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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

sechshundertfünfundvierzig Registertons groß, und Jan de Ruyter, fünfhundert-
dreinndfünfzig Negistertons groß, mit Aachner Tuch, mit Nemscheider Feilen, mit
Solinger Messern, Schiedamer Genever, Edamer und Goudaer Kühe und so
weiter -- ^nörgl on-Zo, wie man sagte --, kurz mit allerlei Waren, vom
Aachner Tuch bis zum Zitwersamen, die auf der Insel Cuba verbraucht
wurden, zu beladen, daß diese Schiffe in fünf bis sechs Wochen absegeln, also
etwa dann und dann in Habana ankommen würden; der bewährte und ge¬
schützte Freund möge die Ladung möglichst gut verkaufen, nach der Löschung
aber die beiden Segler mit Rohrzucker, mit Rum, mit Tabak und Cigarren,
kurz mit Produkten der Insel Cuba beladen und nach Hause schicken. Preise
konnten nicht vorgeschrieben werden, weder für den Verkauf noch für den Ein¬
kauf, mau schrieb höchstens Grenzen vor, man gab "Linne." Der Kaufmann
in Habana verkaufte nun an die Großhändler in Habana oder auch an die
der Nachbarplätze so gut als möglich, setzte seine Verkaufsrechnung auf und
zog von dem Ergebnis fünf Prozent Kommission ab. Dann kaufte er nach
der Vorschrift so und soviel tausend Säcke Muscovaden, so und soviel tausend
Kisten ol^sa Lug^r, so und soviel Piper Rum, so und soviel Ballen Tabak
so billig als möglich ein, schlug fünf Prozent Kommission darauf und glich
die Differenz der eingekommnen und der wieder nach Europa gehenden Ladung
aus, indem er für Rechnung des holländischen Freundes auf London zog oder
ihm gute Londoner Wechsel einsandte.

Diese biedern Formen hinderten natürlich nicht, daß gelegentlich einmal
der eine bewährte und geschätzte Freund den andern hinterging; es soll das
im Gegenteil bedauerlich oft vorgekommen sein. Man sprach aber damals noch
nicht von illegitimen Geschäften, sondern sagte einfach: Der Kerl hat mich
betrogen, allenfalls drückte man sich, wenn der Freund es nicht gar zu arg
gemacht hatte, etwas euphemistisch aus und sagte: Der Kerl hat geschnitten.

Aber die gute alte Zeit verging: die Dampfer Wurdenerfunden, das erste
Kabel wurde von England nach Amerika gelegt, man gab dem Dampfer von
Habana aus eine Depesche mit für Newyork zur Weiterbeförderung mit dem
Kabel, oder man telegraphirte nach Newyork und ließ die Depesche mit dem
nächsten Dampfer nach Habana weitergehen. Die Entfernung war auf drei
bis fünf Tage verkürzt. Man konnte nun bestimmte Waren sest anbieten oder
fest bestelle", es entstand das Kommissionsgeschäft im übertragnen Sinne: man
kaufte, man "acceptirte eine Offerte," wenn man während der Giltigkeit des
Angebots am Platze oder an Nachbarplätzeu verkaufen konnte, man verkaufte,
man "führte eine Ordre aus," wenn man während der Giltigkeit des Auf¬
trags gleichzeitig am Platze kaufen konnte.

Heute liegen mehrere direkte Kabel, und unzählige Linien lassen ihre
Dampfer immer schneller und schneller hin- und hersauseu. Heute, sagen wir,
am 15. Oktober 1895, findet der Kaufmann in Habana, wenn er des Morgens


Das Petroleum

sechshundertfünfundvierzig Registertons groß, und Jan de Ruyter, fünfhundert-
dreinndfünfzig Negistertons groß, mit Aachner Tuch, mit Nemscheider Feilen, mit
Solinger Messern, Schiedamer Genever, Edamer und Goudaer Kühe und so
weiter — ^nörgl on-Zo, wie man sagte —, kurz mit allerlei Waren, vom
Aachner Tuch bis zum Zitwersamen, die auf der Insel Cuba verbraucht
wurden, zu beladen, daß diese Schiffe in fünf bis sechs Wochen absegeln, also
etwa dann und dann in Habana ankommen würden; der bewährte und ge¬
schützte Freund möge die Ladung möglichst gut verkaufen, nach der Löschung
aber die beiden Segler mit Rohrzucker, mit Rum, mit Tabak und Cigarren,
kurz mit Produkten der Insel Cuba beladen und nach Hause schicken. Preise
konnten nicht vorgeschrieben werden, weder für den Verkauf noch für den Ein¬
kauf, mau schrieb höchstens Grenzen vor, man gab „Linne." Der Kaufmann
in Habana verkaufte nun an die Großhändler in Habana oder auch an die
der Nachbarplätze so gut als möglich, setzte seine Verkaufsrechnung auf und
zog von dem Ergebnis fünf Prozent Kommission ab. Dann kaufte er nach
der Vorschrift so und soviel tausend Säcke Muscovaden, so und soviel tausend
Kisten ol^sa Lug^r, so und soviel Piper Rum, so und soviel Ballen Tabak
so billig als möglich ein, schlug fünf Prozent Kommission darauf und glich
die Differenz der eingekommnen und der wieder nach Europa gehenden Ladung
aus, indem er für Rechnung des holländischen Freundes auf London zog oder
ihm gute Londoner Wechsel einsandte.

Diese biedern Formen hinderten natürlich nicht, daß gelegentlich einmal
der eine bewährte und geschätzte Freund den andern hinterging; es soll das
im Gegenteil bedauerlich oft vorgekommen sein. Man sprach aber damals noch
nicht von illegitimen Geschäften, sondern sagte einfach: Der Kerl hat mich
betrogen, allenfalls drückte man sich, wenn der Freund es nicht gar zu arg
gemacht hatte, etwas euphemistisch aus und sagte: Der Kerl hat geschnitten.

Aber die gute alte Zeit verging: die Dampfer Wurdenerfunden, das erste
Kabel wurde von England nach Amerika gelegt, man gab dem Dampfer von
Habana aus eine Depesche mit für Newyork zur Weiterbeförderung mit dem
Kabel, oder man telegraphirte nach Newyork und ließ die Depesche mit dem
nächsten Dampfer nach Habana weitergehen. Die Entfernung war auf drei
bis fünf Tage verkürzt. Man konnte nun bestimmte Waren sest anbieten oder
fest bestelle», es entstand das Kommissionsgeschäft im übertragnen Sinne: man
kaufte, man „acceptirte eine Offerte," wenn man während der Giltigkeit des
Angebots am Platze oder an Nachbarplätzeu verkaufen konnte, man verkaufte,
man „führte eine Ordre aus," wenn man während der Giltigkeit des Auf¬
trags gleichzeitig am Platze kaufen konnte.

Heute liegen mehrere direkte Kabel, und unzählige Linien lassen ihre
Dampfer immer schneller und schneller hin- und hersauseu. Heute, sagen wir,
am 15. Oktober 1895, findet der Kaufmann in Habana, wenn er des Morgens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/526>, abgerufen am 26.08.2024.