Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.Heimat und volkstum in Deutschland giebt, die von kleinen Kreise bis zum größern und größten Heimat und volkstum in Deutschland giebt, die von kleinen Kreise bis zum größern und größten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221263"/> <fw type="header" place="top"> Heimat und volkstum</fw><lb/> <p xml:id="ID_907" prev="#ID_906"> in Deutschland giebt, die von kleinen Kreise bis zum größern und größten<lb/> geht, und ans der man nicht uur über Nürnberg, Augsburg, Leipzig und<lb/> Braunschweig, sondern auch über Lahr in Baden und Heide in Holstein das<lb/> nötige erfahren könnte. Unendlich viel wichtiges kulturgeschichtliches Material<lb/> wäre in einer großen wissenschaftlichen Topographie Deutschlands zusammen-<lb/> fassend unterzubringen, aber dazu fehlt Überblick, Zeit, Kraft, Geld, mag das<lb/> Geld anch für ein aus Reichsmitteln zu beschaffendes lateinisches Lexikon vor¬<lb/> handen sein. Unternimmt man wirklich einmal ein großes einheitliches Sammel¬<lb/> werk, das dem Volkstum und der Heimatkunde dienen könnte, so kommt doch<lb/> gewöhnlich nur etwas für die Bibliotheken heraus, aber nicht für den allge¬<lb/> meinen Gebrauch. Mau verzeichnet und beschreibt gegenwartig die Kunstdeuk-<lb/> müler der preußischen Provinzen, aber so wertvoll die Veröffentlichungen sind,<lb/> der Heimatliebe kommen sie nicht zu gute, uur der Kunstwissenschaft, da nie¬<lb/> mand daran denkt, volkstümliche Auszüge, die jedem Volksschullehrer zugäng¬<lb/> lich sein müßten, herzustellen. Im vorigen Jahrhundert gab man vielfach<lb/> „Predigerhistorien" heraus, Lebcnsnachrichten aller Pfarrer, die je an den<lb/> Kirchen eines Bezirks Gottesdienst gehalten hatten; heute hält man es nicht<lb/> einmal sür der Mühe wert, die Kirchen selbst in einem Buche mit einfachen<lb/> Holzschnitten darzustellen, so großen Wert auch solche Darstellungen jedenfalls<lb/> für die einzelnen Landschaften, ja auch für die Wissenschaft hätten. Denn wenn<lb/> die Kunstgeschichte im Grunde nur für die künstlerisch hervorragenden Bauten<lb/> Interesse hat, die Kulturgeschichte gehen auch die übrigen an, und es wäre<lb/> jedenfalls sehr lehrreich, die deutschen Kirchen — alle, auch die einfachsten<lb/> Dorfkirchen — einmal nach lokalen Gruppen geordnet zu haben und daraus<lb/> zu ersehen, wie weit und in welchen Richtungen das Muster der großen Me-<lb/> tropolitaukirchen wirkte und damit ihr geistiger Einfluß und andres mehr.<lb/> Aber die feinern geistigen Beziehungen zwischen Stadt und Land, zwischen<lb/> Universität und Schule, Kloster und Pfarrhaus, Gelehrtcnzimmer und Privat¬<lb/> haus u. s. w., überhaupt die Einwirkung des universalen, nationalen und Zeit¬<lb/> geistes auf das Lokale und umgekehrt, der Stammesbesonderheit auf das All¬<lb/> gemeine, kurz, das intimere Kulturgeschichtliche harrt noch vielfach der zu-<lb/> sammenfassenden, Resultate ziehenden Bearbeiter, so feine Beobachter man auch<lb/> bisweilen findet. Wem die „großen Züge" unsrer Kulturgeschichten nicht ge¬<lb/> nügen, wer sein Volk, seinen Stamm genauer, bis ins einzelne getreu erkennen<lb/> will, der muß sich meist das Bild selbst aus zerstreuter Lektüre zusammen¬<lb/> setzen. Wer schützte nicht Freytags „Bilder aus der deutschen Vergangenheit"?<lb/> Aber was bieten sie mir als Schleswig-Holsteiner, was dem Schwaben, was<lb/> dem Ostpreußen? Sie sind eben auf das Normaldeutsche gestimmt. Was der<lb/> Deutsche auf diesem Gebiete leisten kann, das beweist u. a. Jakob Vurkhardts<lb/> „Kultur der italienische« Renaissance" — wo sind die Seitenstücke dazu aus<lb/> der deutscheu Geschichte?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0287]
Heimat und volkstum
in Deutschland giebt, die von kleinen Kreise bis zum größern und größten
geht, und ans der man nicht uur über Nürnberg, Augsburg, Leipzig und
Braunschweig, sondern auch über Lahr in Baden und Heide in Holstein das
nötige erfahren könnte. Unendlich viel wichtiges kulturgeschichtliches Material
wäre in einer großen wissenschaftlichen Topographie Deutschlands zusammen-
fassend unterzubringen, aber dazu fehlt Überblick, Zeit, Kraft, Geld, mag das
Geld anch für ein aus Reichsmitteln zu beschaffendes lateinisches Lexikon vor¬
handen sein. Unternimmt man wirklich einmal ein großes einheitliches Sammel¬
werk, das dem Volkstum und der Heimatkunde dienen könnte, so kommt doch
gewöhnlich nur etwas für die Bibliotheken heraus, aber nicht für den allge¬
meinen Gebrauch. Mau verzeichnet und beschreibt gegenwartig die Kunstdeuk-
müler der preußischen Provinzen, aber so wertvoll die Veröffentlichungen sind,
der Heimatliebe kommen sie nicht zu gute, uur der Kunstwissenschaft, da nie¬
mand daran denkt, volkstümliche Auszüge, die jedem Volksschullehrer zugäng¬
lich sein müßten, herzustellen. Im vorigen Jahrhundert gab man vielfach
„Predigerhistorien" heraus, Lebcnsnachrichten aller Pfarrer, die je an den
Kirchen eines Bezirks Gottesdienst gehalten hatten; heute hält man es nicht
einmal sür der Mühe wert, die Kirchen selbst in einem Buche mit einfachen
Holzschnitten darzustellen, so großen Wert auch solche Darstellungen jedenfalls
für die einzelnen Landschaften, ja auch für die Wissenschaft hätten. Denn wenn
die Kunstgeschichte im Grunde nur für die künstlerisch hervorragenden Bauten
Interesse hat, die Kulturgeschichte gehen auch die übrigen an, und es wäre
jedenfalls sehr lehrreich, die deutschen Kirchen — alle, auch die einfachsten
Dorfkirchen — einmal nach lokalen Gruppen geordnet zu haben und daraus
zu ersehen, wie weit und in welchen Richtungen das Muster der großen Me-
tropolitaukirchen wirkte und damit ihr geistiger Einfluß und andres mehr.
Aber die feinern geistigen Beziehungen zwischen Stadt und Land, zwischen
Universität und Schule, Kloster und Pfarrhaus, Gelehrtcnzimmer und Privat¬
haus u. s. w., überhaupt die Einwirkung des universalen, nationalen und Zeit¬
geistes auf das Lokale und umgekehrt, der Stammesbesonderheit auf das All¬
gemeine, kurz, das intimere Kulturgeschichtliche harrt noch vielfach der zu-
sammenfassenden, Resultate ziehenden Bearbeiter, so feine Beobachter man auch
bisweilen findet. Wem die „großen Züge" unsrer Kulturgeschichten nicht ge¬
nügen, wer sein Volk, seinen Stamm genauer, bis ins einzelne getreu erkennen
will, der muß sich meist das Bild selbst aus zerstreuter Lektüre zusammen¬
setzen. Wer schützte nicht Freytags „Bilder aus der deutschen Vergangenheit"?
Aber was bieten sie mir als Schleswig-Holsteiner, was dem Schwaben, was
dem Ostpreußen? Sie sind eben auf das Normaldeutsche gestimmt. Was der
Deutsche auf diesem Gebiete leisten kann, das beweist u. a. Jakob Vurkhardts
„Kultur der italienische« Renaissance" — wo sind die Seitenstücke dazu aus
der deutscheu Geschichte?
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