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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

Haufe von Menschen, die ihre Zeit totschlagen inmitten der geschmacklosesten
und nichtssagenden Schallstellungen von Feueressern, Schlangcnbändigerinnen,
Wachsfiguren und Niesenweibern. Die "Freude," die dort gedeiht, ist eher
alles untre als ein schöner Götterfunke, und ihre Zauber binden nicht, "was
die Mode streng geteilt," da ja "die Bessern sich fernhalten, die Schlechtem
aber Unfug treiben."

Nicht viel besser ist, was an "Volksfesten" die modernen Welt-, National-
und Lokalausstellungen bieten, obgleich hier der geistige Wettbewerb hin¬
zutritt.

Überblickt man nun, was neben diesen Verkehrsfesten an öffentlichen Volks¬
festen bleibt, d. h. die vaterländischen, Sport- und Kunstfcste, so erscheint als
der wesentliche Mangel dieser der Umstand, daß sie nicht eigentlich allgemeine
öffentliche Volksfeste, sondern Klassen- oder Fachfeste mit einer mehr oder
weniger beschränkten Beteiligung des Volkes sind: es sehlt ihnen die Grund¬
lage, die wir als unerläßliche Bedingung eines solchen hinstellten, die von
regsten Gemeinsinn getragne Beteiligung des gesamten Volks. Bald sind es
bürgerliche Handwerker und Kaufleute, bald Schüler, bald das Militär, wieder
ein andres mal junge Leute der "besser situirteu" Bürgerklasseu, die dieses
oder jenes "Volksfest" veranstalten; selten aber oder nie trifft man jene Ver¬
einigung aller "Klaffen" und Schichten, die jede in ihrer Art und nach ihrer
Kraft nicht bloß gaffend, sondern auch schaffend zur Festfreude beisteuern und
so an nationalen Gedenktagen selbst das schöne und großartige Bild eines in
gemeinsamer Freude innig vereinten Volks bieten. Der "Gebildete" zumal
pflegt, wie Faust und Wagner, an der bunten Menge vorüberzugehen, wohl¬
wollend oder krittelnd, je nach der Gemütsart, aber weder selbst teilnehmend,
noch durch seine Teilnahme jene Förderung des Tones bewirkend, der stets die
Folge jeder gesitteten Einwirkung ist.

Wie dem abzuhelfen sei, ist eine Frage, die ernsthaft genug wohl schon
manchen denkenden Volksfreund beschäftigt hat, kommt sie doch schließlich darauf
hinaus, unser Volk von dem Fluche des dreißigjährigen Kriegs und der ihm
folgenden Jahrhunderte einer fremdartigen, deutsches Wesen umkehrenden Ent¬
wicklung zu erlösen und ihm den "sozialen Frieden" wiederzugeben, den
Klassenhaß und Rassenhaß und Masseuhaß so arg zerstört haben. Nun ist
zwar anzunehmen, daß allgemeine Volksfeste rückwirkend auch weitere Kreise
ausgleichend beeinflussen würden; im Grunde genommen bildet aber eine solche
Ausgleichung erst die Vorbedingung eines wirklichen Volksfestes. Was also
-- wenn wir diesen Zirkel vermeiden wollen -- an erster Stelle im deutschen
Vaterlande zu heben und zu veredeln ist, das ist der Gemeinsinn, der keinen
Unterschied der "Bildung," des Standes, des Berufs, der Klassen, des Ranges,
des Reichtums und der Würden im Feste kennt, sondern sich frisch und frei
als Mensch giebt, dort, wo er es vor allem sein darf und sein soll.


Unsre Volksfeste

Haufe von Menschen, die ihre Zeit totschlagen inmitten der geschmacklosesten
und nichtssagenden Schallstellungen von Feueressern, Schlangcnbändigerinnen,
Wachsfiguren und Niesenweibern. Die „Freude," die dort gedeiht, ist eher
alles untre als ein schöner Götterfunke, und ihre Zauber binden nicht, „was
die Mode streng geteilt," da ja „die Bessern sich fernhalten, die Schlechtem
aber Unfug treiben."

Nicht viel besser ist, was an „Volksfesten" die modernen Welt-, National-
und Lokalausstellungen bieten, obgleich hier der geistige Wettbewerb hin¬
zutritt.

Überblickt man nun, was neben diesen Verkehrsfesten an öffentlichen Volks¬
festen bleibt, d. h. die vaterländischen, Sport- und Kunstfcste, so erscheint als
der wesentliche Mangel dieser der Umstand, daß sie nicht eigentlich allgemeine
öffentliche Volksfeste, sondern Klassen- oder Fachfeste mit einer mehr oder
weniger beschränkten Beteiligung des Volkes sind: es sehlt ihnen die Grund¬
lage, die wir als unerläßliche Bedingung eines solchen hinstellten, die von
regsten Gemeinsinn getragne Beteiligung des gesamten Volks. Bald sind es
bürgerliche Handwerker und Kaufleute, bald Schüler, bald das Militär, wieder
ein andres mal junge Leute der „besser situirteu" Bürgerklasseu, die dieses
oder jenes „Volksfest" veranstalten; selten aber oder nie trifft man jene Ver¬
einigung aller „Klaffen" und Schichten, die jede in ihrer Art und nach ihrer
Kraft nicht bloß gaffend, sondern auch schaffend zur Festfreude beisteuern und
so an nationalen Gedenktagen selbst das schöne und großartige Bild eines in
gemeinsamer Freude innig vereinten Volks bieten. Der „Gebildete" zumal
pflegt, wie Faust und Wagner, an der bunten Menge vorüberzugehen, wohl¬
wollend oder krittelnd, je nach der Gemütsart, aber weder selbst teilnehmend,
noch durch seine Teilnahme jene Förderung des Tones bewirkend, der stets die
Folge jeder gesitteten Einwirkung ist.

Wie dem abzuhelfen sei, ist eine Frage, die ernsthaft genug wohl schon
manchen denkenden Volksfreund beschäftigt hat, kommt sie doch schließlich darauf
hinaus, unser Volk von dem Fluche des dreißigjährigen Kriegs und der ihm
folgenden Jahrhunderte einer fremdartigen, deutsches Wesen umkehrenden Ent¬
wicklung zu erlösen und ihm den „sozialen Frieden" wiederzugeben, den
Klassenhaß und Rassenhaß und Masseuhaß so arg zerstört haben. Nun ist
zwar anzunehmen, daß allgemeine Volksfeste rückwirkend auch weitere Kreise
ausgleichend beeinflussen würden; im Grunde genommen bildet aber eine solche
Ausgleichung erst die Vorbedingung eines wirklichen Volksfestes. Was also
— wenn wir diesen Zirkel vermeiden wollen — an erster Stelle im deutschen
Vaterlande zu heben und zu veredeln ist, das ist der Gemeinsinn, der keinen
Unterschied der „Bildung," des Standes, des Berufs, der Klassen, des Ranges,
des Reichtums und der Würden im Feste kennt, sondern sich frisch und frei
als Mensch giebt, dort, wo er es vor allem sein darf und sein soll.


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[0400] Unsre Volksfeste Haufe von Menschen, die ihre Zeit totschlagen inmitten der geschmacklosesten und nichtssagenden Schallstellungen von Feueressern, Schlangcnbändigerinnen, Wachsfiguren und Niesenweibern. Die „Freude," die dort gedeiht, ist eher alles untre als ein schöner Götterfunke, und ihre Zauber binden nicht, „was die Mode streng geteilt," da ja „die Bessern sich fernhalten, die Schlechtem aber Unfug treiben." Nicht viel besser ist, was an „Volksfesten" die modernen Welt-, National- und Lokalausstellungen bieten, obgleich hier der geistige Wettbewerb hin¬ zutritt. Überblickt man nun, was neben diesen Verkehrsfesten an öffentlichen Volks¬ festen bleibt, d. h. die vaterländischen, Sport- und Kunstfcste, so erscheint als der wesentliche Mangel dieser der Umstand, daß sie nicht eigentlich allgemeine öffentliche Volksfeste, sondern Klassen- oder Fachfeste mit einer mehr oder weniger beschränkten Beteiligung des Volkes sind: es sehlt ihnen die Grund¬ lage, die wir als unerläßliche Bedingung eines solchen hinstellten, die von regsten Gemeinsinn getragne Beteiligung des gesamten Volks. Bald sind es bürgerliche Handwerker und Kaufleute, bald Schüler, bald das Militär, wieder ein andres mal junge Leute der „besser situirteu" Bürgerklasseu, die dieses oder jenes „Volksfest" veranstalten; selten aber oder nie trifft man jene Ver¬ einigung aller „Klaffen" und Schichten, die jede in ihrer Art und nach ihrer Kraft nicht bloß gaffend, sondern auch schaffend zur Festfreude beisteuern und so an nationalen Gedenktagen selbst das schöne und großartige Bild eines in gemeinsamer Freude innig vereinten Volks bieten. Der „Gebildete" zumal pflegt, wie Faust und Wagner, an der bunten Menge vorüberzugehen, wohl¬ wollend oder krittelnd, je nach der Gemütsart, aber weder selbst teilnehmend, noch durch seine Teilnahme jene Förderung des Tones bewirkend, der stets die Folge jeder gesitteten Einwirkung ist. Wie dem abzuhelfen sei, ist eine Frage, die ernsthaft genug wohl schon manchen denkenden Volksfreund beschäftigt hat, kommt sie doch schließlich darauf hinaus, unser Volk von dem Fluche des dreißigjährigen Kriegs und der ihm folgenden Jahrhunderte einer fremdartigen, deutsches Wesen umkehrenden Ent¬ wicklung zu erlösen und ihm den „sozialen Frieden" wiederzugeben, den Klassenhaß und Rassenhaß und Masseuhaß so arg zerstört haben. Nun ist zwar anzunehmen, daß allgemeine Volksfeste rückwirkend auch weitere Kreise ausgleichend beeinflussen würden; im Grunde genommen bildet aber eine solche Ausgleichung erst die Vorbedingung eines wirklichen Volksfestes. Was also — wenn wir diesen Zirkel vermeiden wollen — an erster Stelle im deutschen Vaterlande zu heben und zu veredeln ist, das ist der Gemeinsinn, der keinen Unterschied der „Bildung," des Standes, des Berufs, der Klassen, des Ranges, des Reichtums und der Würden im Feste kennt, sondern sich frisch und frei als Mensch giebt, dort, wo er es vor allem sein darf und sein soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/400>, abgerufen am 04.07.2024.