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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

Eine solche Reform kann aber natürlich nur damit beginnen, daß die, die
diese mehr oder weniger eingebildeten Vorrechte der Klassen und Berufe ge¬
nießen, freiwillig darauf verzichten, d. h. eine solche Veredlung muß von oben
kommen. Ob hierfür die gegenwärtigen Zeiten besonders günstig sind, mag
dahingestellt bleiben. Sollten sie es nicht sein, sollten die Klassenunterschiede
noch mehr betont, die "rote Schnur" noch deutlicher trennend gezogen werden,
so braucht der Volksfreund darum nicht zu verzweifeln; vielleicht werden seine
Bemühungen, eine kraftvolle Einigkeit in der festlichen Freude nationaler oder
andrer Gedenktage zu erreichen, etwas länger dauern, als die Geduld der
Begeisterung für das schöne Ziel warten möchte; aber verkennen wird er nicht,
daß sich seine Bestrebungen mit einer starken Strömung im Volke selber decken,
daß -- wie es immer der Fall war -- ein politisch und geistig mächtig em¬
porblühendes Volk auch seine gemeinsamen Feste wieder haben will und des¬
halb auch die Hemmnisse überwinden wird, die noch in der Gestalt künstlich
errichteter Scheidewände der "Bildung," des Berufs oder des Standes das
Gefühl der Gemeinsamkeit lähmen möchten. Zu rechter Zeit wird dann auch
der Mann erstehen, der die schwellende Strömung zu nutzen weiß, zum Heile
unsers Volks, das es liebt, seine Geschicke von der glanzvollen Höhe eines
volkstümlichen Thrones aus geleitet zu sehen. Ein weiser Herrscher, der sein
Volk liebt und die Liebe des Volkes zu schätzen weiß, ein Herrscher, der zugleich
die Einsicht hat, mit den aus den trübsten Tagen deutscher Geschichte stam¬
menden Vorurteilen des Standes und Berufes aufzuräumen, wird damit sein
Volk erziehen zu einer machtvollen Einheit; ein nicht bloß "gebildetes" und
cxaminirtes, sondern vor allen Dingen gesittetes Volk, dein nichts Menschliches
fremd ist, und das darum in allen seinen Stammesgenossen den gleichen, all¬
gemein menschlichen Wert sieht, in dem Bauer und Edelmann, Kaufherr und
Beamter, Offizier und Handwerker nur als gleichwertige Mitarbeiter an dem
großen Bau erscheinen, den wir 8ains xubUog, nennen. Wer seine Pflichten
gegen Gott und seinen Nächsten und sein Vaterland erfüllt in treuer Gewissen¬
haftigkeit, wer als Arbeiter für das Gesamtwohl sein Bestes giebt, den drückt
auch die Göttin der Festfreude warm ans Herz, unbekümmert darum, auf
welchem Platz der Kämpfer steht, ob in der vordersten Reihe der Streiter
als einfacher Soldat, ob weit zurück auf geistiger Höhe die Bewegungen leitend
als Feldherr.

Eine Reform der Anschauungen in diesem Sinne kann, wie gesagt, natür¬
lich nur "von oben" ausgehen; sie entzieht sich dem Volksfreunde, der mit
Theorie und Wünschen wohl für sie eintreten, sie praktisch aber nicht ver¬
wirklichen kann. Mit dieser Einschränkung allein wird es uns möglich sein,
an eine Reform unsrer Volksfeste heranzutreten. Sicherlich ist es die Haupt¬
sache, die zu erreichen nicht von den Vemühnngen des Volksfreundes abhängt.
Aber auch wenn wir uns darauf beschränken müssen, die Mittel und Wege zu


Unsre Volksfeste

Eine solche Reform kann aber natürlich nur damit beginnen, daß die, die
diese mehr oder weniger eingebildeten Vorrechte der Klassen und Berufe ge¬
nießen, freiwillig darauf verzichten, d. h. eine solche Veredlung muß von oben
kommen. Ob hierfür die gegenwärtigen Zeiten besonders günstig sind, mag
dahingestellt bleiben. Sollten sie es nicht sein, sollten die Klassenunterschiede
noch mehr betont, die „rote Schnur" noch deutlicher trennend gezogen werden,
so braucht der Volksfreund darum nicht zu verzweifeln; vielleicht werden seine
Bemühungen, eine kraftvolle Einigkeit in der festlichen Freude nationaler oder
andrer Gedenktage zu erreichen, etwas länger dauern, als die Geduld der
Begeisterung für das schöne Ziel warten möchte; aber verkennen wird er nicht,
daß sich seine Bestrebungen mit einer starken Strömung im Volke selber decken,
daß — wie es immer der Fall war — ein politisch und geistig mächtig em¬
porblühendes Volk auch seine gemeinsamen Feste wieder haben will und des¬
halb auch die Hemmnisse überwinden wird, die noch in der Gestalt künstlich
errichteter Scheidewände der „Bildung," des Berufs oder des Standes das
Gefühl der Gemeinsamkeit lähmen möchten. Zu rechter Zeit wird dann auch
der Mann erstehen, der die schwellende Strömung zu nutzen weiß, zum Heile
unsers Volks, das es liebt, seine Geschicke von der glanzvollen Höhe eines
volkstümlichen Thrones aus geleitet zu sehen. Ein weiser Herrscher, der sein
Volk liebt und die Liebe des Volkes zu schätzen weiß, ein Herrscher, der zugleich
die Einsicht hat, mit den aus den trübsten Tagen deutscher Geschichte stam¬
menden Vorurteilen des Standes und Berufes aufzuräumen, wird damit sein
Volk erziehen zu einer machtvollen Einheit; ein nicht bloß „gebildetes" und
cxaminirtes, sondern vor allen Dingen gesittetes Volk, dein nichts Menschliches
fremd ist, und das darum in allen seinen Stammesgenossen den gleichen, all¬
gemein menschlichen Wert sieht, in dem Bauer und Edelmann, Kaufherr und
Beamter, Offizier und Handwerker nur als gleichwertige Mitarbeiter an dem
großen Bau erscheinen, den wir 8ains xubUog, nennen. Wer seine Pflichten
gegen Gott und seinen Nächsten und sein Vaterland erfüllt in treuer Gewissen¬
haftigkeit, wer als Arbeiter für das Gesamtwohl sein Bestes giebt, den drückt
auch die Göttin der Festfreude warm ans Herz, unbekümmert darum, auf
welchem Platz der Kämpfer steht, ob in der vordersten Reihe der Streiter
als einfacher Soldat, ob weit zurück auf geistiger Höhe die Bewegungen leitend
als Feldherr.

Eine Reform der Anschauungen in diesem Sinne kann, wie gesagt, natür¬
lich nur „von oben" ausgehen; sie entzieht sich dem Volksfreunde, der mit
Theorie und Wünschen wohl für sie eintreten, sie praktisch aber nicht ver¬
wirklichen kann. Mit dieser Einschränkung allein wird es uns möglich sein,
an eine Reform unsrer Volksfeste heranzutreten. Sicherlich ist es die Haupt¬
sache, die zu erreichen nicht von den Vemühnngen des Volksfreundes abhängt.
Aber auch wenn wir uns darauf beschränken müssen, die Mittel und Wege zu


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[0401] Unsre Volksfeste Eine solche Reform kann aber natürlich nur damit beginnen, daß die, die diese mehr oder weniger eingebildeten Vorrechte der Klassen und Berufe ge¬ nießen, freiwillig darauf verzichten, d. h. eine solche Veredlung muß von oben kommen. Ob hierfür die gegenwärtigen Zeiten besonders günstig sind, mag dahingestellt bleiben. Sollten sie es nicht sein, sollten die Klassenunterschiede noch mehr betont, die „rote Schnur" noch deutlicher trennend gezogen werden, so braucht der Volksfreund darum nicht zu verzweifeln; vielleicht werden seine Bemühungen, eine kraftvolle Einigkeit in der festlichen Freude nationaler oder andrer Gedenktage zu erreichen, etwas länger dauern, als die Geduld der Begeisterung für das schöne Ziel warten möchte; aber verkennen wird er nicht, daß sich seine Bestrebungen mit einer starken Strömung im Volke selber decken, daß — wie es immer der Fall war — ein politisch und geistig mächtig em¬ porblühendes Volk auch seine gemeinsamen Feste wieder haben will und des¬ halb auch die Hemmnisse überwinden wird, die noch in der Gestalt künstlich errichteter Scheidewände der „Bildung," des Berufs oder des Standes das Gefühl der Gemeinsamkeit lähmen möchten. Zu rechter Zeit wird dann auch der Mann erstehen, der die schwellende Strömung zu nutzen weiß, zum Heile unsers Volks, das es liebt, seine Geschicke von der glanzvollen Höhe eines volkstümlichen Thrones aus geleitet zu sehen. Ein weiser Herrscher, der sein Volk liebt und die Liebe des Volkes zu schätzen weiß, ein Herrscher, der zugleich die Einsicht hat, mit den aus den trübsten Tagen deutscher Geschichte stam¬ menden Vorurteilen des Standes und Berufes aufzuräumen, wird damit sein Volk erziehen zu einer machtvollen Einheit; ein nicht bloß „gebildetes" und cxaminirtes, sondern vor allen Dingen gesittetes Volk, dein nichts Menschliches fremd ist, und das darum in allen seinen Stammesgenossen den gleichen, all¬ gemein menschlichen Wert sieht, in dem Bauer und Edelmann, Kaufherr und Beamter, Offizier und Handwerker nur als gleichwertige Mitarbeiter an dem großen Bau erscheinen, den wir 8ains xubUog, nennen. Wer seine Pflichten gegen Gott und seinen Nächsten und sein Vaterland erfüllt in treuer Gewissen¬ haftigkeit, wer als Arbeiter für das Gesamtwohl sein Bestes giebt, den drückt auch die Göttin der Festfreude warm ans Herz, unbekümmert darum, auf welchem Platz der Kämpfer steht, ob in der vordersten Reihe der Streiter als einfacher Soldat, ob weit zurück auf geistiger Höhe die Bewegungen leitend als Feldherr. Eine Reform der Anschauungen in diesem Sinne kann, wie gesagt, natür¬ lich nur „von oben" ausgehen; sie entzieht sich dem Volksfreunde, der mit Theorie und Wünschen wohl für sie eintreten, sie praktisch aber nicht ver¬ wirklichen kann. Mit dieser Einschränkung allein wird es uns möglich sein, an eine Reform unsrer Volksfeste heranzutreten. Sicherlich ist es die Haupt¬ sache, die zu erreichen nicht von den Vemühnngen des Volksfreundes abhängt. Aber auch wenn wir uns darauf beschränken müssen, die Mittel und Wege zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/401>, abgerufen am 24.07.2024.