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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Börsenkrisis

Da hat NUN die türkische Negierung zwei Schritte gethan, um der Bank
zu helfen. Sie hat ihr Privilegium um zwölf Jahre, bis 1925, verlängert.
Da dies sehr vorteilhaft für sie ist, wird es vielleicht der Bank die Möglich¬
keit geben, das zur Einlösung aller Noten erforderliche Gold zu beschaffen,
das angeblich schon etwa seit dem 6. November im Mittelmeer schwimmt, und
wenn sich die Friedensaussichten bessern, wird es sogar wahrscheinlich ge¬
schehen. Zweitens hat die Negierung ein Moratorium von vier Monaten
dekretirt, wovon die Bank Gebrauch machen kann, wenn es zum äußersten
kommen sollte, und hat zugleich befohlen, daß bei Staatskassen die Noten der
Bank gleichwertig mit Gold in Zahlung genommen werden sollen. Dadurch
hofft sie ihnen unter allen Umständen den Parikurs zu erhalten.

Die Regierung mußte solche Anstrengungen machen, weil, wenn die Noten
entwertet werden, die Türkei kein Kurcmtgeld mehr hat, da sie nicht einmal
Papiergeld ausgeben darf. Das ist die Folge davon, wenn ein Staat sein
Geldwesen einer Privatciktienbank ausliefert!

Der "Rum" auf die Bank wurde, wie auch der Beginn des Minenkrachs
in Paris und London, veranlaßt durch die bekannte Depesche aus Petersburg
über den Drohartikel der amtlichen Zeitung der russischen Regierung. Der
amtliche Charakter des Artikels ist seitdem bestritten worden, die Wirkung ans
die Geldverhältnisse der Türkei ist aber geblieben. Eine Anleihe kann das
Reich jetzt nicht machen, und wenn die Ottomanbank zusammenbreche" sollte,
giebt es auch kein Kurcmtgeld mehr -- die Türkei ist finanziell wehrlos, in
demselben Augenblick, wo sie doch soviel Geld braucht, um die Reformen mit
Soldaten durchzuführen, die die Großmächte fordern. Die Ungeschicklichkeit
des russischen "Regiernngsboteu" macht es ihr vielleicht unmöglich, das aus¬
zuführen, was Rußland mit den anderen Mächten von ihr verlangt. Der
Goluchowskische Vermittlungsversuch und die Kouzessionsverlängerung der
Bank wird aber vielleicht der Ottomanbank Luft schaffen und so die Türkei
aus schwerster Geldnot in schwerer Zeit befreien.

Von Konstantinopel aus übertrug sich der Börsenkrach am 9. November
nach Wien und Pest, wo seit vier Jahren eine fast ununtcrbrochne und von
den großen Banken geförderte Haussebewegung die Kurse zu ungerechtfertigter
Höhe getrieben und die Kapitalkraft der "Outsiders" überangestrengt hatte,
sodaß sie jetzt keine Widerstandskraft hatten.




Zur Börsenkrisis

Da hat NUN die türkische Negierung zwei Schritte gethan, um der Bank
zu helfen. Sie hat ihr Privilegium um zwölf Jahre, bis 1925, verlängert.
Da dies sehr vorteilhaft für sie ist, wird es vielleicht der Bank die Möglich¬
keit geben, das zur Einlösung aller Noten erforderliche Gold zu beschaffen,
das angeblich schon etwa seit dem 6. November im Mittelmeer schwimmt, und
wenn sich die Friedensaussichten bessern, wird es sogar wahrscheinlich ge¬
schehen. Zweitens hat die Negierung ein Moratorium von vier Monaten
dekretirt, wovon die Bank Gebrauch machen kann, wenn es zum äußersten
kommen sollte, und hat zugleich befohlen, daß bei Staatskassen die Noten der
Bank gleichwertig mit Gold in Zahlung genommen werden sollen. Dadurch
hofft sie ihnen unter allen Umständen den Parikurs zu erhalten.

Die Regierung mußte solche Anstrengungen machen, weil, wenn die Noten
entwertet werden, die Türkei kein Kurcmtgeld mehr hat, da sie nicht einmal
Papiergeld ausgeben darf. Das ist die Folge davon, wenn ein Staat sein
Geldwesen einer Privatciktienbank ausliefert!

Der „Rum" auf die Bank wurde, wie auch der Beginn des Minenkrachs
in Paris und London, veranlaßt durch die bekannte Depesche aus Petersburg
über den Drohartikel der amtlichen Zeitung der russischen Regierung. Der
amtliche Charakter des Artikels ist seitdem bestritten worden, die Wirkung ans
die Geldverhältnisse der Türkei ist aber geblieben. Eine Anleihe kann das
Reich jetzt nicht machen, und wenn die Ottomanbank zusammenbreche» sollte,
giebt es auch kein Kurcmtgeld mehr — die Türkei ist finanziell wehrlos, in
demselben Augenblick, wo sie doch soviel Geld braucht, um die Reformen mit
Soldaten durchzuführen, die die Großmächte fordern. Die Ungeschicklichkeit
des russischen „Regiernngsboteu" macht es ihr vielleicht unmöglich, das aus¬
zuführen, was Rußland mit den anderen Mächten von ihr verlangt. Der
Goluchowskische Vermittlungsversuch und die Kouzessionsverlängerung der
Bank wird aber vielleicht der Ottomanbank Luft schaffen und so die Türkei
aus schwerster Geldnot in schwerer Zeit befreien.

Von Konstantinopel aus übertrug sich der Börsenkrach am 9. November
nach Wien und Pest, wo seit vier Jahren eine fast ununtcrbrochne und von
den großen Banken geförderte Haussebewegung die Kurse zu ungerechtfertigter
Höhe getrieben und die Kapitalkraft der „Outsiders" überangestrengt hatte,
sodaß sie jetzt keine Widerstandskraft hatten.




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[0436] Zur Börsenkrisis Da hat NUN die türkische Negierung zwei Schritte gethan, um der Bank zu helfen. Sie hat ihr Privilegium um zwölf Jahre, bis 1925, verlängert. Da dies sehr vorteilhaft für sie ist, wird es vielleicht der Bank die Möglich¬ keit geben, das zur Einlösung aller Noten erforderliche Gold zu beschaffen, das angeblich schon etwa seit dem 6. November im Mittelmeer schwimmt, und wenn sich die Friedensaussichten bessern, wird es sogar wahrscheinlich ge¬ schehen. Zweitens hat die Negierung ein Moratorium von vier Monaten dekretirt, wovon die Bank Gebrauch machen kann, wenn es zum äußersten kommen sollte, und hat zugleich befohlen, daß bei Staatskassen die Noten der Bank gleichwertig mit Gold in Zahlung genommen werden sollen. Dadurch hofft sie ihnen unter allen Umständen den Parikurs zu erhalten. Die Regierung mußte solche Anstrengungen machen, weil, wenn die Noten entwertet werden, die Türkei kein Kurcmtgeld mehr hat, da sie nicht einmal Papiergeld ausgeben darf. Das ist die Folge davon, wenn ein Staat sein Geldwesen einer Privatciktienbank ausliefert! Der „Rum" auf die Bank wurde, wie auch der Beginn des Minenkrachs in Paris und London, veranlaßt durch die bekannte Depesche aus Petersburg über den Drohartikel der amtlichen Zeitung der russischen Regierung. Der amtliche Charakter des Artikels ist seitdem bestritten worden, die Wirkung ans die Geldverhältnisse der Türkei ist aber geblieben. Eine Anleihe kann das Reich jetzt nicht machen, und wenn die Ottomanbank zusammenbreche» sollte, giebt es auch kein Kurcmtgeld mehr — die Türkei ist finanziell wehrlos, in demselben Augenblick, wo sie doch soviel Geld braucht, um die Reformen mit Soldaten durchzuführen, die die Großmächte fordern. Die Ungeschicklichkeit des russischen „Regiernngsboteu" macht es ihr vielleicht unmöglich, das aus¬ zuführen, was Rußland mit den anderen Mächten von ihr verlangt. Der Goluchowskische Vermittlungsversuch und die Kouzessionsverlängerung der Bank wird aber vielleicht der Ottomanbank Luft schaffen und so die Türkei aus schwerster Geldnot in schwerer Zeit befreien. Von Konstantinopel aus übertrug sich der Börsenkrach am 9. November nach Wien und Pest, wo seit vier Jahren eine fast ununtcrbrochne und von den großen Banken geförderte Haussebewegung die Kurse zu ungerechtfertigter Höhe getrieben und die Kapitalkraft der „Outsiders" überangestrengt hatte, sodaß sie jetzt keine Widerstandskraft hatten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/436>, abgerufen am 24.07.2024.