Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

verwahre sie für etwaigen spätern Gebrauch, falls ein solcher zu meinem
Schmerz einmal notwendig werden sollte." Hierauf erklärte er sich zur Über¬
gabe bereit, bemerkte aber, daß ihn mein Schreiben natürlich nicht befrie¬
digen könne, und fügte folgende pathetische Mahnung bei: "Lieber Herr
Amtsbruder! In diesem Punkte giebts heutzutage kein Verhehlen und Ver¬
hüllen. HuicI tmäistis in g-uribus, pi'Ä6äiog.es 8uxxer (sie!) tsota. Mehr wie
je muß heute der katholische Priester seinen Glauben offen bekennen vor aller
Welt, und träfe ihn auch das traurige Schicksal des Erzbischofs Darbois.
Auch wissen Sie nicht, wie bald diese Forderung in Harpersdors von feiten
der Gemeinde an Sie herantreten wird, und dann soll und muß ja der Erz¬
Priester Ihnen Stütze und Verteidiger sein. Verzeihen Sie darum, daß ich
Ihnen darüber meine Betrübnis nicht verbergen kann. Zwar hat die Hoch-
würdigste Behörde die Verantwortung selbst übernommen, und werden Sie
auf Grund derselben auch unbedenklich installirt werden, aber es ist doch
auch nicht zu leugnen, daß das Vertrauen der Gemeinde und der Konzirku¬
laren, in deren Mitte Sie eintreten, für Sie nicht minder ein wichtiges
Lebensmoment ist. Hätten Sie auf meine aufrichtige Anfrage mit einem ent-
schiednen: Ja! antworten können -- ich versichere Sie, Sie Hütten an mir
nach Umständen einen kräftigen Beistand und mutigen Verteidiger gefunden.
In allem übrigen erneuere ich Ihnen die große Hochachtung usw."

Schöne Aussicht! Die Herren Konzirkularen werden also die aus einem
Bauer, einem Halbbauer, einem Dutzend Ackerhäuslern und drei Dutzend Tage¬
löhnern bestehende Gemeinde, die doch wohl von selbst niemals darauf verfallen
würde, mich über verzwickte dogmatische Fragen zu examiniren, zum Aufhorchen
und Denunziren aufhetzen und abrichten, und der Herr ErzPriester wird dann
nicht in der Lage sein, mich zu schützen! So mußte ich mir sagen.

Zu der kleinen Harpersdorfer Gemeinde gehörte ein nicht unbemitteltes und
nicht ganz ungebildetes Ehepaar, das aus dem Städtchen des ErzPriesters stammte,
in lebhaftem Verkehr mit den dortigen Verwandten stand und auf dem Pfarrhofe
gut bekannt war. Als ich einmal mit diesen Leuten plauderte, wurde von jemand
die Frage aufgeworfen, ob wohl der ErzPriester von seinem bedeutenden Ein¬
kommene ein Vermögen angesammelt habe. Da sagte die Frau: "Nein, das hat
er nicht; die Frauenzimmer kosten ihn zu viel." Diese Frau war nicht etwa eine
Klatschbase, sondern eine tüchtige Familienmutter, die zum Klatschen weder Zeit
uoch Talent hatte, überdies strenggläubig. Sie gab die Auskunft so einfach
und trocken, wie die Landleute auch in solchen Fällen zu sprechen Pflegen, wo
Stadtleute entweder Verlegenheitsumschweife oder einfältige Witze machen oder
sich in pikanten Anspielungen ergehen. Kurze Zeit darauf kam es auf dem
Pfarrhofe zu einem großen Krach. Der ErzPriester -- übrigens damals schon
fast siebzig Jahre alt und im höchsten Grade gichtbrüchig -- hatte sich wieder
einmal mit einem "Frauenzimmer" eingelassen, diesmal mit einem sehr jungen


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

verwahre sie für etwaigen spätern Gebrauch, falls ein solcher zu meinem
Schmerz einmal notwendig werden sollte." Hierauf erklärte er sich zur Über¬
gabe bereit, bemerkte aber, daß ihn mein Schreiben natürlich nicht befrie¬
digen könne, und fügte folgende pathetische Mahnung bei: „Lieber Herr
Amtsbruder! In diesem Punkte giebts heutzutage kein Verhehlen und Ver¬
hüllen. HuicI tmäistis in g-uribus, pi'Ä6äiog.es 8uxxer (sie!) tsota. Mehr wie
je muß heute der katholische Priester seinen Glauben offen bekennen vor aller
Welt, und träfe ihn auch das traurige Schicksal des Erzbischofs Darbois.
Auch wissen Sie nicht, wie bald diese Forderung in Harpersdors von feiten
der Gemeinde an Sie herantreten wird, und dann soll und muß ja der Erz¬
Priester Ihnen Stütze und Verteidiger sein. Verzeihen Sie darum, daß ich
Ihnen darüber meine Betrübnis nicht verbergen kann. Zwar hat die Hoch-
würdigste Behörde die Verantwortung selbst übernommen, und werden Sie
auf Grund derselben auch unbedenklich installirt werden, aber es ist doch
auch nicht zu leugnen, daß das Vertrauen der Gemeinde und der Konzirku¬
laren, in deren Mitte Sie eintreten, für Sie nicht minder ein wichtiges
Lebensmoment ist. Hätten Sie auf meine aufrichtige Anfrage mit einem ent-
schiednen: Ja! antworten können — ich versichere Sie, Sie Hütten an mir
nach Umständen einen kräftigen Beistand und mutigen Verteidiger gefunden.
In allem übrigen erneuere ich Ihnen die große Hochachtung usw."

Schöne Aussicht! Die Herren Konzirkularen werden also die aus einem
Bauer, einem Halbbauer, einem Dutzend Ackerhäuslern und drei Dutzend Tage¬
löhnern bestehende Gemeinde, die doch wohl von selbst niemals darauf verfallen
würde, mich über verzwickte dogmatische Fragen zu examiniren, zum Aufhorchen
und Denunziren aufhetzen und abrichten, und der Herr ErzPriester wird dann
nicht in der Lage sein, mich zu schützen! So mußte ich mir sagen.

Zu der kleinen Harpersdorfer Gemeinde gehörte ein nicht unbemitteltes und
nicht ganz ungebildetes Ehepaar, das aus dem Städtchen des ErzPriesters stammte,
in lebhaftem Verkehr mit den dortigen Verwandten stand und auf dem Pfarrhofe
gut bekannt war. Als ich einmal mit diesen Leuten plauderte, wurde von jemand
die Frage aufgeworfen, ob wohl der ErzPriester von seinem bedeutenden Ein¬
kommene ein Vermögen angesammelt habe. Da sagte die Frau: „Nein, das hat
er nicht; die Frauenzimmer kosten ihn zu viel." Diese Frau war nicht etwa eine
Klatschbase, sondern eine tüchtige Familienmutter, die zum Klatschen weder Zeit
uoch Talent hatte, überdies strenggläubig. Sie gab die Auskunft so einfach
und trocken, wie die Landleute auch in solchen Fällen zu sprechen Pflegen, wo
Stadtleute entweder Verlegenheitsumschweife oder einfältige Witze machen oder
sich in pikanten Anspielungen ergehen. Kurze Zeit darauf kam es auf dem
Pfarrhofe zu einem großen Krach. Der ErzPriester — übrigens damals schon
fast siebzig Jahre alt und im höchsten Grade gichtbrüchig — hatte sich wieder
einmal mit einem „Frauenzimmer" eingelassen, diesmal mit einem sehr jungen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221360"/>
          <fw type="header" place="top"> Wandlungen des Ich im Zeitenstrome</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1316" prev="#ID_1315"> verwahre sie für etwaigen spätern Gebrauch, falls ein solcher zu meinem<lb/>
Schmerz einmal notwendig werden sollte." Hierauf erklärte er sich zur Über¬<lb/>
gabe bereit, bemerkte aber, daß ihn mein Schreiben natürlich nicht befrie¬<lb/>
digen könne, und fügte folgende pathetische Mahnung bei: &#x201E;Lieber Herr<lb/>
Amtsbruder! In diesem Punkte giebts heutzutage kein Verhehlen und Ver¬<lb/>
hüllen. HuicI tmäistis in g-uribus, pi'Ä6äiog.es 8uxxer (sie!) tsota. Mehr wie<lb/>
je muß heute der katholische Priester seinen Glauben offen bekennen vor aller<lb/>
Welt, und träfe ihn auch das traurige Schicksal des Erzbischofs Darbois.<lb/>
Auch wissen Sie nicht, wie bald diese Forderung in Harpersdors von feiten<lb/>
der Gemeinde an Sie herantreten wird, und dann soll und muß ja der Erz¬<lb/>
Priester Ihnen Stütze und Verteidiger sein. Verzeihen Sie darum, daß ich<lb/>
Ihnen darüber meine Betrübnis nicht verbergen kann. Zwar hat die Hoch-<lb/>
würdigste Behörde die Verantwortung selbst übernommen, und werden Sie<lb/>
auf Grund derselben auch unbedenklich installirt werden, aber es ist doch<lb/>
auch nicht zu leugnen, daß das Vertrauen der Gemeinde und der Konzirku¬<lb/>
laren, in deren Mitte Sie eintreten, für Sie nicht minder ein wichtiges<lb/>
Lebensmoment ist. Hätten Sie auf meine aufrichtige Anfrage mit einem ent-<lb/>
schiednen: Ja! antworten können &#x2014; ich versichere Sie, Sie Hütten an mir<lb/>
nach Umständen einen kräftigen Beistand und mutigen Verteidiger gefunden.<lb/>
In allem übrigen erneuere ich Ihnen die große Hochachtung usw."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1317"> Schöne Aussicht! Die Herren Konzirkularen werden also die aus einem<lb/>
Bauer, einem Halbbauer, einem Dutzend Ackerhäuslern und drei Dutzend Tage¬<lb/>
löhnern bestehende Gemeinde, die doch wohl von selbst niemals darauf verfallen<lb/>
würde, mich über verzwickte dogmatische Fragen zu examiniren, zum Aufhorchen<lb/>
und Denunziren aufhetzen und abrichten, und der Herr ErzPriester wird dann<lb/>
nicht in der Lage sein, mich zu schützen! So mußte ich mir sagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1318" next="#ID_1319"> Zu der kleinen Harpersdorfer Gemeinde gehörte ein nicht unbemitteltes und<lb/>
nicht ganz ungebildetes Ehepaar, das aus dem Städtchen des ErzPriesters stammte,<lb/>
in lebhaftem Verkehr mit den dortigen Verwandten stand und auf dem Pfarrhofe<lb/>
gut bekannt war. Als ich einmal mit diesen Leuten plauderte, wurde von jemand<lb/>
die Frage aufgeworfen, ob wohl der ErzPriester von seinem bedeutenden Ein¬<lb/>
kommene ein Vermögen angesammelt habe. Da sagte die Frau: &#x201E;Nein, das hat<lb/>
er nicht; die Frauenzimmer kosten ihn zu viel." Diese Frau war nicht etwa eine<lb/>
Klatschbase, sondern eine tüchtige Familienmutter, die zum Klatschen weder Zeit<lb/>
uoch Talent hatte, überdies strenggläubig. Sie gab die Auskunft so einfach<lb/>
und trocken, wie die Landleute auch in solchen Fällen zu sprechen Pflegen, wo<lb/>
Stadtleute entweder Verlegenheitsumschweife oder einfältige Witze machen oder<lb/>
sich in pikanten Anspielungen ergehen. Kurze Zeit darauf kam es auf dem<lb/>
Pfarrhofe zu einem großen Krach. Der ErzPriester &#x2014; übrigens damals schon<lb/>
fast siebzig Jahre alt und im höchsten Grade gichtbrüchig &#x2014; hatte sich wieder<lb/>
einmal mit einem &#x201E;Frauenzimmer" eingelassen, diesmal mit einem sehr jungen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0386] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome verwahre sie für etwaigen spätern Gebrauch, falls ein solcher zu meinem Schmerz einmal notwendig werden sollte." Hierauf erklärte er sich zur Über¬ gabe bereit, bemerkte aber, daß ihn mein Schreiben natürlich nicht befrie¬ digen könne, und fügte folgende pathetische Mahnung bei: „Lieber Herr Amtsbruder! In diesem Punkte giebts heutzutage kein Verhehlen und Ver¬ hüllen. HuicI tmäistis in g-uribus, pi'Ä6äiog.es 8uxxer (sie!) tsota. Mehr wie je muß heute der katholische Priester seinen Glauben offen bekennen vor aller Welt, und träfe ihn auch das traurige Schicksal des Erzbischofs Darbois. Auch wissen Sie nicht, wie bald diese Forderung in Harpersdors von feiten der Gemeinde an Sie herantreten wird, und dann soll und muß ja der Erz¬ Priester Ihnen Stütze und Verteidiger sein. Verzeihen Sie darum, daß ich Ihnen darüber meine Betrübnis nicht verbergen kann. Zwar hat die Hoch- würdigste Behörde die Verantwortung selbst übernommen, und werden Sie auf Grund derselben auch unbedenklich installirt werden, aber es ist doch auch nicht zu leugnen, daß das Vertrauen der Gemeinde und der Konzirku¬ laren, in deren Mitte Sie eintreten, für Sie nicht minder ein wichtiges Lebensmoment ist. Hätten Sie auf meine aufrichtige Anfrage mit einem ent- schiednen: Ja! antworten können — ich versichere Sie, Sie Hütten an mir nach Umständen einen kräftigen Beistand und mutigen Verteidiger gefunden. In allem übrigen erneuere ich Ihnen die große Hochachtung usw." Schöne Aussicht! Die Herren Konzirkularen werden also die aus einem Bauer, einem Halbbauer, einem Dutzend Ackerhäuslern und drei Dutzend Tage¬ löhnern bestehende Gemeinde, die doch wohl von selbst niemals darauf verfallen würde, mich über verzwickte dogmatische Fragen zu examiniren, zum Aufhorchen und Denunziren aufhetzen und abrichten, und der Herr ErzPriester wird dann nicht in der Lage sein, mich zu schützen! So mußte ich mir sagen. Zu der kleinen Harpersdorfer Gemeinde gehörte ein nicht unbemitteltes und nicht ganz ungebildetes Ehepaar, das aus dem Städtchen des ErzPriesters stammte, in lebhaftem Verkehr mit den dortigen Verwandten stand und auf dem Pfarrhofe gut bekannt war. Als ich einmal mit diesen Leuten plauderte, wurde von jemand die Frage aufgeworfen, ob wohl der ErzPriester von seinem bedeutenden Ein¬ kommene ein Vermögen angesammelt habe. Da sagte die Frau: „Nein, das hat er nicht; die Frauenzimmer kosten ihn zu viel." Diese Frau war nicht etwa eine Klatschbase, sondern eine tüchtige Familienmutter, die zum Klatschen weder Zeit uoch Talent hatte, überdies strenggläubig. Sie gab die Auskunft so einfach und trocken, wie die Landleute auch in solchen Fällen zu sprechen Pflegen, wo Stadtleute entweder Verlegenheitsumschweife oder einfältige Witze machen oder sich in pikanten Anspielungen ergehen. Kurze Zeit darauf kam es auf dem Pfarrhofe zu einem großen Krach. Der ErzPriester — übrigens damals schon fast siebzig Jahre alt und im höchsten Grade gichtbrüchig — hatte sich wieder einmal mit einem „Frauenzimmer" eingelassen, diesmal mit einem sehr jungen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/386
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/386>, abgerufen am 04.07.2024.