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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die vereine lind das bürgerliche Gesetzbuch

tnngsbehörde zur Zeit machtlos, wenn nicht vielleicht versucht werden sollte,
aus den Persönlichkeiten der Mitglieder oder Vorstandsmitglieder, ihren poli¬
tischen Gesinnungen usw. herauszukonstruireu, daß der statutarisch unanfecht¬
bare Zweck etwa nur vorgeschoben sei. Jedenfalls schiebt das Gesetz einer
etwaigen derartigen Praxis, die nicht ohne Beispiel wäre, keinen Riegel vor.
Handelt es sich dagegen um Vereine, die sich schon in ihrem Statut zu poli¬
tischen, sozialpolitischen oder religiösen Zwecken bekennen, so soll es künftig
überall in Deutschland von der Gnade der Verwaltungsbehörden abhängen,
ob diese Vereine die privatrechtliche Vermögensfähigkeit erlangen oder nicht.
Das Verwaltungsstreitverfahren, das formell auch hier zugelassen ist, kann in
diesem Falle uur eine leere Zeremonie bedeuten. Über die Thatsache, daß die
Verwaltungsbehörde Einspruch erhoben hat. kommt auch das Verwaltungs¬
gericht nicht hinweg.

Freilich reicht der Einspruch der Verwaltungsbehörde gegen die Eintragung
im Vereinsregister nicht ohne weiteres hin, das Zustandekommen eines poli¬
tischen, sozialpolitischen oder religiösen Vereins überhaupt zu verhindern. Nur
Neuß älterer Linie ^) ist es wiederum, das im Lapidarstil befiehlt: "Politische
Vereine sind in Unserm Fürstentum gänzlich untersagt," und beide Mecklenburg
behalten für Vereine zu politischen Zwecken die Genehmigung des Ministeriums
des Innern oder der Landesregierung vor. Außerhalb dieser drei Staats¬
gebiete und des Neichslcmdes besteht in Deutschland, zur Zeit wenigstens, für
die Unterthanen gesetzlich kein Hindernis, sich auch in politischen und sozial¬
politischen Vereinen zusammenzuschließen. Die Landesgesetze, nach denen Re-
ligionsgesellschaften und geistliche Gesellschaften besondern Bestimmungen unter¬
liege,,, und die nach dem EntWurfe auch künftig in Geltung bleiben sollen,
lassen wir hier außer Acht. Freilich ist das Recht, Vereine zu bilden, in einer
Reihe von Vundesstaaten durch Bestimmungen wieder in Frage gestellt, deren
Dehnbarkeit in jeder Reichstagssession durch drastische Beispiele belegt worden ist.
In Sachsen, dessen Vereinsgesetz von dem Minister des Innern unlängst als
ein "Juwel" gerühmt wurde, sind Vereine verboten, "in deren Zweck es liegt,
Gesetzübertretungen oder unsittliche Handlungen zu begehen, dazu aufzufordern
oder dazu geneigt zu machen." In Baden können Vereine verboten werden,



Das Vereins- und Versammluugsrecht ist in der Fürstlich Reuß-Plauenschen Gesetz¬
gebung mit einer liebevollen Ausführlichkeit behandelt, die andre Bundesstaaten mit Neid er¬
füllen sollte. Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, daß Reuß älterer Linie auch heute "och
el" reizendes kleines Sozialistengesetz hat. Verboten sind z.B. auch "Versammlungen, von
denen durch Thatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sie zur Förderung von(I) ans(!) den
Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichteten Bestrebungen bestimmt
sind," ebensowenig darf Personen das Wort erteilt werden, die "bekanntermaßen einer
Umsturzpartei nugehvreu." Neuß-Greiz ist übrigens im Reichstag durch einen Sozialdemo-
krnten vertrete".
Die vereine lind das bürgerliche Gesetzbuch

tnngsbehörde zur Zeit machtlos, wenn nicht vielleicht versucht werden sollte,
aus den Persönlichkeiten der Mitglieder oder Vorstandsmitglieder, ihren poli¬
tischen Gesinnungen usw. herauszukonstruireu, daß der statutarisch unanfecht¬
bare Zweck etwa nur vorgeschoben sei. Jedenfalls schiebt das Gesetz einer
etwaigen derartigen Praxis, die nicht ohne Beispiel wäre, keinen Riegel vor.
Handelt es sich dagegen um Vereine, die sich schon in ihrem Statut zu poli¬
tischen, sozialpolitischen oder religiösen Zwecken bekennen, so soll es künftig
überall in Deutschland von der Gnade der Verwaltungsbehörden abhängen,
ob diese Vereine die privatrechtliche Vermögensfähigkeit erlangen oder nicht.
Das Verwaltungsstreitverfahren, das formell auch hier zugelassen ist, kann in
diesem Falle uur eine leere Zeremonie bedeuten. Über die Thatsache, daß die
Verwaltungsbehörde Einspruch erhoben hat. kommt auch das Verwaltungs¬
gericht nicht hinweg.

Freilich reicht der Einspruch der Verwaltungsbehörde gegen die Eintragung
im Vereinsregister nicht ohne weiteres hin, das Zustandekommen eines poli¬
tischen, sozialpolitischen oder religiösen Vereins überhaupt zu verhindern. Nur
Neuß älterer Linie ^) ist es wiederum, das im Lapidarstil befiehlt: „Politische
Vereine sind in Unserm Fürstentum gänzlich untersagt," und beide Mecklenburg
behalten für Vereine zu politischen Zwecken die Genehmigung des Ministeriums
des Innern oder der Landesregierung vor. Außerhalb dieser drei Staats¬
gebiete und des Neichslcmdes besteht in Deutschland, zur Zeit wenigstens, für
die Unterthanen gesetzlich kein Hindernis, sich auch in politischen und sozial¬
politischen Vereinen zusammenzuschließen. Die Landesgesetze, nach denen Re-
ligionsgesellschaften und geistliche Gesellschaften besondern Bestimmungen unter¬
liege,,, und die nach dem EntWurfe auch künftig in Geltung bleiben sollen,
lassen wir hier außer Acht. Freilich ist das Recht, Vereine zu bilden, in einer
Reihe von Vundesstaaten durch Bestimmungen wieder in Frage gestellt, deren
Dehnbarkeit in jeder Reichstagssession durch drastische Beispiele belegt worden ist.
In Sachsen, dessen Vereinsgesetz von dem Minister des Innern unlängst als
ein „Juwel" gerühmt wurde, sind Vereine verboten, „in deren Zweck es liegt,
Gesetzübertretungen oder unsittliche Handlungen zu begehen, dazu aufzufordern
oder dazu geneigt zu machen." In Baden können Vereine verboten werden,



Das Vereins- und Versammluugsrecht ist in der Fürstlich Reuß-Plauenschen Gesetz¬
gebung mit einer liebevollen Ausführlichkeit behandelt, die andre Bundesstaaten mit Neid er¬
füllen sollte. Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, daß Reuß älterer Linie auch heute »och
el» reizendes kleines Sozialistengesetz hat. Verboten sind z.B. auch „Versammlungen, von
denen durch Thatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sie zur Förderung von(I) ans(!) den
Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichteten Bestrebungen bestimmt
sind," ebensowenig darf Personen das Wort erteilt werden, die „bekanntermaßen einer
Umsturzpartei nugehvreu." Neuß-Greiz ist übrigens im Reichstag durch einen Sozialdemo-
krnten vertrete».
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/426>, abgerufen am 24.07.2024.