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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

damit ein Laster Vertrieben werden, das wir nicht ernstlich genug bekämpfen
können. Denn verschwindet es von Schule und Universität, so wird es auch
aus unserm geselligen Leben und damit auch als eine unwürdige Erscheinung
unsrer jetzigen Feste, aus dem veredelten Volksfeste -- aus unserm öffentlichen
Leben überhaupt verschwinden.

Die allgemeine Einführung von Kampfspielen setzt nur einen Umstand
voraus, dessen Verwirklichung aber auf keine unüberwindlichen Hindernisse stoßen
kann, und zugleich mit den Bestrebungen, unsre Volksfeste zu heben, aufs
innigste verbunden ist. Schon Lippert macht den Vorschlag, jedes Dorf solle
wie vor Alters wieder seine Linde auf freiem Platze pflanzen und diesen Platz
wie die Malstätte der Vorfahren als gemeinsamen Zusammenkunftsort be¬
trachten. "Irgend ein Plätzchen müßte jeder Ort wie seine "gute Stube"
pflegen, aber es müßte zugleich die gute Stube aller sein, und da könnten sie
auch wieder zeitweilig zusammenkommen, Arm und Reich, Herr und Knecht."
Wie nun, wenn wir nicht ein "Plätzchen" mit der Linde, sondern für jedes
Dorf und namentlich für jede Stadt einen großen Spielplatz forderten, einen
Volksspielplatz, auf dem sowohl die Übungen zu Wettkämpfen und körperlichen
Spielen wie auch die Volksfeste selber abgehalten werden? Würde ein solcher
Platz nicht ganz von selber die alten Malstätten ersetzen und zum Mittel¬
punkt der Geselligkeit werden wie vordem? Viele Erinnerungen schlummern
nur im Gedächtnis des Volkes, überwuchert durch Verwahrlosung und Mi߬
brauch. Aber was einmal in der Volksseele feste Wurzeln geschlagen hat,
stirbt nie mehr ganz ab. So würde auch der Volksplatz schnell wieder ein
Zusammenkunftsort aller Klassen der Bevölkerung werden, und wie an den
Malstätten würden die Menschen an den festlichen Tagen des Jahres, an denen
das Volk seine "hohen Zeiten" feiert, dort in fröhlichem Jubel zu heiterm
Wettkampf zusammenströmen, ähnlich wie es einst von Nah und Fern zu den
Malstätten unter den Maibaum und die Linde zu ernster und froher Thätig¬
keit herbeieilte.

Das Bild, das sich in diesen Rahmen einfügen ließe, weiter auszumalen,
überlasse ich dem freundlichen Leser. Das Ergebnis unsrer Betrachtungen
fasse ich kurz so zusammen: Um unsre Volksfeste zeitgemäß zu reformiren,
bedarf es einer Stärkung des Gemeinsinns, die von oben lind von unten
kommen muß. Ein mächtiger Hebel hierzu wäre die Ausbildung und plan¬
mäßige Pflege körperlicher Wettspiele auf unsern Schulen und Hochschulen,
von wo aus sie den Volksfesten als wesentliche Bestandteile zugeführt werden
könnten. Eine gleichmäßige geistige und körperliche Erziehung würde ebenso
sehr zur Hebung des Gemeinsinns wie zur Eindämmung der Trunksucht bei¬
tragen. Als praktischen Grundsatz empfiehlt es sich: den Festplatz und den
zur Übung von Wettspielen bestimmten Platz als "Volksplatz" zu vereinigen
und die Volksfeste selber auf denkwürdige Tage zu verlegen. Endlich: es sind


Unsre Volksfeste

damit ein Laster Vertrieben werden, das wir nicht ernstlich genug bekämpfen
können. Denn verschwindet es von Schule und Universität, so wird es auch
aus unserm geselligen Leben und damit auch als eine unwürdige Erscheinung
unsrer jetzigen Feste, aus dem veredelten Volksfeste — aus unserm öffentlichen
Leben überhaupt verschwinden.

Die allgemeine Einführung von Kampfspielen setzt nur einen Umstand
voraus, dessen Verwirklichung aber auf keine unüberwindlichen Hindernisse stoßen
kann, und zugleich mit den Bestrebungen, unsre Volksfeste zu heben, aufs
innigste verbunden ist. Schon Lippert macht den Vorschlag, jedes Dorf solle
wie vor Alters wieder seine Linde auf freiem Platze pflanzen und diesen Platz
wie die Malstätte der Vorfahren als gemeinsamen Zusammenkunftsort be¬
trachten. „Irgend ein Plätzchen müßte jeder Ort wie seine »gute Stube«
pflegen, aber es müßte zugleich die gute Stube aller sein, und da könnten sie
auch wieder zeitweilig zusammenkommen, Arm und Reich, Herr und Knecht."
Wie nun, wenn wir nicht ein „Plätzchen" mit der Linde, sondern für jedes
Dorf und namentlich für jede Stadt einen großen Spielplatz forderten, einen
Volksspielplatz, auf dem sowohl die Übungen zu Wettkämpfen und körperlichen
Spielen wie auch die Volksfeste selber abgehalten werden? Würde ein solcher
Platz nicht ganz von selber die alten Malstätten ersetzen und zum Mittel¬
punkt der Geselligkeit werden wie vordem? Viele Erinnerungen schlummern
nur im Gedächtnis des Volkes, überwuchert durch Verwahrlosung und Mi߬
brauch. Aber was einmal in der Volksseele feste Wurzeln geschlagen hat,
stirbt nie mehr ganz ab. So würde auch der Volksplatz schnell wieder ein
Zusammenkunftsort aller Klassen der Bevölkerung werden, und wie an den
Malstätten würden die Menschen an den festlichen Tagen des Jahres, an denen
das Volk seine „hohen Zeiten" feiert, dort in fröhlichem Jubel zu heiterm
Wettkampf zusammenströmen, ähnlich wie es einst von Nah und Fern zu den
Malstätten unter den Maibaum und die Linde zu ernster und froher Thätig¬
keit herbeieilte.

Das Bild, das sich in diesen Rahmen einfügen ließe, weiter auszumalen,
überlasse ich dem freundlichen Leser. Das Ergebnis unsrer Betrachtungen
fasse ich kurz so zusammen: Um unsre Volksfeste zeitgemäß zu reformiren,
bedarf es einer Stärkung des Gemeinsinns, die von oben lind von unten
kommen muß. Ein mächtiger Hebel hierzu wäre die Ausbildung und plan¬
mäßige Pflege körperlicher Wettspiele auf unsern Schulen und Hochschulen,
von wo aus sie den Volksfesten als wesentliche Bestandteile zugeführt werden
könnten. Eine gleichmäßige geistige und körperliche Erziehung würde ebenso
sehr zur Hebung des Gemeinsinns wie zur Eindämmung der Trunksucht bei¬
tragen. Als praktischen Grundsatz empfiehlt es sich: den Festplatz und den
zur Übung von Wettspielen bestimmten Platz als „Volksplatz" zu vereinigen
und die Volksfeste selber auf denkwürdige Tage zu verlegen. Endlich: es sind


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[0444] Unsre Volksfeste damit ein Laster Vertrieben werden, das wir nicht ernstlich genug bekämpfen können. Denn verschwindet es von Schule und Universität, so wird es auch aus unserm geselligen Leben und damit auch als eine unwürdige Erscheinung unsrer jetzigen Feste, aus dem veredelten Volksfeste — aus unserm öffentlichen Leben überhaupt verschwinden. Die allgemeine Einführung von Kampfspielen setzt nur einen Umstand voraus, dessen Verwirklichung aber auf keine unüberwindlichen Hindernisse stoßen kann, und zugleich mit den Bestrebungen, unsre Volksfeste zu heben, aufs innigste verbunden ist. Schon Lippert macht den Vorschlag, jedes Dorf solle wie vor Alters wieder seine Linde auf freiem Platze pflanzen und diesen Platz wie die Malstätte der Vorfahren als gemeinsamen Zusammenkunftsort be¬ trachten. „Irgend ein Plätzchen müßte jeder Ort wie seine »gute Stube« pflegen, aber es müßte zugleich die gute Stube aller sein, und da könnten sie auch wieder zeitweilig zusammenkommen, Arm und Reich, Herr und Knecht." Wie nun, wenn wir nicht ein „Plätzchen" mit der Linde, sondern für jedes Dorf und namentlich für jede Stadt einen großen Spielplatz forderten, einen Volksspielplatz, auf dem sowohl die Übungen zu Wettkämpfen und körperlichen Spielen wie auch die Volksfeste selber abgehalten werden? Würde ein solcher Platz nicht ganz von selber die alten Malstätten ersetzen und zum Mittel¬ punkt der Geselligkeit werden wie vordem? Viele Erinnerungen schlummern nur im Gedächtnis des Volkes, überwuchert durch Verwahrlosung und Mi߬ brauch. Aber was einmal in der Volksseele feste Wurzeln geschlagen hat, stirbt nie mehr ganz ab. So würde auch der Volksplatz schnell wieder ein Zusammenkunftsort aller Klassen der Bevölkerung werden, und wie an den Malstätten würden die Menschen an den festlichen Tagen des Jahres, an denen das Volk seine „hohen Zeiten" feiert, dort in fröhlichem Jubel zu heiterm Wettkampf zusammenströmen, ähnlich wie es einst von Nah und Fern zu den Malstätten unter den Maibaum und die Linde zu ernster und froher Thätig¬ keit herbeieilte. Das Bild, das sich in diesen Rahmen einfügen ließe, weiter auszumalen, überlasse ich dem freundlichen Leser. Das Ergebnis unsrer Betrachtungen fasse ich kurz so zusammen: Um unsre Volksfeste zeitgemäß zu reformiren, bedarf es einer Stärkung des Gemeinsinns, die von oben lind von unten kommen muß. Ein mächtiger Hebel hierzu wäre die Ausbildung und plan¬ mäßige Pflege körperlicher Wettspiele auf unsern Schulen und Hochschulen, von wo aus sie den Volksfesten als wesentliche Bestandteile zugeführt werden könnten. Eine gleichmäßige geistige und körperliche Erziehung würde ebenso sehr zur Hebung des Gemeinsinns wie zur Eindämmung der Trunksucht bei¬ tragen. Als praktischen Grundsatz empfiehlt es sich: den Festplatz und den zur Übung von Wettspielen bestimmten Platz als „Volksplatz" zu vereinigen und die Volksfeste selber auf denkwürdige Tage zu verlegen. Endlich: es sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/444>, abgerufen am 24.07.2024.