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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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ivandlnngen des Ich im Zoitenstroine

kann ich ihm nicht geben; nicht etwa der -- dummen Geschichte wegen, sondern
weil er schwerhörig ist und Grüssen einen starken Beichtkonkurs hat; aber ich
werde ihn anderweitig versorgen." Dies geschah in der Weise, daß er den
Harpersdorfer Kuratus nach Grüssau versetzte in der Erwartung, die Negie¬
rung würde mir, wenn ich darum einkäme, die Knratie verleihen, was denn
auch geschah. Aber ehe ich in den Hafen einlief, hatte ich vorher noch einmal
den Kelch der Selbstverachtung bis zur Neige zu leeren. Döllingers Wort,
daß Tausende im deutschen Klerus so dächten wie er, hatte den Hünptern der
ultramontanen Richtung den Gedanken nahe gelegt, diese Behauptung auf dem
heute so beliebten Wege zu widerlegen und eine Gegenerklärung zu veröffent¬
liche", die natürlich jeder unterschreiben mußte, wenn er nicht in den Verdacht
der Ketzerei geraten wollte. Ich unterschrieb nicht, sah aber nun schon kommen,
was kam. Das Generalvikariatamt schrieb mir am 4. Mai: "Bevor wir auf
Euer Ehrwürden Antrag vom 23- v. M. Ihnen das Administrationsdekret für
die Kuratie Harpersdorf übersenden können, sind wir mit Rücksicht auf die
Vorfälle des verflossenen Frühjahrs, sowie auf den Umstand, daß Ihre Namens¬
unterschrift der Ndhäsivnserklärung des Landeshuter Archipresbhterats an die
Konstitutionen des Vatikanischen Konzils fehlt, veranlaßt, Sie, wie hierdurch
geschieht, aufzufordern, daß Sie sich binnen acht Tagen offen und rückhaltlos
erklären, ob Sie sich den dogmatischen Entscheidungen des gedachten ökume¬
nischen Konzils, namentlich bezüglich der päpstlichen Unfehlbarkeit xuro und
ohne irgend welchen Vorbehalt unterwerfen." Darauf habe ich eine das Amt
befriedigende Erklärung abgegeben, deren Wortlaut sich unter meinen Papieren
nicht findet; wahrscheinlich habe ich mich geschämt, das Schriftstück aufzuheben.
Ob ich, wenn meine Mutter nicht mehr gelebt hätte, feig genug gewesen wäre,
aus Furcht vor dem Sprung ins dunkle, zu dem mich die Weigerung ge¬
zwungen hätte, mich noch einmal "löblich" zu unterwerfen, kann ich nicht
wissen. Die Frage trat gar nicht an mich heran, da ja meine Mutter noch
lebte und dadurch meine Entscheidung gegeben war, denn meine Brüder waren
nicht in der Lage, sie zu versorgen. Es giebt eben schreckliche Pflichteulolli-
sionen in der Welt, und soweit nicht blinder Kvnfessivnshaß die Polemik gegen
die Jesuiten beherrscht, beweist es entweder Mangel an Lebenserfahrung oder
Stumpfheit der Empfindung, wenn man ihnen einen Vorwurf daraus macht,
daß sie die Fälle untersucht haben, wo man diese oder jene Sünde begehen
dürfe. Sie haben es gewiß nicht zum bloßen Zeitvertreib oder in frivoler
oder in sonst verwerflicher Absicht gethan. Daß diese Untersuchungen nichts
nützen, weil doch jeder seine eignen Fülle erlebt, die in keinem Mvralhand-
buche stehen, und daß sie sogar schaden, indem sie dazu verleiten, dem eignen
Gewissen gegenüber den Advokaten zu spielen, ist eine Sache sür sich.

Nun aber kam nach dem Geistlichen Amte auch noch mein zukünftiger
Erzpriester, und da wurde ich denn fuchsteufelswild. Dieser ErzPriester, den


ivandlnngen des Ich im Zoitenstroine

kann ich ihm nicht geben; nicht etwa der — dummen Geschichte wegen, sondern
weil er schwerhörig ist und Grüssen einen starken Beichtkonkurs hat; aber ich
werde ihn anderweitig versorgen." Dies geschah in der Weise, daß er den
Harpersdorfer Kuratus nach Grüssau versetzte in der Erwartung, die Negie¬
rung würde mir, wenn ich darum einkäme, die Knratie verleihen, was denn
auch geschah. Aber ehe ich in den Hafen einlief, hatte ich vorher noch einmal
den Kelch der Selbstverachtung bis zur Neige zu leeren. Döllingers Wort,
daß Tausende im deutschen Klerus so dächten wie er, hatte den Hünptern der
ultramontanen Richtung den Gedanken nahe gelegt, diese Behauptung auf dem
heute so beliebten Wege zu widerlegen und eine Gegenerklärung zu veröffent¬
liche», die natürlich jeder unterschreiben mußte, wenn er nicht in den Verdacht
der Ketzerei geraten wollte. Ich unterschrieb nicht, sah aber nun schon kommen,
was kam. Das Generalvikariatamt schrieb mir am 4. Mai: „Bevor wir auf
Euer Ehrwürden Antrag vom 23- v. M. Ihnen das Administrationsdekret für
die Kuratie Harpersdorf übersenden können, sind wir mit Rücksicht auf die
Vorfälle des verflossenen Frühjahrs, sowie auf den Umstand, daß Ihre Namens¬
unterschrift der Ndhäsivnserklärung des Landeshuter Archipresbhterats an die
Konstitutionen des Vatikanischen Konzils fehlt, veranlaßt, Sie, wie hierdurch
geschieht, aufzufordern, daß Sie sich binnen acht Tagen offen und rückhaltlos
erklären, ob Sie sich den dogmatischen Entscheidungen des gedachten ökume¬
nischen Konzils, namentlich bezüglich der päpstlichen Unfehlbarkeit xuro und
ohne irgend welchen Vorbehalt unterwerfen." Darauf habe ich eine das Amt
befriedigende Erklärung abgegeben, deren Wortlaut sich unter meinen Papieren
nicht findet; wahrscheinlich habe ich mich geschämt, das Schriftstück aufzuheben.
Ob ich, wenn meine Mutter nicht mehr gelebt hätte, feig genug gewesen wäre,
aus Furcht vor dem Sprung ins dunkle, zu dem mich die Weigerung ge¬
zwungen hätte, mich noch einmal „löblich" zu unterwerfen, kann ich nicht
wissen. Die Frage trat gar nicht an mich heran, da ja meine Mutter noch
lebte und dadurch meine Entscheidung gegeben war, denn meine Brüder waren
nicht in der Lage, sie zu versorgen. Es giebt eben schreckliche Pflichteulolli-
sionen in der Welt, und soweit nicht blinder Kvnfessivnshaß die Polemik gegen
die Jesuiten beherrscht, beweist es entweder Mangel an Lebenserfahrung oder
Stumpfheit der Empfindung, wenn man ihnen einen Vorwurf daraus macht,
daß sie die Fälle untersucht haben, wo man diese oder jene Sünde begehen
dürfe. Sie haben es gewiß nicht zum bloßen Zeitvertreib oder in frivoler
oder in sonst verwerflicher Absicht gethan. Daß diese Untersuchungen nichts
nützen, weil doch jeder seine eignen Fülle erlebt, die in keinem Mvralhand-
buche stehen, und daß sie sogar schaden, indem sie dazu verleiten, dem eignen
Gewissen gegenüber den Advokaten zu spielen, ist eine Sache sür sich.

Nun aber kam nach dem Geistlichen Amte auch noch mein zukünftiger
Erzpriester, und da wurde ich denn fuchsteufelswild. Dieser ErzPriester, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/384>, abgerufen am 24.07.2024.