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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Litterarische Industrie

Von heute sagen wollte, die Soldaten des alten Fritz wären wenig wert
gewesen, da sie noch nicht einmal die Zündnadel gekannt hätten. Bunt genug
ist die Reihe, und dennoch könnte man sie lückenhaft nennen, wäre nicht
vorauszusetzen, daß den ersten neunzehn weitere folgen werden. Neben Paul
Heyse sieht man sich unwillkürlich nach dem ebenso fruchtbaren Adolf Wilbrandt
um; neben Frau oder Fräulein Kürschner sollte auch für Frau oder Fräulein
Hutzler Platz sein; Wiehert, Voß, Imsen usw. sind da, aber P. Q.
R. . . . X. A. Z. Lindau fehlen. Übrigens sieht sich Franzos genötigt, sich
gegen die von mehreren, und nicht den schlechtesten, Mitarbeitern geübte Kritik
seines Unternehmens zu wehren. Vor allem ist der Ausdruck Erstlingswerk
von verschiednen verschieden aufgefaßt worden: die einen meinen das erste zu
Papier gebrachte, andre das erste im Druck erschienene poetische Erzeugnis.
Mehrere geben mehr oder weniger verblümt -- am unverblümtesten Hans
Hopfen -- zu verstehen, daß sie der Franzosschen Erfindung keinen besondern
Wert beimessen können. Alle derartigen Einwendungen trumpft freilich der
Herausgeber mit der naheliegenden Bemerkung ab, wer die Sammlung im
Ernst für nutzlos oder gar schädlich halte, hätte ja nicht beizusteuern brauchen.

Daß wirklich zwischen mancherlei Spreu auch vollwichtige Ähren geboten
werden, soll ein Gang durch die Galerie darthun. Die Autoren sind nach
dem Alter geordnet. Theodor Fontane, der einst mit schottischen Balladen
vielversprechend auftrat, während seine Romane meist eine, sagen wir: be¬
ruhigende Wirkung äußern, greift weiter zurück und berichtet schlicht, wie er
als Tertianer seine erste Wanderung in der Mark Brandenburg gemacht und
beschrieben hat. Hermann Lingg gewährt einen höchst interessanten Einblick
in das sehr allmähliche Entstehen seiner "Völkerwanderung," und diesem
wertvollen Beitrag ist der nächstfolgende Konrad Ferdinand Meyers über
"Huttens letzte Tage" unmittelbar an die Seite zu stellen. Sehr charakteristisch
ist der Aufsatz Spielhagens. In unwiderstehlich gespreizter Manier werden
Empfängnis und Geburt des Wunderkindes "Problematische Naturen" enthüllt.
Das Thema scheint nicht weniger gründlich schon in einer Selbstbiographie
Spielhagens behandelt worden zu sein, aber der Verfasser ist offenbar der
Ansicht des Schloßvogts in der Prcziosa, daß man eine so wichtige Geschichte
nicht oft genug hören könne. Soviel ist gewiß, daß ein Seitenstttck zu Kestners
Goethe und Werther: "Spielhagen und Oswald" nicht mehr geschrieben zu werden
braucht. Wer Oswald ist, weiß natürlich jeder Gebildete. Zum Schluß nimmt
der Dichter wehmütig und doch trostreich Abschied von seinem "Halbbruder."
Wir können uns nicht versagen, die letzten Zeilen hier wiederzugeben. "Und
Gott weiß, wie ich es dir so von Herzen gönnte, da, wie verfehlt auch sonst
dein Leben war, und du selbst bankerott an Glauben und Hoffnung und Liebe,
du wenigstens sterben durftest mit vielen Hunderten, die braver waren als du,
sür eine Idee, die tausendmal blutig gegeißelt und schmählich ans Kreuz ge-


Litterarische Industrie

Von heute sagen wollte, die Soldaten des alten Fritz wären wenig wert
gewesen, da sie noch nicht einmal die Zündnadel gekannt hätten. Bunt genug
ist die Reihe, und dennoch könnte man sie lückenhaft nennen, wäre nicht
vorauszusetzen, daß den ersten neunzehn weitere folgen werden. Neben Paul
Heyse sieht man sich unwillkürlich nach dem ebenso fruchtbaren Adolf Wilbrandt
um; neben Frau oder Fräulein Kürschner sollte auch für Frau oder Fräulein
Hutzler Platz sein; Wiehert, Voß, Imsen usw. sind da, aber P. Q.
R. . . . X. A. Z. Lindau fehlen. Übrigens sieht sich Franzos genötigt, sich
gegen die von mehreren, und nicht den schlechtesten, Mitarbeitern geübte Kritik
seines Unternehmens zu wehren. Vor allem ist der Ausdruck Erstlingswerk
von verschiednen verschieden aufgefaßt worden: die einen meinen das erste zu
Papier gebrachte, andre das erste im Druck erschienene poetische Erzeugnis.
Mehrere geben mehr oder weniger verblümt — am unverblümtesten Hans
Hopfen — zu verstehen, daß sie der Franzosschen Erfindung keinen besondern
Wert beimessen können. Alle derartigen Einwendungen trumpft freilich der
Herausgeber mit der naheliegenden Bemerkung ab, wer die Sammlung im
Ernst für nutzlos oder gar schädlich halte, hätte ja nicht beizusteuern brauchen.

Daß wirklich zwischen mancherlei Spreu auch vollwichtige Ähren geboten
werden, soll ein Gang durch die Galerie darthun. Die Autoren sind nach
dem Alter geordnet. Theodor Fontane, der einst mit schottischen Balladen
vielversprechend auftrat, während seine Romane meist eine, sagen wir: be¬
ruhigende Wirkung äußern, greift weiter zurück und berichtet schlicht, wie er
als Tertianer seine erste Wanderung in der Mark Brandenburg gemacht und
beschrieben hat. Hermann Lingg gewährt einen höchst interessanten Einblick
in das sehr allmähliche Entstehen seiner „Völkerwanderung," und diesem
wertvollen Beitrag ist der nächstfolgende Konrad Ferdinand Meyers über
„Huttens letzte Tage" unmittelbar an die Seite zu stellen. Sehr charakteristisch
ist der Aufsatz Spielhagens. In unwiderstehlich gespreizter Manier werden
Empfängnis und Geburt des Wunderkindes „Problematische Naturen" enthüllt.
Das Thema scheint nicht weniger gründlich schon in einer Selbstbiographie
Spielhagens behandelt worden zu sein, aber der Verfasser ist offenbar der
Ansicht des Schloßvogts in der Prcziosa, daß man eine so wichtige Geschichte
nicht oft genug hören könne. Soviel ist gewiß, daß ein Seitenstttck zu Kestners
Goethe und Werther: „Spielhagen und Oswald" nicht mehr geschrieben zu werden
braucht. Wer Oswald ist, weiß natürlich jeder Gebildete. Zum Schluß nimmt
der Dichter wehmütig und doch trostreich Abschied von seinem „Halbbruder."
Wir können uns nicht versagen, die letzten Zeilen hier wiederzugeben. „Und
Gott weiß, wie ich es dir so von Herzen gönnte, da, wie verfehlt auch sonst
dein Leben war, und du selbst bankerott an Glauben und Hoffnung und Liebe,
du wenigstens sterben durftest mit vielen Hunderten, die braver waren als du,
sür eine Idee, die tausendmal blutig gegeißelt und schmählich ans Kreuz ge-


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[0487] Litterarische Industrie Von heute sagen wollte, die Soldaten des alten Fritz wären wenig wert gewesen, da sie noch nicht einmal die Zündnadel gekannt hätten. Bunt genug ist die Reihe, und dennoch könnte man sie lückenhaft nennen, wäre nicht vorauszusetzen, daß den ersten neunzehn weitere folgen werden. Neben Paul Heyse sieht man sich unwillkürlich nach dem ebenso fruchtbaren Adolf Wilbrandt um; neben Frau oder Fräulein Kürschner sollte auch für Frau oder Fräulein Hutzler Platz sein; Wiehert, Voß, Imsen usw. sind da, aber P. Q. R. . . . X. A. Z. Lindau fehlen. Übrigens sieht sich Franzos genötigt, sich gegen die von mehreren, und nicht den schlechtesten, Mitarbeitern geübte Kritik seines Unternehmens zu wehren. Vor allem ist der Ausdruck Erstlingswerk von verschiednen verschieden aufgefaßt worden: die einen meinen das erste zu Papier gebrachte, andre das erste im Druck erschienene poetische Erzeugnis. Mehrere geben mehr oder weniger verblümt — am unverblümtesten Hans Hopfen — zu verstehen, daß sie der Franzosschen Erfindung keinen besondern Wert beimessen können. Alle derartigen Einwendungen trumpft freilich der Herausgeber mit der naheliegenden Bemerkung ab, wer die Sammlung im Ernst für nutzlos oder gar schädlich halte, hätte ja nicht beizusteuern brauchen. Daß wirklich zwischen mancherlei Spreu auch vollwichtige Ähren geboten werden, soll ein Gang durch die Galerie darthun. Die Autoren sind nach dem Alter geordnet. Theodor Fontane, der einst mit schottischen Balladen vielversprechend auftrat, während seine Romane meist eine, sagen wir: be¬ ruhigende Wirkung äußern, greift weiter zurück und berichtet schlicht, wie er als Tertianer seine erste Wanderung in der Mark Brandenburg gemacht und beschrieben hat. Hermann Lingg gewährt einen höchst interessanten Einblick in das sehr allmähliche Entstehen seiner „Völkerwanderung," und diesem wertvollen Beitrag ist der nächstfolgende Konrad Ferdinand Meyers über „Huttens letzte Tage" unmittelbar an die Seite zu stellen. Sehr charakteristisch ist der Aufsatz Spielhagens. In unwiderstehlich gespreizter Manier werden Empfängnis und Geburt des Wunderkindes „Problematische Naturen" enthüllt. Das Thema scheint nicht weniger gründlich schon in einer Selbstbiographie Spielhagens behandelt worden zu sein, aber der Verfasser ist offenbar der Ansicht des Schloßvogts in der Prcziosa, daß man eine so wichtige Geschichte nicht oft genug hören könne. Soviel ist gewiß, daß ein Seitenstttck zu Kestners Goethe und Werther: „Spielhagen und Oswald" nicht mehr geschrieben zu werden braucht. Wer Oswald ist, weiß natürlich jeder Gebildete. Zum Schluß nimmt der Dichter wehmütig und doch trostreich Abschied von seinem „Halbbruder." Wir können uns nicht versagen, die letzten Zeilen hier wiederzugeben. „Und Gott weiß, wie ich es dir so von Herzen gönnte, da, wie verfehlt auch sonst dein Leben war, und du selbst bankerott an Glauben und Hoffnung und Liebe, du wenigstens sterben durftest mit vielen Hunderten, die braver waren als du, sür eine Idee, die tausendmal blutig gegeißelt und schmählich ans Kreuz ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/487>, abgerufen am 25.07.2024.