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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Robert Schumann und Robena Laidlaw

Laidlaws of Gleuruth in Peebleshire, mit Scott befreundet waren und ihn häufig
bei sich sahen. Von Sterndale Bennett sprach er mit der größten Hochach¬
tung und sagte, wie sehr sein Freund bedauert habe, nicht in Leipzig bleiben
zu können, als ich erwartet wurde,'") und daß er ihn gebeten habe, alles für
mich zu thun, was in seiner Macht stünde. Ich erkannte daraus, daß Bennett
ebenso eine hochherzige Natur war wie er selbst, daß er nichts von Neid oder
Eifersucht aus andre Künstler wußte, sondern jeden in seiner Eigenart schätzte.
Einmal -- als wir von der Rafaelschen Madonna im Dresdner Museum er¬
zählt hatten -- hörte ich Schumann mit seinen Freunden das Kapitel der
Madonnenbilder durchsprechen; ich erinnere mich, daß er dabei äußerte, nach
seiner Auffassung müsse die Madonna halb Mädchen halb Frau sein. Am
meisten sprachen wir über meine Reisen und über die verschiednen Kompo¬
sitionen, die ich liebte. In unserm Urteil über Sänger stimmten wir meistens
überein. Niemals habe ich ihn neidisch oder boshaft über irgend einen Künstler
sprechen hören. Auch habe ich nie bemerkt, daß er schweigsam oder übellaunig
gewesen wäre. Er schien gern mit meiner Mutter und mir zusammen zu sein,
und unsre Gespräche waren immer lebhaft und amüsant.""") Von Schumanns
Charakter und Auftreten (limnnsr,?) empfingen wir den Eindruck, daß jeder
Zoll an ihm ein Gentleman sei, ohne alle kleinliche Eitelkeit und Einbildung-
Hiervon hatten wir einen bemerkenswerten Beweis. Eines Abends, als uns
Schumann ins Theater begleitete zu Templer und Jüdin ^mit Hammermeister j,
hatte er beim Eintritt in die Loge eine schöne tiefrote Nelke in der Hand, die
er nur nach längerm Zögern und mit einiger Befangenheit reichte. Wäre er
ein Geck gewesen, so würde er sie mir mit ausgesuchten Redensarten und Kom¬
plimenten gegeben haben; statt dessen sagte er nur: "Bitte, nehmen Sie diese
Blume." Er war der Inbegriff einfacher deutscher Gutherzigkeit und Ehrlich¬
keit, und ich habe nie einen Künstler gesehen lDaganini ausgenommen), der
ihn in wahrhafter Bescheidenheit, als Komponist wie als Mensch, übertroffen
hätte. Manchmal erinnerte er mich an meinen verehrten Lehrer L. Berger,
der ihm in seinen Manieren sehr ähnlich war -- einfach, wahr, ohne Prä¬
tensionen."

Belustigt hatte es Miß Laidlaw, daß Schumann gleich in den ersten
Tagen bat, sie statt Robena Anna lieber Anna Robena nennen zu dürfe",




Bennett war am 12. Juni von Leipzig abgereist, etwa acht Tage vor Miß Laidlaws
Ankunft.
**) Damit wird aufs neue bestätigt, daß Schumanns Schweigsamkeit, die sich später in
!° hohem Grade steigerte, in seinen jüngern Jahren nicht so auffällig hervorgetreten ist. Ich
bemerke das, weil Wasielewski die Richtigkeit meiner Angabe, daß Schumann "zu Zeiten sehr
beredt" habe sein können, angezweifelt hat. Übrigens weiß ich auch aus Wenzels Munde,
baß Schumann mitunter recht gesprächig sein konnte. "Heute haben wir doch einmal über
alles gesprochen," sagte er wohl, wenn sie eine besonders lebhafte Unterhaltung geführt hatten.
Robert Schumann und Robena Laidlaw

Laidlaws of Gleuruth in Peebleshire, mit Scott befreundet waren und ihn häufig
bei sich sahen. Von Sterndale Bennett sprach er mit der größten Hochach¬
tung und sagte, wie sehr sein Freund bedauert habe, nicht in Leipzig bleiben
zu können, als ich erwartet wurde,'") und daß er ihn gebeten habe, alles für
mich zu thun, was in seiner Macht stünde. Ich erkannte daraus, daß Bennett
ebenso eine hochherzige Natur war wie er selbst, daß er nichts von Neid oder
Eifersucht aus andre Künstler wußte, sondern jeden in seiner Eigenart schätzte.
Einmal — als wir von der Rafaelschen Madonna im Dresdner Museum er¬
zählt hatten — hörte ich Schumann mit seinen Freunden das Kapitel der
Madonnenbilder durchsprechen; ich erinnere mich, daß er dabei äußerte, nach
seiner Auffassung müsse die Madonna halb Mädchen halb Frau sein. Am
meisten sprachen wir über meine Reisen und über die verschiednen Kompo¬
sitionen, die ich liebte. In unserm Urteil über Sänger stimmten wir meistens
überein. Niemals habe ich ihn neidisch oder boshaft über irgend einen Künstler
sprechen hören. Auch habe ich nie bemerkt, daß er schweigsam oder übellaunig
gewesen wäre. Er schien gern mit meiner Mutter und mir zusammen zu sein,
und unsre Gespräche waren immer lebhaft und amüsant.""") Von Schumanns
Charakter und Auftreten (limnnsr,?) empfingen wir den Eindruck, daß jeder
Zoll an ihm ein Gentleman sei, ohne alle kleinliche Eitelkeit und Einbildung-
Hiervon hatten wir einen bemerkenswerten Beweis. Eines Abends, als uns
Schumann ins Theater begleitete zu Templer und Jüdin ^mit Hammermeister j,
hatte er beim Eintritt in die Loge eine schöne tiefrote Nelke in der Hand, die
er nur nach längerm Zögern und mit einiger Befangenheit reichte. Wäre er
ein Geck gewesen, so würde er sie mir mit ausgesuchten Redensarten und Kom¬
plimenten gegeben haben; statt dessen sagte er nur: »Bitte, nehmen Sie diese
Blume.« Er war der Inbegriff einfacher deutscher Gutherzigkeit und Ehrlich¬
keit, und ich habe nie einen Künstler gesehen lDaganini ausgenommen), der
ihn in wahrhafter Bescheidenheit, als Komponist wie als Mensch, übertroffen
hätte. Manchmal erinnerte er mich an meinen verehrten Lehrer L. Berger,
der ihm in seinen Manieren sehr ähnlich war — einfach, wahr, ohne Prä¬
tensionen."

Belustigt hatte es Miß Laidlaw, daß Schumann gleich in den ersten
Tagen bat, sie statt Robena Anna lieber Anna Robena nennen zu dürfe»,




Bennett war am 12. Juni von Leipzig abgereist, etwa acht Tage vor Miß Laidlaws
Ankunft.
**) Damit wird aufs neue bestätigt, daß Schumanns Schweigsamkeit, die sich später in
!° hohem Grade steigerte, in seinen jüngern Jahren nicht so auffällig hervorgetreten ist. Ich
bemerke das, weil Wasielewski die Richtigkeit meiner Angabe, daß Schumann „zu Zeiten sehr
beredt" habe sein können, angezweifelt hat. Übrigens weiß ich auch aus Wenzels Munde,
baß Schumann mitunter recht gesprächig sein konnte. „Heute haben wir doch einmal über
alles gesprochen," sagte er wohl, wenn sie eine besonders lebhafte Unterhaltung geführt hatten.
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[0327] Robert Schumann und Robena Laidlaw Laidlaws of Gleuruth in Peebleshire, mit Scott befreundet waren und ihn häufig bei sich sahen. Von Sterndale Bennett sprach er mit der größten Hochach¬ tung und sagte, wie sehr sein Freund bedauert habe, nicht in Leipzig bleiben zu können, als ich erwartet wurde,'") und daß er ihn gebeten habe, alles für mich zu thun, was in seiner Macht stünde. Ich erkannte daraus, daß Bennett ebenso eine hochherzige Natur war wie er selbst, daß er nichts von Neid oder Eifersucht aus andre Künstler wußte, sondern jeden in seiner Eigenart schätzte. Einmal — als wir von der Rafaelschen Madonna im Dresdner Museum er¬ zählt hatten — hörte ich Schumann mit seinen Freunden das Kapitel der Madonnenbilder durchsprechen; ich erinnere mich, daß er dabei äußerte, nach seiner Auffassung müsse die Madonna halb Mädchen halb Frau sein. Am meisten sprachen wir über meine Reisen und über die verschiednen Kompo¬ sitionen, die ich liebte. In unserm Urteil über Sänger stimmten wir meistens überein. Niemals habe ich ihn neidisch oder boshaft über irgend einen Künstler sprechen hören. Auch habe ich nie bemerkt, daß er schweigsam oder übellaunig gewesen wäre. Er schien gern mit meiner Mutter und mir zusammen zu sein, und unsre Gespräche waren immer lebhaft und amüsant.""") Von Schumanns Charakter und Auftreten (limnnsr,?) empfingen wir den Eindruck, daß jeder Zoll an ihm ein Gentleman sei, ohne alle kleinliche Eitelkeit und Einbildung- Hiervon hatten wir einen bemerkenswerten Beweis. Eines Abends, als uns Schumann ins Theater begleitete zu Templer und Jüdin ^mit Hammermeister j, hatte er beim Eintritt in die Loge eine schöne tiefrote Nelke in der Hand, die er nur nach längerm Zögern und mit einiger Befangenheit reichte. Wäre er ein Geck gewesen, so würde er sie mir mit ausgesuchten Redensarten und Kom¬ plimenten gegeben haben; statt dessen sagte er nur: »Bitte, nehmen Sie diese Blume.« Er war der Inbegriff einfacher deutscher Gutherzigkeit und Ehrlich¬ keit, und ich habe nie einen Künstler gesehen lDaganini ausgenommen), der ihn in wahrhafter Bescheidenheit, als Komponist wie als Mensch, übertroffen hätte. Manchmal erinnerte er mich an meinen verehrten Lehrer L. Berger, der ihm in seinen Manieren sehr ähnlich war — einfach, wahr, ohne Prä¬ tensionen." Belustigt hatte es Miß Laidlaw, daß Schumann gleich in den ersten Tagen bat, sie statt Robena Anna lieber Anna Robena nennen zu dürfe», Bennett war am 12. Juni von Leipzig abgereist, etwa acht Tage vor Miß Laidlaws Ankunft. **) Damit wird aufs neue bestätigt, daß Schumanns Schweigsamkeit, die sich später in !° hohem Grade steigerte, in seinen jüngern Jahren nicht so auffällig hervorgetreten ist. Ich bemerke das, weil Wasielewski die Richtigkeit meiner Angabe, daß Schumann „zu Zeiten sehr beredt" habe sein können, angezweifelt hat. Übrigens weiß ich auch aus Wenzels Munde, baß Schumann mitunter recht gesprächig sein konnte. „Heute haben wir doch einmal über alles gesprochen," sagte er wohl, wenn sie eine besonders lebhafte Unterhaltung geführt hatten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/327>, abgerufen am 24.07.2024.