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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

wirtschaftlichen Lebens die Spekulation, namentlich den Terminhandel, haupt¬
sächlich oder auch nur in irgend welchem Umfange verantwortlich zu machen,
das ist geradezu thöricht. Wir stehen vor einer unvermeidlichen Folge unsrer
völlig umgestalteten Vcrkehrstechnik.

Es ist nützlich, den Wahn gründlich zu zerstören, als könnte durch soge¬
nannte Börsenreformen, namentlich durch Verbot, Einschränkung oder irgend
welche Überwachung des Termingeschäfts je eine wesentliche Besserung er¬
reicht werden. Im Gegenteil, das Termingeschäft, die Spekulation sind die
letzten Bremsen an dem dahinrasenden Train der Großkapitalistenallmacht.
"Legitimes Geschäft" ist ein verkehrter Ausdruck. Es giebt Geschäft und
Schwindel. Der Schwindel scheidet sich in den ungefährlichen, der unter die
Strafgesetzparagraphen füllt, und in den gefährlichen, der dieselben Paragraphen
zu seinem Schutze verwendet.

Geschäft ist, um bei der Hauptform zu bleiben, Kauf und Verkauf zwischen
zwei Leuten, die die Natur der Ware, um die es sich handelt, sowie das Wesen
und die Bedeutung der Abschlußbedingungen vollkommen kennen, die durchaus
frei in ihrem Handeln sind, und von denen keiner dem andern etwas, was auf
seine Entschließung von Belang wäre, verschweigt, zu dessen Mitteilung er
verpflichtet wäre, oder gar etwas Falsches als wahr vorspiegelt. Es ist ein
Zeichen beginnender Verkommenheit, wenn man Verträge, bei denen auch nur
eiuer dieser Punkte zweifelhaft ist, noch mit dem Ausdruck "Geschäft" bezeichnen
zu müssen glaubt, und darüber hinaus nun eine neue mystische, höhere Art
von Geschüft erfindet, die man sich als etwas einigermaßen anständiges denkt.
Das, was man heute verächtlich als "Spekulation" bezeichnet, ist entweder
auch Geschäft und dann ganz gleichwertig, oder es ist Betrug und dann des¬
halb verwerflich, aber nicht weil es Spekulation ist. Ehrliche Spekulation ist
genau ebenso berechtigt oder unberechtigt wie der Handel überhaupt.

Ich will versuchen, mich deutlich zu machen. Das Ideal eines Geschäfts
ist das, was man "Kommissionsgeschäft" genannt hat: der Kaufmann kauft
oder verkauft für fremde Rechnung; sein Nutzen, so und soviel Prozent, ist
seinem Auftraggeber bekannt, weil er vorher bedungen oder weil er üblich ist.
Vom Makler unterscheidet sich der Kaufmann dadurch, daß mindestens einer
seiner Auftraggeber nicht am Orte wohnt, vom Agenten dadurch, daß er sich
selbst verpflichtet, daß Käufer und Verkäufer nur ihm, nicht aber einander be¬
kannt sind.

Versetzen wir uns nun zum Beispiel nach Habana zur Zeit der fünfziger
Jahre: Dampfschiffe sind unbekannt, ein unterseeisches Kabel erst recht, man
kann nur durch Briefe mit einander verkehren, und die kommen mit Segel¬
schiffen.

Eines Tages meldete dem Kaufmann in Habana ein holländischer Geschäfts¬
freund, daß er damit beschäftigt sei, einige Segelschiffe, etwa Pick van Groningen,


Das Petroleum

wirtschaftlichen Lebens die Spekulation, namentlich den Terminhandel, haupt¬
sächlich oder auch nur in irgend welchem Umfange verantwortlich zu machen,
das ist geradezu thöricht. Wir stehen vor einer unvermeidlichen Folge unsrer
völlig umgestalteten Vcrkehrstechnik.

Es ist nützlich, den Wahn gründlich zu zerstören, als könnte durch soge¬
nannte Börsenreformen, namentlich durch Verbot, Einschränkung oder irgend
welche Überwachung des Termingeschäfts je eine wesentliche Besserung er¬
reicht werden. Im Gegenteil, das Termingeschäft, die Spekulation sind die
letzten Bremsen an dem dahinrasenden Train der Großkapitalistenallmacht.
„Legitimes Geschäft" ist ein verkehrter Ausdruck. Es giebt Geschäft und
Schwindel. Der Schwindel scheidet sich in den ungefährlichen, der unter die
Strafgesetzparagraphen füllt, und in den gefährlichen, der dieselben Paragraphen
zu seinem Schutze verwendet.

Geschäft ist, um bei der Hauptform zu bleiben, Kauf und Verkauf zwischen
zwei Leuten, die die Natur der Ware, um die es sich handelt, sowie das Wesen
und die Bedeutung der Abschlußbedingungen vollkommen kennen, die durchaus
frei in ihrem Handeln sind, und von denen keiner dem andern etwas, was auf
seine Entschließung von Belang wäre, verschweigt, zu dessen Mitteilung er
verpflichtet wäre, oder gar etwas Falsches als wahr vorspiegelt. Es ist ein
Zeichen beginnender Verkommenheit, wenn man Verträge, bei denen auch nur
eiuer dieser Punkte zweifelhaft ist, noch mit dem Ausdruck „Geschäft" bezeichnen
zu müssen glaubt, und darüber hinaus nun eine neue mystische, höhere Art
von Geschüft erfindet, die man sich als etwas einigermaßen anständiges denkt.
Das, was man heute verächtlich als „Spekulation" bezeichnet, ist entweder
auch Geschäft und dann ganz gleichwertig, oder es ist Betrug und dann des¬
halb verwerflich, aber nicht weil es Spekulation ist. Ehrliche Spekulation ist
genau ebenso berechtigt oder unberechtigt wie der Handel überhaupt.

Ich will versuchen, mich deutlich zu machen. Das Ideal eines Geschäfts
ist das, was man „Kommissionsgeschäft" genannt hat: der Kaufmann kauft
oder verkauft für fremde Rechnung; sein Nutzen, so und soviel Prozent, ist
seinem Auftraggeber bekannt, weil er vorher bedungen oder weil er üblich ist.
Vom Makler unterscheidet sich der Kaufmann dadurch, daß mindestens einer
seiner Auftraggeber nicht am Orte wohnt, vom Agenten dadurch, daß er sich
selbst verpflichtet, daß Käufer und Verkäufer nur ihm, nicht aber einander be¬
kannt sind.

Versetzen wir uns nun zum Beispiel nach Habana zur Zeit der fünfziger
Jahre: Dampfschiffe sind unbekannt, ein unterseeisches Kabel erst recht, man
kann nur durch Briefe mit einander verkehren, und die kommen mit Segel¬
schiffen.

Eines Tages meldete dem Kaufmann in Habana ein holländischer Geschäfts¬
freund, daß er damit beschäftigt sei, einige Segelschiffe, etwa Pick van Groningen,


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[0525] Das Petroleum wirtschaftlichen Lebens die Spekulation, namentlich den Terminhandel, haupt¬ sächlich oder auch nur in irgend welchem Umfange verantwortlich zu machen, das ist geradezu thöricht. Wir stehen vor einer unvermeidlichen Folge unsrer völlig umgestalteten Vcrkehrstechnik. Es ist nützlich, den Wahn gründlich zu zerstören, als könnte durch soge¬ nannte Börsenreformen, namentlich durch Verbot, Einschränkung oder irgend welche Überwachung des Termingeschäfts je eine wesentliche Besserung er¬ reicht werden. Im Gegenteil, das Termingeschäft, die Spekulation sind die letzten Bremsen an dem dahinrasenden Train der Großkapitalistenallmacht. „Legitimes Geschäft" ist ein verkehrter Ausdruck. Es giebt Geschäft und Schwindel. Der Schwindel scheidet sich in den ungefährlichen, der unter die Strafgesetzparagraphen füllt, und in den gefährlichen, der dieselben Paragraphen zu seinem Schutze verwendet. Geschäft ist, um bei der Hauptform zu bleiben, Kauf und Verkauf zwischen zwei Leuten, die die Natur der Ware, um die es sich handelt, sowie das Wesen und die Bedeutung der Abschlußbedingungen vollkommen kennen, die durchaus frei in ihrem Handeln sind, und von denen keiner dem andern etwas, was auf seine Entschließung von Belang wäre, verschweigt, zu dessen Mitteilung er verpflichtet wäre, oder gar etwas Falsches als wahr vorspiegelt. Es ist ein Zeichen beginnender Verkommenheit, wenn man Verträge, bei denen auch nur eiuer dieser Punkte zweifelhaft ist, noch mit dem Ausdruck „Geschäft" bezeichnen zu müssen glaubt, und darüber hinaus nun eine neue mystische, höhere Art von Geschüft erfindet, die man sich als etwas einigermaßen anständiges denkt. Das, was man heute verächtlich als „Spekulation" bezeichnet, ist entweder auch Geschäft und dann ganz gleichwertig, oder es ist Betrug und dann des¬ halb verwerflich, aber nicht weil es Spekulation ist. Ehrliche Spekulation ist genau ebenso berechtigt oder unberechtigt wie der Handel überhaupt. Ich will versuchen, mich deutlich zu machen. Das Ideal eines Geschäfts ist das, was man „Kommissionsgeschäft" genannt hat: der Kaufmann kauft oder verkauft für fremde Rechnung; sein Nutzen, so und soviel Prozent, ist seinem Auftraggeber bekannt, weil er vorher bedungen oder weil er üblich ist. Vom Makler unterscheidet sich der Kaufmann dadurch, daß mindestens einer seiner Auftraggeber nicht am Orte wohnt, vom Agenten dadurch, daß er sich selbst verpflichtet, daß Käufer und Verkäufer nur ihm, nicht aber einander be¬ kannt sind. Versetzen wir uns nun zum Beispiel nach Habana zur Zeit der fünfziger Jahre: Dampfschiffe sind unbekannt, ein unterseeisches Kabel erst recht, man kann nur durch Briefe mit einander verkehren, und die kommen mit Segel¬ schiffen. Eines Tages meldete dem Kaufmann in Habana ein holländischer Geschäfts¬ freund, daß er damit beschäftigt sei, einige Segelschiffe, etwa Pick van Groningen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/525>, abgerufen am 26.08.2024.