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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich >>n Zeitenstrome

isidorischen Dekretalen geschmiedet haben, so enthüllt sich uns ein Lebensgesetz
der Kirchen: daß es nämlich nicht der heilige Geist, sondern ein sehr unheiliger
Weltgeist ist, der den materiellen Kirchenleib, das aus Macht, Geld und Rechten
bestehende äußere Gerüst der Kirchen baut. Wie könnte auch ein vom Geiste
des Evangeliums beseelter Mann hierarchische Ansprüche erheben und ver¬
teidigen und Leute, die gegen diese Ansprüche Gewissensbedenken hegen, mit
dem Tode bedrohen, wie es früher geschah, oder, seitdem das nicht mehr möglich
ist, aus der Kirche hinauszudrängen versuchen! Aber natürlich können die
Hierarchen die wirklich frommen Seelen, als Beweise für die heiligende Kraft
und die Notwendigkeit der Kirche, nicht entbehren, und wenn es gelingt, diesen
frommen Seelen einzureden, daß die hierarchischen Ansprüche Ausflüsse des
göttlichen Willens seien, dann sind sie im passiven Widerstande gegen die
Feinde der Kirche und in Opfern für ihren Glauben gewöhnlich sogar stand¬
hafter als die Kampfhähne, die sie in so üble Lage gebracht haben.

Das Zeugnis also stelle ich meinem Erzpriester aus, daß er die Klugheit
der Kinder dieser Welt, die er in allen Verhältnissen zeigte, auch in diesem
Falle bewährt hat. Wie heute die Negierung das äußerste aufbieten muß,
um die Sozialdemokratie nicht in die Armee eindringen zu lassen, so mußte
in jenen für die katholische Kirche Deutschlands kritischen Tagen die Hierarchie
jeden unsicher" Kantonisten auszumerzen streben, um jeder Lockerung der Dis¬
ziplin in ihren Bataillonen vorzubeugen. Im Umgange mit mir war später
der Erzpriester, so oft ich mit ihm zusammenkam, der liebenswürdige und heitere
Weltmann und hat niemals auf die brennenden Fragen und auf unsre Korre¬
spondenz angespielt. Einmal hat er Kirchenvisitation und bei dieser Gelegen¬
heit auch eine Katechese bei mir abgehalten. Die fiel nun glänzend aus, nicht
als pädagogische Leistung, denn er sprach beständig allein, und die Kinder
hatten nur manchmal ja oder nein zu sagen, sondern als geschickte Kultur¬
kampfleistung. Er schilderte die Erhabenheit, Vernünftigkeit, Einfachheit und
Verständlichkeit des mosaischen Gesetzes, des Deknlogs, und stellte ihr die Gesetz-
macherei des modernen Staats gegenüber, die er gründlich lächerlich machte.
Das habe ich ja auch schon öfter gethan und thue es auch heute noch manchmal.
Aber in der Kirche! Und in einer Katechese mit Volksschülern! Und mit dem
handgreiflichen Hinweis auf die eben erlassenen Maigesetze! Ihre Wirkung hat
diese Katechese zweifellos gethan, denn so dumm waren die Kinder nicht, daß
sie nicht alles gut verstanden und zu Hause getreulich berichtet hätten.

Aber kehren wir aus dem Jahre 1873 noch einmal in das Jahr 1871
zurück. Am 12. Juni fuhren wir von Grüssau ab. Von Schönau holte uns
der einzige katholische Bauer Harpersdorfs in seinem bekränzten Wagen ab.
Es war ein schauderhaftes Wetter: Kälte, Sturm und Regen, dazu der Weg
sehr schlecht, sodaß meiner schwächlichen und kränklichen Mutter unterwegs übel
wurde. Das Glöcklein, dessen Gebimmel uns bei der Ankunft begrüßte, klang


Wandlungen des Ich >>n Zeitenstrome

isidorischen Dekretalen geschmiedet haben, so enthüllt sich uns ein Lebensgesetz
der Kirchen: daß es nämlich nicht der heilige Geist, sondern ein sehr unheiliger
Weltgeist ist, der den materiellen Kirchenleib, das aus Macht, Geld und Rechten
bestehende äußere Gerüst der Kirchen baut. Wie könnte auch ein vom Geiste
des Evangeliums beseelter Mann hierarchische Ansprüche erheben und ver¬
teidigen und Leute, die gegen diese Ansprüche Gewissensbedenken hegen, mit
dem Tode bedrohen, wie es früher geschah, oder, seitdem das nicht mehr möglich
ist, aus der Kirche hinauszudrängen versuchen! Aber natürlich können die
Hierarchen die wirklich frommen Seelen, als Beweise für die heiligende Kraft
und die Notwendigkeit der Kirche, nicht entbehren, und wenn es gelingt, diesen
frommen Seelen einzureden, daß die hierarchischen Ansprüche Ausflüsse des
göttlichen Willens seien, dann sind sie im passiven Widerstande gegen die
Feinde der Kirche und in Opfern für ihren Glauben gewöhnlich sogar stand¬
hafter als die Kampfhähne, die sie in so üble Lage gebracht haben.

Das Zeugnis also stelle ich meinem Erzpriester aus, daß er die Klugheit
der Kinder dieser Welt, die er in allen Verhältnissen zeigte, auch in diesem
Falle bewährt hat. Wie heute die Negierung das äußerste aufbieten muß,
um die Sozialdemokratie nicht in die Armee eindringen zu lassen, so mußte
in jenen für die katholische Kirche Deutschlands kritischen Tagen die Hierarchie
jeden unsicher» Kantonisten auszumerzen streben, um jeder Lockerung der Dis¬
ziplin in ihren Bataillonen vorzubeugen. Im Umgange mit mir war später
der Erzpriester, so oft ich mit ihm zusammenkam, der liebenswürdige und heitere
Weltmann und hat niemals auf die brennenden Fragen und auf unsre Korre¬
spondenz angespielt. Einmal hat er Kirchenvisitation und bei dieser Gelegen¬
heit auch eine Katechese bei mir abgehalten. Die fiel nun glänzend aus, nicht
als pädagogische Leistung, denn er sprach beständig allein, und die Kinder
hatten nur manchmal ja oder nein zu sagen, sondern als geschickte Kultur¬
kampfleistung. Er schilderte die Erhabenheit, Vernünftigkeit, Einfachheit und
Verständlichkeit des mosaischen Gesetzes, des Deknlogs, und stellte ihr die Gesetz-
macherei des modernen Staats gegenüber, die er gründlich lächerlich machte.
Das habe ich ja auch schon öfter gethan und thue es auch heute noch manchmal.
Aber in der Kirche! Und in einer Katechese mit Volksschülern! Und mit dem
handgreiflichen Hinweis auf die eben erlassenen Maigesetze! Ihre Wirkung hat
diese Katechese zweifellos gethan, denn so dumm waren die Kinder nicht, daß
sie nicht alles gut verstanden und zu Hause getreulich berichtet hätten.

Aber kehren wir aus dem Jahre 1873 noch einmal in das Jahr 1871
zurück. Am 12. Juni fuhren wir von Grüssau ab. Von Schönau holte uns
der einzige katholische Bauer Harpersdorfs in seinem bekränzten Wagen ab.
Es war ein schauderhaftes Wetter: Kälte, Sturm und Regen, dazu der Weg
sehr schlecht, sodaß meiner schwächlichen und kränklichen Mutter unterwegs übel
wurde. Das Glöcklein, dessen Gebimmel uns bei der Ankunft begrüßte, klang


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[0388] Wandlungen des Ich >>n Zeitenstrome isidorischen Dekretalen geschmiedet haben, so enthüllt sich uns ein Lebensgesetz der Kirchen: daß es nämlich nicht der heilige Geist, sondern ein sehr unheiliger Weltgeist ist, der den materiellen Kirchenleib, das aus Macht, Geld und Rechten bestehende äußere Gerüst der Kirchen baut. Wie könnte auch ein vom Geiste des Evangeliums beseelter Mann hierarchische Ansprüche erheben und ver¬ teidigen und Leute, die gegen diese Ansprüche Gewissensbedenken hegen, mit dem Tode bedrohen, wie es früher geschah, oder, seitdem das nicht mehr möglich ist, aus der Kirche hinauszudrängen versuchen! Aber natürlich können die Hierarchen die wirklich frommen Seelen, als Beweise für die heiligende Kraft und die Notwendigkeit der Kirche, nicht entbehren, und wenn es gelingt, diesen frommen Seelen einzureden, daß die hierarchischen Ansprüche Ausflüsse des göttlichen Willens seien, dann sind sie im passiven Widerstande gegen die Feinde der Kirche und in Opfern für ihren Glauben gewöhnlich sogar stand¬ hafter als die Kampfhähne, die sie in so üble Lage gebracht haben. Das Zeugnis also stelle ich meinem Erzpriester aus, daß er die Klugheit der Kinder dieser Welt, die er in allen Verhältnissen zeigte, auch in diesem Falle bewährt hat. Wie heute die Negierung das äußerste aufbieten muß, um die Sozialdemokratie nicht in die Armee eindringen zu lassen, so mußte in jenen für die katholische Kirche Deutschlands kritischen Tagen die Hierarchie jeden unsicher» Kantonisten auszumerzen streben, um jeder Lockerung der Dis¬ ziplin in ihren Bataillonen vorzubeugen. Im Umgange mit mir war später der Erzpriester, so oft ich mit ihm zusammenkam, der liebenswürdige und heitere Weltmann und hat niemals auf die brennenden Fragen und auf unsre Korre¬ spondenz angespielt. Einmal hat er Kirchenvisitation und bei dieser Gelegen¬ heit auch eine Katechese bei mir abgehalten. Die fiel nun glänzend aus, nicht als pädagogische Leistung, denn er sprach beständig allein, und die Kinder hatten nur manchmal ja oder nein zu sagen, sondern als geschickte Kultur¬ kampfleistung. Er schilderte die Erhabenheit, Vernünftigkeit, Einfachheit und Verständlichkeit des mosaischen Gesetzes, des Deknlogs, und stellte ihr die Gesetz- macherei des modernen Staats gegenüber, die er gründlich lächerlich machte. Das habe ich ja auch schon öfter gethan und thue es auch heute noch manchmal. Aber in der Kirche! Und in einer Katechese mit Volksschülern! Und mit dem handgreiflichen Hinweis auf die eben erlassenen Maigesetze! Ihre Wirkung hat diese Katechese zweifellos gethan, denn so dumm waren die Kinder nicht, daß sie nicht alles gut verstanden und zu Hause getreulich berichtet hätten. Aber kehren wir aus dem Jahre 1873 noch einmal in das Jahr 1871 zurück. Am 12. Juni fuhren wir von Grüssau ab. Von Schönau holte uns der einzige katholische Bauer Harpersdorfs in seinem bekränzten Wagen ab. Es war ein schauderhaftes Wetter: Kälte, Sturm und Regen, dazu der Weg sehr schlecht, sodaß meiner schwächlichen und kränklichen Mutter unterwegs übel wurde. Das Glöcklein, dessen Gebimmel uns bei der Ankunft begrüßte, klang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/388>, abgerufen am 04.07.2024.