Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.Beleidigmigsprozesse laufen, daß gerade bei der Beleidigung diese beiden Fragen gar nicht aus¬ Vielleicht hat der Anklageeifer, von dem die deutschen Staatsanwaltschaften Mitunter scheint es, als ob die Empfindungen, die unwillkürlich zu einer Beleidigmigsprozesse laufen, daß gerade bei der Beleidigung diese beiden Fragen gar nicht aus¬ Vielleicht hat der Anklageeifer, von dem die deutschen Staatsanwaltschaften Mitunter scheint es, als ob die Empfindungen, die unwillkürlich zu einer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221435"/> <fw type="header" place="top"> Beleidigmigsprozesse</fw><lb/> <p xml:id="ID_1524" prev="#ID_1523"> laufen, daß gerade bei der Beleidigung diese beiden Fragen gar nicht aus¬<lb/> einanderzuhalten seien, und daß die nachgewiesene beleidigende Absicht auch eine<lb/> an sich harmlose Äußerung zur Beleidigung zu stempeln vermöge. Dies trifft<lb/> bis zu einem gewissen Grade auf die iranischen Äußerungen zu, deren That¬<lb/> bestand am allerschwierigsten zu ermitteln ist, ist aber als allgemeine Regel<lb/> ebenso falsch, als wenn man den Mordgesellen, der ein blind geladnes Gewehr<lb/> auf eine Strohpuppe abfeuerte, wegen vollendeten Mordes bestrafen wollte.<lb/> Daß es sich dabei möglicherweise um den Versuch eines Verbrechens handeln<lb/> kann, spielt gerade bei der Beleidigung und der Majestntsbeleidigung keine<lb/> Rolle, da das Strafgesetzbuch einen strafbaren Versuch bei beiden nicht kennt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1525"> Vielleicht hat der Anklageeifer, von dem die deutschen Staatsanwaltschaften<lb/> seit den Septembertagen dieses Jahres erfüllt sind, die gute Folge, das Reichs¬<lb/> gericht zum Aufgeben seines bisherigen Standpunktes zu bewegen. Entschließt<lb/> es sich, von seinem guten Rechte der juristischen Begriffsbestimmung auch der<lb/> Beleidigung gegenüber Gebrauch zu machen, so ist das, gleichviel wie sie aus¬<lb/> fällt, schon ein Gewinn. Die öffentliche und private Meinungsäußerung wird<lb/> sich darnach richten können und Wohl oder übel richten müssen. Wir erwarten<lb/> vom Reichsgericht jedenfalls eine klare und unzweideutige Aussprache darüber,<lb/> ob der Begriff der Majestätsbeleidigung mit dem der gewöhnlichen Beleidigung<lb/> zusammenfällt oder nicht; wenn nicht, ob auch schon die Kritik monarchischer<lb/> Äußerungen im ablehnenden und zurückweisenden, vielleicht im feindseligen und<lb/> gehässigen Sinne. ob spöttische oder witzelnde Bemerkungen über private Ge¬<lb/> pflogenheiten und Liebhabereien des Herrschers, ob überhaupt sogenannte Ehr¬<lb/> furchtsverletzungen Majestätsbeleidigungen sein können. Über alle diese hente<lb/> so brennend gewordnen Fragen wird das Reichsgericht einer Entscheidung<lb/> uicht länger ausweichen können. Daß sie mit dem ersten Wurfe gelinge, ist<lb/> nicht notwendig und in einem so jungen Verfassungsstaate wie dem Reich kaum<lb/> zu erwarten. Es ist auch völlig genügend, wenn der höchste Gerichtshof nur<lb/> erst damit beginnt, die Fälle auszuscheiden, die unzweifelhaft nicht Majestüts-<lb/> beleidignngen sind. Das Vreslauer Urteil gegen Liebknecht gehört nicht eigent¬<lb/> lich hierher, da die objektive Seite dort nicht bestritten ist, wenngleich wir als<lb/> selbstverständlich betrachten, daß sich das Reichsgericht auf den Versuch, ein<lb/> Vergehen der fahrlässigen Majestätsbeleidigung oder auch der betrttglichen Vor¬<lb/> spiegelung der Majestätsbeleidigung zu konstruiren, uicht einlassen wird. Da¬<lb/> gegen wäre das berüchtigte Sitzenbleiben beim Hoch auf den Kaiser, dessen<lb/> objektiven Thatbestand man doch nur mit Null einstellen kann, oder die soeben<lb/> bekannt werdende Verurteilung Försters wegen des Aufsatzes in der Ethischen<lb/> Kultur zu einer ersten befreienden That vorzüglich geeignet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1526" next="#ID_1527"> Mitunter scheint es, als ob die Empfindungen, die unwillkürlich zu einer<lb/> strengern Auffassung des Begriffs der Majestätsbeleidigung gegenüber dem der<lb/> gewöhnlichen Beleidigung geführt haben, ihre Rückwirkung auch auf die so-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0461]
Beleidigmigsprozesse
laufen, daß gerade bei der Beleidigung diese beiden Fragen gar nicht aus¬
einanderzuhalten seien, und daß die nachgewiesene beleidigende Absicht auch eine
an sich harmlose Äußerung zur Beleidigung zu stempeln vermöge. Dies trifft
bis zu einem gewissen Grade auf die iranischen Äußerungen zu, deren That¬
bestand am allerschwierigsten zu ermitteln ist, ist aber als allgemeine Regel
ebenso falsch, als wenn man den Mordgesellen, der ein blind geladnes Gewehr
auf eine Strohpuppe abfeuerte, wegen vollendeten Mordes bestrafen wollte.
Daß es sich dabei möglicherweise um den Versuch eines Verbrechens handeln
kann, spielt gerade bei der Beleidigung und der Majestntsbeleidigung keine
Rolle, da das Strafgesetzbuch einen strafbaren Versuch bei beiden nicht kennt.
Vielleicht hat der Anklageeifer, von dem die deutschen Staatsanwaltschaften
seit den Septembertagen dieses Jahres erfüllt sind, die gute Folge, das Reichs¬
gericht zum Aufgeben seines bisherigen Standpunktes zu bewegen. Entschließt
es sich, von seinem guten Rechte der juristischen Begriffsbestimmung auch der
Beleidigung gegenüber Gebrauch zu machen, so ist das, gleichviel wie sie aus¬
fällt, schon ein Gewinn. Die öffentliche und private Meinungsäußerung wird
sich darnach richten können und Wohl oder übel richten müssen. Wir erwarten
vom Reichsgericht jedenfalls eine klare und unzweideutige Aussprache darüber,
ob der Begriff der Majestätsbeleidigung mit dem der gewöhnlichen Beleidigung
zusammenfällt oder nicht; wenn nicht, ob auch schon die Kritik monarchischer
Äußerungen im ablehnenden und zurückweisenden, vielleicht im feindseligen und
gehässigen Sinne. ob spöttische oder witzelnde Bemerkungen über private Ge¬
pflogenheiten und Liebhabereien des Herrschers, ob überhaupt sogenannte Ehr¬
furchtsverletzungen Majestätsbeleidigungen sein können. Über alle diese hente
so brennend gewordnen Fragen wird das Reichsgericht einer Entscheidung
uicht länger ausweichen können. Daß sie mit dem ersten Wurfe gelinge, ist
nicht notwendig und in einem so jungen Verfassungsstaate wie dem Reich kaum
zu erwarten. Es ist auch völlig genügend, wenn der höchste Gerichtshof nur
erst damit beginnt, die Fälle auszuscheiden, die unzweifelhaft nicht Majestüts-
beleidignngen sind. Das Vreslauer Urteil gegen Liebknecht gehört nicht eigent¬
lich hierher, da die objektive Seite dort nicht bestritten ist, wenngleich wir als
selbstverständlich betrachten, daß sich das Reichsgericht auf den Versuch, ein
Vergehen der fahrlässigen Majestätsbeleidigung oder auch der betrttglichen Vor¬
spiegelung der Majestätsbeleidigung zu konstruiren, uicht einlassen wird. Da¬
gegen wäre das berüchtigte Sitzenbleiben beim Hoch auf den Kaiser, dessen
objektiven Thatbestand man doch nur mit Null einstellen kann, oder die soeben
bekannt werdende Verurteilung Försters wegen des Aufsatzes in der Ethischen
Kultur zu einer ersten befreienden That vorzüglich geeignet.
Mitunter scheint es, als ob die Empfindungen, die unwillkürlich zu einer
strengern Auffassung des Begriffs der Majestätsbeleidigung gegenüber dem der
gewöhnlichen Beleidigung geführt haben, ihre Rückwirkung auch auf die so-
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