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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Aeitenstrome

mit Dank an, war aber im Zweifel, ob man solchen Grundbesitzern ein Trink¬
geld geben könne, ohne sie zu beleidigen, und ging zum Kantor, dessen Häuschen
hinter der Kirche liegt, um ihn zu befragen. Der lachte nicht wenig und
sagte: Merken Sie sich ein für allemal, daß es Ihnen auf dem Dorfe kein
Mensch, und mcigs der Großbauer sein, übel nimmt, wenn Sie ihm einen
Böhmen schenken. Das habe ich dann auch reichlich Gelegenheit gehabt wahr¬
zunehmen, und außerdem noch, daß die Landleute, weit entfernt davon, sich
durch Geschenke beleidigt zu fühlen, solche vielmehr gleich den altorientalischen
und altgermanischen Königen als eine Ehre betrachten. Drei Wochen nach
meiner Ankunft feierte mein jüngster Bruder seine Primiz bei mir. Während
des Hochamts wollte der Kirchvater ein Opfer für ihn sammeln; das verwehrte
ich ihm, weil es mir wie eine unanständige Bettelei vorkam. Da sagte der
Mann ganz verblüfft und entrüstet: Was soll man von Ihnen denken, daß
Sie Ihrem Herrn Bruder nicht mal die Ehre gönnen! An Weihnachten dann
teilte ich deu Schulkindern die stiftungsgemüßen Weihnachtsgabeu aus. Nur
drei, der Sohn des Schmieds und die beiden Töchter des Pferdehändlers be¬
kamen nichts, weil sich ihre Eltern in guten Verhältnissen befanden. Da
führte die Mutter der beiden Mädchen beim Kantor Beschwerde. Es ist doch
häßlich, sagte sie, daß er unsern Mädchen nichts gegeben hat; und wenns nur
zwei Groschen gewesen wären, man hätte sich doch die Ehre gerechnet! Später,
als ich wahrnahm, wie sich unsre Bauern für diese Auffassung nicht bloß auf
die altorientalischen Fürsten, sondern auch auf neugermanische hohe Kreise
berufen können, sind mir manchmal Zweifel darüber aufgestiegen, ob wir klein¬
bürgerlichen Leute, die wir uns nichts schenken lassen wollen, nicht vielmehr
große Esel als feinfühlige, ehrliebende Menschen genannt zu werden verdienen.

Und noch eins, fügte der Kantor hinzu, merken Sie sich. Wollen Sie
im Dorfe angesehen sein und mit den Leuten auf freundschaftlichem Fuße stehen,
so müssen Sie stets eine große Pulte Gemengten (Schnaps) im Schranke
stehen haben und jedem, der bei Ihnen zu thun hat, ein Glas einschenken.
Dieser Rat kam mir nun zwar höchst anstößig vor, aber ich befolgte ihn doch,
und Gottliebens gute Lehren, die Seligkeit, die mir aus den verklärten
Gesichtern der alten Weiber entgegenleuchtete, wenn sie ein Glas Schnaps
kriegten, und das ganze Dorfleben überwanden sehr bald alle meine Bedenken.
Mit Dorfleuten hatte ich ja, als geborner Kleinstädter, schon in der Kindheit
verkehrt, noch mehr auf meinen bisherigen Stationen, wo überall ländliche
Gemeinden eingepfarrt waren, aber als Kind versteht man nicht zu beobachten,
und später hatten mich die Vorurteile des Bücherwurms und des Theologen
nicht selten zu falschen Urteilen verführt. Jetzt war ich von der Narrheit be¬
freit, aus Büchern erfahren zu wollen, was die Welt im Innersten zusnmmen-
hält, und die Theologie war mir ein Greuel. Jetzt fand ich, daß Probiren
über studiren gehe, und daß es kein vernünftigeres Leben gebe als das Bauern-


Wandlungen des Ich im Aeitenstrome

mit Dank an, war aber im Zweifel, ob man solchen Grundbesitzern ein Trink¬
geld geben könne, ohne sie zu beleidigen, und ging zum Kantor, dessen Häuschen
hinter der Kirche liegt, um ihn zu befragen. Der lachte nicht wenig und
sagte: Merken Sie sich ein für allemal, daß es Ihnen auf dem Dorfe kein
Mensch, und mcigs der Großbauer sein, übel nimmt, wenn Sie ihm einen
Böhmen schenken. Das habe ich dann auch reichlich Gelegenheit gehabt wahr¬
zunehmen, und außerdem noch, daß die Landleute, weit entfernt davon, sich
durch Geschenke beleidigt zu fühlen, solche vielmehr gleich den altorientalischen
und altgermanischen Königen als eine Ehre betrachten. Drei Wochen nach
meiner Ankunft feierte mein jüngster Bruder seine Primiz bei mir. Während
des Hochamts wollte der Kirchvater ein Opfer für ihn sammeln; das verwehrte
ich ihm, weil es mir wie eine unanständige Bettelei vorkam. Da sagte der
Mann ganz verblüfft und entrüstet: Was soll man von Ihnen denken, daß
Sie Ihrem Herrn Bruder nicht mal die Ehre gönnen! An Weihnachten dann
teilte ich deu Schulkindern die stiftungsgemüßen Weihnachtsgabeu aus. Nur
drei, der Sohn des Schmieds und die beiden Töchter des Pferdehändlers be¬
kamen nichts, weil sich ihre Eltern in guten Verhältnissen befanden. Da
führte die Mutter der beiden Mädchen beim Kantor Beschwerde. Es ist doch
häßlich, sagte sie, daß er unsern Mädchen nichts gegeben hat; und wenns nur
zwei Groschen gewesen wären, man hätte sich doch die Ehre gerechnet! Später,
als ich wahrnahm, wie sich unsre Bauern für diese Auffassung nicht bloß auf
die altorientalischen Fürsten, sondern auch auf neugermanische hohe Kreise
berufen können, sind mir manchmal Zweifel darüber aufgestiegen, ob wir klein¬
bürgerlichen Leute, die wir uns nichts schenken lassen wollen, nicht vielmehr
große Esel als feinfühlige, ehrliebende Menschen genannt zu werden verdienen.

Und noch eins, fügte der Kantor hinzu, merken Sie sich. Wollen Sie
im Dorfe angesehen sein und mit den Leuten auf freundschaftlichem Fuße stehen,
so müssen Sie stets eine große Pulte Gemengten (Schnaps) im Schranke
stehen haben und jedem, der bei Ihnen zu thun hat, ein Glas einschenken.
Dieser Rat kam mir nun zwar höchst anstößig vor, aber ich befolgte ihn doch,
und Gottliebens gute Lehren, die Seligkeit, die mir aus den verklärten
Gesichtern der alten Weiber entgegenleuchtete, wenn sie ein Glas Schnaps
kriegten, und das ganze Dorfleben überwanden sehr bald alle meine Bedenken.
Mit Dorfleuten hatte ich ja, als geborner Kleinstädter, schon in der Kindheit
verkehrt, noch mehr auf meinen bisherigen Stationen, wo überall ländliche
Gemeinden eingepfarrt waren, aber als Kind versteht man nicht zu beobachten,
und später hatten mich die Vorurteile des Bücherwurms und des Theologen
nicht selten zu falschen Urteilen verführt. Jetzt war ich von der Narrheit be¬
freit, aus Büchern erfahren zu wollen, was die Welt im Innersten zusnmmen-
hält, und die Theologie war mir ein Greuel. Jetzt fand ich, daß Probiren
über studiren gehe, und daß es kein vernünftigeres Leben gebe als das Bauern-


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[0492] Wandlungen des Ich im Aeitenstrome mit Dank an, war aber im Zweifel, ob man solchen Grundbesitzern ein Trink¬ geld geben könne, ohne sie zu beleidigen, und ging zum Kantor, dessen Häuschen hinter der Kirche liegt, um ihn zu befragen. Der lachte nicht wenig und sagte: Merken Sie sich ein für allemal, daß es Ihnen auf dem Dorfe kein Mensch, und mcigs der Großbauer sein, übel nimmt, wenn Sie ihm einen Böhmen schenken. Das habe ich dann auch reichlich Gelegenheit gehabt wahr¬ zunehmen, und außerdem noch, daß die Landleute, weit entfernt davon, sich durch Geschenke beleidigt zu fühlen, solche vielmehr gleich den altorientalischen und altgermanischen Königen als eine Ehre betrachten. Drei Wochen nach meiner Ankunft feierte mein jüngster Bruder seine Primiz bei mir. Während des Hochamts wollte der Kirchvater ein Opfer für ihn sammeln; das verwehrte ich ihm, weil es mir wie eine unanständige Bettelei vorkam. Da sagte der Mann ganz verblüfft und entrüstet: Was soll man von Ihnen denken, daß Sie Ihrem Herrn Bruder nicht mal die Ehre gönnen! An Weihnachten dann teilte ich deu Schulkindern die stiftungsgemüßen Weihnachtsgabeu aus. Nur drei, der Sohn des Schmieds und die beiden Töchter des Pferdehändlers be¬ kamen nichts, weil sich ihre Eltern in guten Verhältnissen befanden. Da führte die Mutter der beiden Mädchen beim Kantor Beschwerde. Es ist doch häßlich, sagte sie, daß er unsern Mädchen nichts gegeben hat; und wenns nur zwei Groschen gewesen wären, man hätte sich doch die Ehre gerechnet! Später, als ich wahrnahm, wie sich unsre Bauern für diese Auffassung nicht bloß auf die altorientalischen Fürsten, sondern auch auf neugermanische hohe Kreise berufen können, sind mir manchmal Zweifel darüber aufgestiegen, ob wir klein¬ bürgerlichen Leute, die wir uns nichts schenken lassen wollen, nicht vielmehr große Esel als feinfühlige, ehrliebende Menschen genannt zu werden verdienen. Und noch eins, fügte der Kantor hinzu, merken Sie sich. Wollen Sie im Dorfe angesehen sein und mit den Leuten auf freundschaftlichem Fuße stehen, so müssen Sie stets eine große Pulte Gemengten (Schnaps) im Schranke stehen haben und jedem, der bei Ihnen zu thun hat, ein Glas einschenken. Dieser Rat kam mir nun zwar höchst anstößig vor, aber ich befolgte ihn doch, und Gottliebens gute Lehren, die Seligkeit, die mir aus den verklärten Gesichtern der alten Weiber entgegenleuchtete, wenn sie ein Glas Schnaps kriegten, und das ganze Dorfleben überwanden sehr bald alle meine Bedenken. Mit Dorfleuten hatte ich ja, als geborner Kleinstädter, schon in der Kindheit verkehrt, noch mehr auf meinen bisherigen Stationen, wo überall ländliche Gemeinden eingepfarrt waren, aber als Kind versteht man nicht zu beobachten, und später hatten mich die Vorurteile des Bücherwurms und des Theologen nicht selten zu falschen Urteilen verführt. Jetzt war ich von der Narrheit be¬ freit, aus Büchern erfahren zu wollen, was die Welt im Innersten zusnmmen- hält, und die Theologie war mir ein Greuel. Jetzt fand ich, daß Probiren über studiren gehe, und daß es kein vernünftigeres Leben gebe als das Bauern-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/492>, abgerufen am 26.07.2024.