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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

wenn die Ware immer hin und her gewogen, empfangen und geliefert worden
wäre; aber die Petroleumhändler wollten diese Spesen sparen, sie waren der
Meinung, daß Riedemann schon bei einmaligem Behandeln der Ware das
beste Petroleumgeschäft in Hamburg und Bremen hätte, obwohl damals noch
kein Mensch eine Ahnung davon hatte, daß er im geheimen selber Importeur
und Händler war, daß also in diesem Scherz eine viel empörendere Wahr¬
heit lag.

Die Sache wurde also soviel als möglich vereinfacht: jedes Faß enthielt
hundertvierzig Kilo netto, das Gewicht schwankte nach oben oder unten nur
ganz wenig. Der Importeur stellte also, wenn er im August tausend Faß
liefern wollte, dem ersten Käufer nicht mehr die wirklichen tausend Faß zur
Verfügung, sondern zwanzig "Kündigungsscheine," von denen jeder die Stelle
von fünfzig Faß, hundertvierzig Zentner netto, vertrat. Die Scheine machten
durch Jndossement den Weg, den die Ware hätte nehmen müssen. Einen Tag
durften sie "laufen," am dritten mußten sie zum Empfange bei Niedemcmn
eingereicht sein. Der letzte, der die Ware nach dem Inlande versenden oder
am Platze in den Verbrauch bringen wollte, empfing sie, sie wurde gewogen,
geliefert und vom Importeur das ganz genaue wirkliche Gewicht dem letzten
Inhaber des Scheines zu einem von acht zu acht Tagen festgesetzten, der Markt¬
lage entsprechenden Kündigungspreis berechnet. Die inzwischen liegenden Ver¬
käufer und Käufer derselben Ware nahmen von Hand zu Hand den Kün¬
digungsschein wieder zurück und beglichen dabei den Unterschied nach oben oder
unten zwischen dem Kündigungspreis und dem Preis, zu dem sie von ihrem
Vordermann gekauft hatten, auf das Normalgewicht. Wäre die wirkliche Ware
geliefert und berechnet worden, so wäre bis auf einige Pfennige ganz dasselbe
herausgekommen, nur daß die Unbequemlichkeiten und die Kosten viel größer
gewesen wären; denn wenn ich heute fünfzig Faß Petroleum erhalte und sie
mit 1260 Mark bezahle und liefere sie sofort weiter an meinen Hintermann,
der mir morgen 1210 Mark dafür bezahlt, so habe ich nur eine Differenz
von fünfzig Mark bezahlt, und wenn er sie mir mit 1300 Mark bezahlen
muß, so habe ich auch nur eine Differenz von vierzig Mark bekommen. Das
ist ein einfach gehaltenes Schema, wie im Petroleum und, beiläufig bemerkt,
in allen großen Artikeln mit den nötigen Anpassungen das berüchtigte Termiu-
und Differenzgeschäft entstanden ist.

Nun kommt der Einwand: ja, diese entwickelte Form macht es aber den
Leuten möglich, lediglich der Differenz wegen Geschäfte zu machen, die Leute
wollen die Ware gar nicht haben, es ist ihnen nur um den Kursgewinn zu
thun. Dieser Einwand ist höchst naiv: der Kaufmann will nie Ware haben,
es ist ihm immer nur um die Differenz zu thun. Als er bei weniger ent¬
wickelten Einrichtungen wirklich immer die Ware aufs neue wiegen und über
die Straße oder über das Fleck in einen andern Speicher schicken mußte, war


Das Petroleum

wenn die Ware immer hin und her gewogen, empfangen und geliefert worden
wäre; aber die Petroleumhändler wollten diese Spesen sparen, sie waren der
Meinung, daß Riedemann schon bei einmaligem Behandeln der Ware das
beste Petroleumgeschäft in Hamburg und Bremen hätte, obwohl damals noch
kein Mensch eine Ahnung davon hatte, daß er im geheimen selber Importeur
und Händler war, daß also in diesem Scherz eine viel empörendere Wahr¬
heit lag.

Die Sache wurde also soviel als möglich vereinfacht: jedes Faß enthielt
hundertvierzig Kilo netto, das Gewicht schwankte nach oben oder unten nur
ganz wenig. Der Importeur stellte also, wenn er im August tausend Faß
liefern wollte, dem ersten Käufer nicht mehr die wirklichen tausend Faß zur
Verfügung, sondern zwanzig „Kündigungsscheine," von denen jeder die Stelle
von fünfzig Faß, hundertvierzig Zentner netto, vertrat. Die Scheine machten
durch Jndossement den Weg, den die Ware hätte nehmen müssen. Einen Tag
durften sie „laufen," am dritten mußten sie zum Empfange bei Niedemcmn
eingereicht sein. Der letzte, der die Ware nach dem Inlande versenden oder
am Platze in den Verbrauch bringen wollte, empfing sie, sie wurde gewogen,
geliefert und vom Importeur das ganz genaue wirkliche Gewicht dem letzten
Inhaber des Scheines zu einem von acht zu acht Tagen festgesetzten, der Markt¬
lage entsprechenden Kündigungspreis berechnet. Die inzwischen liegenden Ver¬
käufer und Käufer derselben Ware nahmen von Hand zu Hand den Kün¬
digungsschein wieder zurück und beglichen dabei den Unterschied nach oben oder
unten zwischen dem Kündigungspreis und dem Preis, zu dem sie von ihrem
Vordermann gekauft hatten, auf das Normalgewicht. Wäre die wirkliche Ware
geliefert und berechnet worden, so wäre bis auf einige Pfennige ganz dasselbe
herausgekommen, nur daß die Unbequemlichkeiten und die Kosten viel größer
gewesen wären; denn wenn ich heute fünfzig Faß Petroleum erhalte und sie
mit 1260 Mark bezahle und liefere sie sofort weiter an meinen Hintermann,
der mir morgen 1210 Mark dafür bezahlt, so habe ich nur eine Differenz
von fünfzig Mark bezahlt, und wenn er sie mir mit 1300 Mark bezahlen
muß, so habe ich auch nur eine Differenz von vierzig Mark bekommen. Das
ist ein einfach gehaltenes Schema, wie im Petroleum und, beiläufig bemerkt,
in allen großen Artikeln mit den nötigen Anpassungen das berüchtigte Termiu-
und Differenzgeschäft entstanden ist.

Nun kommt der Einwand: ja, diese entwickelte Form macht es aber den
Leuten möglich, lediglich der Differenz wegen Geschäfte zu machen, die Leute
wollen die Ware gar nicht haben, es ist ihnen nur um den Kursgewinn zu
thun. Dieser Einwand ist höchst naiv: der Kaufmann will nie Ware haben,
es ist ihm immer nur um die Differenz zu thun. Als er bei weniger ent¬
wickelten Einrichtungen wirklich immer die Ware aufs neue wiegen und über
die Straße oder über das Fleck in einen andern Speicher schicken mußte, war


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[0530] Das Petroleum wenn die Ware immer hin und her gewogen, empfangen und geliefert worden wäre; aber die Petroleumhändler wollten diese Spesen sparen, sie waren der Meinung, daß Riedemann schon bei einmaligem Behandeln der Ware das beste Petroleumgeschäft in Hamburg und Bremen hätte, obwohl damals noch kein Mensch eine Ahnung davon hatte, daß er im geheimen selber Importeur und Händler war, daß also in diesem Scherz eine viel empörendere Wahr¬ heit lag. Die Sache wurde also soviel als möglich vereinfacht: jedes Faß enthielt hundertvierzig Kilo netto, das Gewicht schwankte nach oben oder unten nur ganz wenig. Der Importeur stellte also, wenn er im August tausend Faß liefern wollte, dem ersten Käufer nicht mehr die wirklichen tausend Faß zur Verfügung, sondern zwanzig „Kündigungsscheine," von denen jeder die Stelle von fünfzig Faß, hundertvierzig Zentner netto, vertrat. Die Scheine machten durch Jndossement den Weg, den die Ware hätte nehmen müssen. Einen Tag durften sie „laufen," am dritten mußten sie zum Empfange bei Niedemcmn eingereicht sein. Der letzte, der die Ware nach dem Inlande versenden oder am Platze in den Verbrauch bringen wollte, empfing sie, sie wurde gewogen, geliefert und vom Importeur das ganz genaue wirkliche Gewicht dem letzten Inhaber des Scheines zu einem von acht zu acht Tagen festgesetzten, der Markt¬ lage entsprechenden Kündigungspreis berechnet. Die inzwischen liegenden Ver¬ käufer und Käufer derselben Ware nahmen von Hand zu Hand den Kün¬ digungsschein wieder zurück und beglichen dabei den Unterschied nach oben oder unten zwischen dem Kündigungspreis und dem Preis, zu dem sie von ihrem Vordermann gekauft hatten, auf das Normalgewicht. Wäre die wirkliche Ware geliefert und berechnet worden, so wäre bis auf einige Pfennige ganz dasselbe herausgekommen, nur daß die Unbequemlichkeiten und die Kosten viel größer gewesen wären; denn wenn ich heute fünfzig Faß Petroleum erhalte und sie mit 1260 Mark bezahle und liefere sie sofort weiter an meinen Hintermann, der mir morgen 1210 Mark dafür bezahlt, so habe ich nur eine Differenz von fünfzig Mark bezahlt, und wenn er sie mir mit 1300 Mark bezahlen muß, so habe ich auch nur eine Differenz von vierzig Mark bekommen. Das ist ein einfach gehaltenes Schema, wie im Petroleum und, beiläufig bemerkt, in allen großen Artikeln mit den nötigen Anpassungen das berüchtigte Termiu- und Differenzgeschäft entstanden ist. Nun kommt der Einwand: ja, diese entwickelte Form macht es aber den Leuten möglich, lediglich der Differenz wegen Geschäfte zu machen, die Leute wollen die Ware gar nicht haben, es ist ihnen nur um den Kursgewinn zu thun. Dieser Einwand ist höchst naiv: der Kaufmann will nie Ware haben, es ist ihm immer nur um die Differenz zu thun. Als er bei weniger ent¬ wickelten Einrichtungen wirklich immer die Ware aufs neue wiegen und über die Straße oder über das Fleck in einen andern Speicher schicken mußte, war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/530>, abgerufen am 26.08.2024.