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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die vereine und das bürgerliche Gesetzbuch

"welche den Staatsgesetzen oder der Sittlichkeit zuwiderlaufen, welche den
Staat oder die öffentliche Sicherheit gefährden." Das Verbot erstreckt sich zu¬
gleich auf einen vorgeblich neuen Verein, "welcher aber mit Rücksicht auf die
Entstehungszeit, die Mitglieder, die verfolgten Zwecke usw. sachlich als der
alte sich darstellt." In Hamburg sind Vereine (und Versammlungen) verboten,
"deren Zwecke oder deren Thätigkeit mit den Gesetzen in Widerspruch stehen
oder den öffentlichen Frieden oder die öffentliche Sicherheit gefährden." Endlich
gilt in Hessen, Oldenburg, Braunschweig, Altenburg, Rudolstadt, Sonders¬
hausen, Waldeck, Reuß älterer Linie und Schaumburg-Lippe noch heute der
Bundesbeschluß vom 7. September 1854, wonach "nur solche Vereine geduldet
werden dürfen, die sich darüber genügend auszuweisen vermögen, daß ihre
Zwecke mit der Bundes- und Landesgesetzgcbnng im Einklange stehen und die
öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht gefährden," während für politische
Vereine "nach Maßgabe der Umstände besondre vorübergehende Beschränkungen
und Verbote erlassen werden können." Es bleiben mithin zur Zeit nur Preußen,
Baiern, Württemberg, Weimar, Meiningen, Koburg-Gotha, Anhalt, Waldeck,
Neuß jüngerer Linie, Lippe, Lübeck und Bremen übrig, wo die Verwaltungs¬
behörde wenigstens das Jnslebentreten politischer Vereine nicht verhindern kann.

Der Rechtszustand auch nach Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs
wird also sein, daß in Reuß älterer Linie politische (und sozialpolitische) Vereine
niemals, im ganzen übrigen Deutschland nur mit Genehmigung der zuständigen
Verwaltungsbehörde die juristische Persönlichkeit werden erlangen können, daß
auch die Vereine mit sogenannten idealen Zwecken hierzu in Neuß älterer Linie
und in den Reichslanden der Genehmigung der Regierung bedürfen werden,
daß endlich über den politischen (und sozialpolitischen) Vereinen, auch wenn
sie das Recht der juristischen Persönlichkeit nicht in Anspruch nehmen wollen,
in Sachsen, Baden, Hamburg und in den sämtlichen Staaten des Bnndes-
beschlusses schon vor ihrer Geburt das Damoklesschwert des Verbotes schwebt,
und daß sie nur in Preußen, Baiern, Württemberg und einer Reihe kleinerer
Staaten nicht gehindert werden können, wenigstens ins Leben zu treten.

Wir haben mit Absicht die ganze Buntscheckigkeit der partikularen deutschen
Vereinsgesetzgebuug, übrigens nur nach der einen Richtung: welche Vereine
überhaupt zugelassen sind, zusammengestellt. Die Mannichfaltigkeit der Einzel-
Vorschriften, der Strafbestimmungen, der Auflösungsgründe usw. ist überhaupt
nicht leicht zu erschöpfen. Wir knüpfen daran die Frage, ob es das künftige
deutsche bürgerliche Gesetzbuch wirklich verantworten kann, in seinem Ein-
führungsgesetz lakonisch zu bestimmen: "Die öffentlichrechtlichen Vorschriften der
Landesgesetze über Zulassung, Schließung und Auflösung der Vereine bleiben
unberührt," wohl verstanden einschließlich alles dessen, was die Landesgesetze
auf diesem Gebiete etwa künftig noch leisten werden. Wir meinen, diese Frage
auswerfen heißt zugleich sie verneinen. Es wäre ebenso wenig würdig als


Grenzboten IV 1895 5,4
Die vereine und das bürgerliche Gesetzbuch

„welche den Staatsgesetzen oder der Sittlichkeit zuwiderlaufen, welche den
Staat oder die öffentliche Sicherheit gefährden." Das Verbot erstreckt sich zu¬
gleich auf einen vorgeblich neuen Verein, „welcher aber mit Rücksicht auf die
Entstehungszeit, die Mitglieder, die verfolgten Zwecke usw. sachlich als der
alte sich darstellt." In Hamburg sind Vereine (und Versammlungen) verboten,
„deren Zwecke oder deren Thätigkeit mit den Gesetzen in Widerspruch stehen
oder den öffentlichen Frieden oder die öffentliche Sicherheit gefährden." Endlich
gilt in Hessen, Oldenburg, Braunschweig, Altenburg, Rudolstadt, Sonders¬
hausen, Waldeck, Reuß älterer Linie und Schaumburg-Lippe noch heute der
Bundesbeschluß vom 7. September 1854, wonach „nur solche Vereine geduldet
werden dürfen, die sich darüber genügend auszuweisen vermögen, daß ihre
Zwecke mit der Bundes- und Landesgesetzgcbnng im Einklange stehen und die
öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht gefährden," während für politische
Vereine „nach Maßgabe der Umstände besondre vorübergehende Beschränkungen
und Verbote erlassen werden können." Es bleiben mithin zur Zeit nur Preußen,
Baiern, Württemberg, Weimar, Meiningen, Koburg-Gotha, Anhalt, Waldeck,
Neuß jüngerer Linie, Lippe, Lübeck und Bremen übrig, wo die Verwaltungs¬
behörde wenigstens das Jnslebentreten politischer Vereine nicht verhindern kann.

Der Rechtszustand auch nach Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs
wird also sein, daß in Reuß älterer Linie politische (und sozialpolitische) Vereine
niemals, im ganzen übrigen Deutschland nur mit Genehmigung der zuständigen
Verwaltungsbehörde die juristische Persönlichkeit werden erlangen können, daß
auch die Vereine mit sogenannten idealen Zwecken hierzu in Neuß älterer Linie
und in den Reichslanden der Genehmigung der Regierung bedürfen werden,
daß endlich über den politischen (und sozialpolitischen) Vereinen, auch wenn
sie das Recht der juristischen Persönlichkeit nicht in Anspruch nehmen wollen,
in Sachsen, Baden, Hamburg und in den sämtlichen Staaten des Bnndes-
beschlusses schon vor ihrer Geburt das Damoklesschwert des Verbotes schwebt,
und daß sie nur in Preußen, Baiern, Württemberg und einer Reihe kleinerer
Staaten nicht gehindert werden können, wenigstens ins Leben zu treten.

Wir haben mit Absicht die ganze Buntscheckigkeit der partikularen deutschen
Vereinsgesetzgebuug, übrigens nur nach der einen Richtung: welche Vereine
überhaupt zugelassen sind, zusammengestellt. Die Mannichfaltigkeit der Einzel-
Vorschriften, der Strafbestimmungen, der Auflösungsgründe usw. ist überhaupt
nicht leicht zu erschöpfen. Wir knüpfen daran die Frage, ob es das künftige
deutsche bürgerliche Gesetzbuch wirklich verantworten kann, in seinem Ein-
führungsgesetz lakonisch zu bestimmen: „Die öffentlichrechtlichen Vorschriften der
Landesgesetze über Zulassung, Schließung und Auflösung der Vereine bleiben
unberührt," wohl verstanden einschließlich alles dessen, was die Landesgesetze
auf diesem Gebiete etwa künftig noch leisten werden. Wir meinen, diese Frage
auswerfen heißt zugleich sie verneinen. Es wäre ebenso wenig würdig als


Grenzboten IV 1895 5,4
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[0427] Die vereine und das bürgerliche Gesetzbuch „welche den Staatsgesetzen oder der Sittlichkeit zuwiderlaufen, welche den Staat oder die öffentliche Sicherheit gefährden." Das Verbot erstreckt sich zu¬ gleich auf einen vorgeblich neuen Verein, „welcher aber mit Rücksicht auf die Entstehungszeit, die Mitglieder, die verfolgten Zwecke usw. sachlich als der alte sich darstellt." In Hamburg sind Vereine (und Versammlungen) verboten, „deren Zwecke oder deren Thätigkeit mit den Gesetzen in Widerspruch stehen oder den öffentlichen Frieden oder die öffentliche Sicherheit gefährden." Endlich gilt in Hessen, Oldenburg, Braunschweig, Altenburg, Rudolstadt, Sonders¬ hausen, Waldeck, Reuß älterer Linie und Schaumburg-Lippe noch heute der Bundesbeschluß vom 7. September 1854, wonach „nur solche Vereine geduldet werden dürfen, die sich darüber genügend auszuweisen vermögen, daß ihre Zwecke mit der Bundes- und Landesgesetzgcbnng im Einklange stehen und die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht gefährden," während für politische Vereine „nach Maßgabe der Umstände besondre vorübergehende Beschränkungen und Verbote erlassen werden können." Es bleiben mithin zur Zeit nur Preußen, Baiern, Württemberg, Weimar, Meiningen, Koburg-Gotha, Anhalt, Waldeck, Neuß jüngerer Linie, Lippe, Lübeck und Bremen übrig, wo die Verwaltungs¬ behörde wenigstens das Jnslebentreten politischer Vereine nicht verhindern kann. Der Rechtszustand auch nach Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs wird also sein, daß in Reuß älterer Linie politische (und sozialpolitische) Vereine niemals, im ganzen übrigen Deutschland nur mit Genehmigung der zuständigen Verwaltungsbehörde die juristische Persönlichkeit werden erlangen können, daß auch die Vereine mit sogenannten idealen Zwecken hierzu in Neuß älterer Linie und in den Reichslanden der Genehmigung der Regierung bedürfen werden, daß endlich über den politischen (und sozialpolitischen) Vereinen, auch wenn sie das Recht der juristischen Persönlichkeit nicht in Anspruch nehmen wollen, in Sachsen, Baden, Hamburg und in den sämtlichen Staaten des Bnndes- beschlusses schon vor ihrer Geburt das Damoklesschwert des Verbotes schwebt, und daß sie nur in Preußen, Baiern, Württemberg und einer Reihe kleinerer Staaten nicht gehindert werden können, wenigstens ins Leben zu treten. Wir haben mit Absicht die ganze Buntscheckigkeit der partikularen deutschen Vereinsgesetzgebuug, übrigens nur nach der einen Richtung: welche Vereine überhaupt zugelassen sind, zusammengestellt. Die Mannichfaltigkeit der Einzel- Vorschriften, der Strafbestimmungen, der Auflösungsgründe usw. ist überhaupt nicht leicht zu erschöpfen. Wir knüpfen daran die Frage, ob es das künftige deutsche bürgerliche Gesetzbuch wirklich verantworten kann, in seinem Ein- führungsgesetz lakonisch zu bestimmen: „Die öffentlichrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze über Zulassung, Schließung und Auflösung der Vereine bleiben unberührt," wohl verstanden einschließlich alles dessen, was die Landesgesetze auf diesem Gebiete etwa künftig noch leisten werden. Wir meinen, diese Frage auswerfen heißt zugleich sie verneinen. Es wäre ebenso wenig würdig als Grenzboten IV 1895 5,4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/427>, abgerufen am 24.07.2024.