Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.verfehlter Anschluß die lobpreisenden Waschzettel zu wiederholen, die mit jedem Bande neuer Lyrik Verfehlter Anschluß ssessor Hering war ein unglücklicher Mensch. Auch in seinem Schon sein unglücklicher Name Hering war für ihn ein quälendes Attribut. verfehlter Anschluß die lobpreisenden Waschzettel zu wiederholen, die mit jedem Bande neuer Lyrik Verfehlter Anschluß ssessor Hering war ein unglücklicher Mensch. Auch in seinem Schon sein unglücklicher Name Hering war für ihn ein quälendes Attribut. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221022"/> <fw type="header" place="top"> verfehlter Anschluß</fw><lb/> <p xml:id="ID_100" prev="#ID_99"> die lobpreisenden Waschzettel zu wiederholen, die mit jedem Bande neuer Lyrik<lb/> versandt werden, als selbst nachzuprüfen, wo etwa ein Goldkorn aus grauem<lb/> Gestein hervorleuchtet. Hoffentlich überzeugt uns die eine oder andre zu¬<lb/> künftige Anthologie, daß doch ein Schweiß in der Welt bezahlt wird, wie der<lb/> Räuber Moor sagt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Verfehlter Anschluß</head><lb/> <p xml:id="ID_101"> ssessor Hering war ein unglücklicher Mensch. Auch in seinem<lb/> Falle war es die soziale Frage, die ihm schlaflose Nachte be¬<lb/> reitete, eine Kette von Verstimmungen knüpfte und mehr und mehr<lb/> sein Leben zu verkümmern drohte. Freilich nicht die soziale Frage,<lb/> die die Volksvertretungen beschäftigt, wohlmeinende Männer in<lb/> Stadt und Land in Atem hält, zahllose Vereinsgründungen be¬<lb/> günstigt, den Autoren neues Wasser ans ihre Mühlen schüttet, die Gemüter entzweit<lb/> und verbindet, jedem Menschenalter vorgelegt wird, oft unter Kriegslärm, Sieges¬<lb/> jubel und Freudentaumel überhört und niemals den strengen Examinator be¬<lb/> friedigend gelöst wird. Diese universale Frage, die bei der Prüfung jedes Cötus<lb/> wiederkehrt, drückte den Assessor Hering nicht. Er hatte seine eigne soziale Frage.<lb/> Und weil sie keinen interessirte, weil ihn keiner verstand, kein teilnehmendes<lb/> Gemüt sich seiner annahm, mußte er unglücklich werden, und er verstrickte<lb/> sich in diesen Kausalnexus mit methodischer Gründlichkeit. Versetzter Ehrgeiz<lb/> von Jugend auf war es, der seinen Eifer zugleich spornte und lähmte, seine<lb/> Freuden vergiftete, ihm und seinen Angehörigen manche harmlose Bethätigung<lb/> der Daseinslust verdarb.</p><lb/> <p xml:id="ID_102" next="#ID_103"> Schon sein unglücklicher Name Hering war für ihn ein quälendes Attribut.<lb/> Als er, für ihn zum erstenmale, bei der Aufnahme in die Schule, in der<lb/> Öffentlichkeit zur Sprache kam, fand ihn ein sechsjähriger Mitschüler be¬<lb/> lustigend, und seitdem konnte er sich niemals ohne Befangenheit nennen oder<lb/> rufen hören, stets war es ihm peinlich, andern vorgestellt zu werden. Jener<lb/> Junge aber, der, ohne es zu wissen und zu wollen, zuerst dieses Gefühl der<lb/> Minderwertigkeit in ihm geweckt hatte, wurde auch sonst noch bedeutungsvoll<lb/> für sein Leben, er wurde sein bester Freund, sein Vorbild und Leitstern, dem<lb/> er es in allen Dingen nachzuthun nie ermattete. Dieser Knabe, der den ganz<lb/> neutralen Namen Gustav Meyer führte, war zwar von völlig anderm Schlage,<lb/> leichtblütiger, gesünder, begabter und unbefangner; aber das hinderte den kleinen<lb/> Hering nicht in seinem Bestreben, die Neigungen Gustavs zu teilen, seinen<lb/> schnellen Erfolgen in der Schule rastlos nachzuklettern, alles, was der in leicht<lb/> wechselnder Laune schön und begehrenswert fand, nicht ganz so leicht, aber<lb/> nicht minder entschlossen zu bewundern und zu begehren, und den großen<lb/> Hering hinderte es nicht, ebenso wie Meyer die juristische Laufbahn als die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
verfehlter Anschluß
die lobpreisenden Waschzettel zu wiederholen, die mit jedem Bande neuer Lyrik
versandt werden, als selbst nachzuprüfen, wo etwa ein Goldkorn aus grauem
Gestein hervorleuchtet. Hoffentlich überzeugt uns die eine oder andre zu¬
künftige Anthologie, daß doch ein Schweiß in der Welt bezahlt wird, wie der
Räuber Moor sagt.
Verfehlter Anschluß
ssessor Hering war ein unglücklicher Mensch. Auch in seinem
Falle war es die soziale Frage, die ihm schlaflose Nachte be¬
reitete, eine Kette von Verstimmungen knüpfte und mehr und mehr
sein Leben zu verkümmern drohte. Freilich nicht die soziale Frage,
die die Volksvertretungen beschäftigt, wohlmeinende Männer in
Stadt und Land in Atem hält, zahllose Vereinsgründungen be¬
günstigt, den Autoren neues Wasser ans ihre Mühlen schüttet, die Gemüter entzweit
und verbindet, jedem Menschenalter vorgelegt wird, oft unter Kriegslärm, Sieges¬
jubel und Freudentaumel überhört und niemals den strengen Examinator be¬
friedigend gelöst wird. Diese universale Frage, die bei der Prüfung jedes Cötus
wiederkehrt, drückte den Assessor Hering nicht. Er hatte seine eigne soziale Frage.
Und weil sie keinen interessirte, weil ihn keiner verstand, kein teilnehmendes
Gemüt sich seiner annahm, mußte er unglücklich werden, und er verstrickte
sich in diesen Kausalnexus mit methodischer Gründlichkeit. Versetzter Ehrgeiz
von Jugend auf war es, der seinen Eifer zugleich spornte und lähmte, seine
Freuden vergiftete, ihm und seinen Angehörigen manche harmlose Bethätigung
der Daseinslust verdarb.
Schon sein unglücklicher Name Hering war für ihn ein quälendes Attribut.
Als er, für ihn zum erstenmale, bei der Aufnahme in die Schule, in der
Öffentlichkeit zur Sprache kam, fand ihn ein sechsjähriger Mitschüler be¬
lustigend, und seitdem konnte er sich niemals ohne Befangenheit nennen oder
rufen hören, stets war es ihm peinlich, andern vorgestellt zu werden. Jener
Junge aber, der, ohne es zu wissen und zu wollen, zuerst dieses Gefühl der
Minderwertigkeit in ihm geweckt hatte, wurde auch sonst noch bedeutungsvoll
für sein Leben, er wurde sein bester Freund, sein Vorbild und Leitstern, dem
er es in allen Dingen nachzuthun nie ermattete. Dieser Knabe, der den ganz
neutralen Namen Gustav Meyer führte, war zwar von völlig anderm Schlage,
leichtblütiger, gesünder, begabter und unbefangner; aber das hinderte den kleinen
Hering nicht in seinem Bestreben, die Neigungen Gustavs zu teilen, seinen
schnellen Erfolgen in der Schule rastlos nachzuklettern, alles, was der in leicht
wechselnder Laune schön und begehrenswert fand, nicht ganz so leicht, aber
nicht minder entschlossen zu bewundern und zu begehren, und den großen
Hering hinderte es nicht, ebenso wie Meyer die juristische Laufbahn als die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |