde; man verlor aber auch nie die Möglichkeit aus den Augen,
daß das Geschüft sehr viel schlechter oder daß das ganze Schiff verloren gehen
oder daß die Mannschaft einschließlich des Kapitäns und des Supercargo tot¬
geschlagen werden könnte. Unter höchst „soliden" einfachen Formen wurde
also ein ungemein gefährliches, ja wagehalsiges Geschäft betrieben. Aber die
Leute waren ehrlich, sie nannten diese Art des Handels selbst Großabenteuer,
ohne daß ihre Zeitgenossen daran Anstoß genommen hätten, die Londoner
Korporation der meroliimt. AävMwrers erfreute sich im Gegenteil eines vor¬
züglichen Ansehens.

Worauf es mir bei dieser ganzen Auseinandersetzung ankommt, ist, zu
zeigen, daß Terminhandel und Spekulation etwas genau so ehrliches oder un¬
ehrliches ist wie das gewerbsmäßige Kaufen und Verkaufen überhaupt, das
lediglich dem Zwecke dient, von den zwischen Kauf- und Verkaufspreisen er¬
zielten Unterschieden zu leben und Vermögen zu bilden; ferner, daß man etwas
organisch Gewachsenes niemals dadurch „bessern" kann, daß man es auf über-
wundne Entwicklungsformen zurückzuzwingen versucht, sondern nur dadurch,
daß man es in der Richtung des größten Gemeinwohls weiter entwickelt.

Rockefeller hat die Petroleumspekulation nach und nach unmöglich gemacht,
weil er genau wußte, daß er den Artikel nicht würde in die Hand bekommen


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[0533] Das Petroleum am besten tausende. Die Spekulanten wirken als Puffer, es kommen nie Hungerpreise zur Geltung, denn es sind immer Spekulanten da, die im stei¬ genden Markt etwas unter Preis verkaufen und ihren Nutzen einstecken, ehe das äußerste eintritt. Auch Abschlachtungspreise können nur auf Tage herrschen. Sind große Händler in Geldverlegenheit, oder sind durch ihren Sturz Waren¬ mengen, Ladungen „notleidend" geworden, so treten immer die Spekulanten ein, denen die Preise schon niedrig genug sind, und die sich sagen, daß gerade durch ihr Eingreifen der Markt gehalten wird und in ein paar Wochen ein Nutzen zu erzielen sein wird. Man sollte sich die Wörter „Differenz," „Wette," „Spiel" ganz abge¬ wöhnen. Jedes Geschäft, wenn es nicht Mißbrauch einer starken Position oder gar eines Monopols ist, kann man Spiel nennen, denn es ist ein Rechnen mit Ansätzen, die nie ganz feststehen, ein Arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten. Man machte früher, namentlich von London aus, Geschäfte, die unsre Juristen und Börscnreformer wahrscheinlich für fehr solid halten würden, man rüstete nämlich in Europa einen Segler mit einer gemischten Ladung von Aachner Tuch bis Zitwersamen aus, gab dem Kapitän einen kaufmännischen Bevoll¬ mächtigten, der über die Ladung gesetzt war, den Supercargo mit, das Schiff segelte dann die südamerikanische oder die chinesische oder die afrikanische Küste ab, verkaufte überall, was es konnte, und kaufte Landesprodukte ein, nur gegen bar und auf sofortige Lieferung. Die große Hoffnung war, daß man ge¬ legentlich eine Elle Goldbarren gegen eine Elle aufgeklappter Solinger Taschen¬ messer kaufen würde; man verlor aber auch nie die Möglichkeit aus den Augen, daß das Geschüft sehr viel schlechter oder daß das ganze Schiff verloren gehen oder daß die Mannschaft einschließlich des Kapitäns und des Supercargo tot¬ geschlagen werden könnte. Unter höchst „soliden" einfachen Formen wurde also ein ungemein gefährliches, ja wagehalsiges Geschäft betrieben. Aber die Leute waren ehrlich, sie nannten diese Art des Handels selbst Großabenteuer, ohne daß ihre Zeitgenossen daran Anstoß genommen hätten, die Londoner Korporation der meroliimt. AävMwrers erfreute sich im Gegenteil eines vor¬ züglichen Ansehens. Worauf es mir bei dieser ganzen Auseinandersetzung ankommt, ist, zu zeigen, daß Terminhandel und Spekulation etwas genau so ehrliches oder un¬ ehrliches ist wie das gewerbsmäßige Kaufen und Verkaufen überhaupt, das lediglich dem Zwecke dient, von den zwischen Kauf- und Verkaufspreisen er¬ zielten Unterschieden zu leben und Vermögen zu bilden; ferner, daß man etwas organisch Gewachsenes niemals dadurch „bessern" kann, daß man es auf über- wundne Entwicklungsformen zurückzuzwingen versucht, sondern nur dadurch, daß man es in der Richtung des größten Gemeinwohls weiter entwickelt. Rockefeller hat die Petroleumspekulation nach und nach unmöglich gemacht, weil er genau wußte, daß er den Artikel nicht würde in die Hand bekommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/533>, abgerufen am 25.08.2024.