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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Henne und Volkston,

eines Denkmals, das in der Regel doch nur eine hundertmal dargestellte
Stellung wiederholt, ein Gemälde zu stiften, wofür sich wohl auch ein Platz
fände, wenn man die großstädtischen Museen dazu brächte, von ihren auf¬
gehäuften Schätzen einiges an die kleinern Städte abzugeben, wenn mau --
doch ich will mir die übrigen Wenn schenken; zu einem lebendigen Kunstleben,
und gar zu einem volkstümlichen, gehört allzuviel. Die Zahl der Pracht¬
bauten in Deutschland nimmt freilich stetig zu, der alte Kastenstil ist selbst
im Privatbau völlig überwunden; aber es giebt Leute, die behaupten, daß die
moderne Stilverwirrnng nicht gerade ein Fortschritt sei, daß man auch den
Einfluß der Architektur auf das Volk überschätze. Soviel ist richtig, daß ihm
unsre neuen Monumentalbauten nicht so sehr imponiren, wie mau denkt, und
zwar einfach deshalb nicht, weil es den innern Zusammenhang zwischen dem
Stil und dem Zweck der Gebäude nicht herausfindet. Er soll auch öfter
nicht vorhanden sein.

Mich wundert übrigeus, daß in unserm Zeitalter der utopistischen Zu¬
kunftsromane noch niemand das Kunstleben der Zukunft zum Gegenstand einer
eingehenden Darstellung gemacht hat. Welch glänzende Perspektiven ließen
sich da eröffnen! In jedem Zimmer vortreffliche Gemäldereproduktiouen, oder
besser noch Gemälde selbst, die den Schönheitssinn des jungen Deutschen von
der Wiege an entwickeln, auf jedem Marktplatz Statuen berühmter Männer,
in jedem Rathause geschichtliche Fresken, dazu ein musterhaftes Theater für
das ganze Volk durch Erhebung des Instituts der Wanderbühne zu echter
Kunsthöhe, was natürlich die Ausbildung nud Anstellung der Schauspieler
durch den Staat voraussetzt, dazu klassische Konzerte in Hülle und Fülle!
Ein pcrikleisches und medieeisches Zeitalter in Deutschland wäre in der That
so übel nicht, aber man darf nicht vergessen, daß solche Zeitalter auch ihre
Schattenseiten haben, und daß sich der Mensch, wenn man ihm ewig und überall
mit der Kunst auf de" Leib rückt, durch einen herzhaften Sprung in die rohe
Natur zu retten pflegt. Daß ans dem Gebiete der Kunst für das Volk jedoch
"och unendlich viel geleistet werden kann, ist unbestreitbar, nur soll mau
davon ablassen, eine besondre Kunst für das Volk schaffen zu wollen, sondern
sich begnügen, die vorhandnen Werke, die die mächtigste Wirkung verraten,
mehr ins Volk zu tragen. Die mächtigste Wirkung übt immer die echte Kunst,
hinter der eine große Persönlichkeit steht, und gerade die großen Persönlichkeiten
sind auch die besten Vertreter und Träger des Volkstums. Shakespeares "Lear"
und "Hamlet," Goethes "Faust," Schillers "Kabale und Liebe" haben auch
das Volk tausendmal aufs tiefste ergriffen, und so gewaltig diese Dichter
immerhin emporragen mögen, sie wurzeln in ihrem Volke, und ihr Größtes
und Bestes zu empfinden, ist keine Sache der Bildung.

Vom Kunstgewerbe will ich nicht viel sagen. Es ist heute in schönster
Entwicklung und äußerst volksbeliebt. Sind auch die alten Bauernhäuser mit


Henne und Volkston,

eines Denkmals, das in der Regel doch nur eine hundertmal dargestellte
Stellung wiederholt, ein Gemälde zu stiften, wofür sich wohl auch ein Platz
fände, wenn man die großstädtischen Museen dazu brächte, von ihren auf¬
gehäuften Schätzen einiges an die kleinern Städte abzugeben, wenn mau —
doch ich will mir die übrigen Wenn schenken; zu einem lebendigen Kunstleben,
und gar zu einem volkstümlichen, gehört allzuviel. Die Zahl der Pracht¬
bauten in Deutschland nimmt freilich stetig zu, der alte Kastenstil ist selbst
im Privatbau völlig überwunden; aber es giebt Leute, die behaupten, daß die
moderne Stilverwirrnng nicht gerade ein Fortschritt sei, daß man auch den
Einfluß der Architektur auf das Volk überschätze. Soviel ist richtig, daß ihm
unsre neuen Monumentalbauten nicht so sehr imponiren, wie mau denkt, und
zwar einfach deshalb nicht, weil es den innern Zusammenhang zwischen dem
Stil und dem Zweck der Gebäude nicht herausfindet. Er soll auch öfter
nicht vorhanden sein.

Mich wundert übrigeus, daß in unserm Zeitalter der utopistischen Zu¬
kunftsromane noch niemand das Kunstleben der Zukunft zum Gegenstand einer
eingehenden Darstellung gemacht hat. Welch glänzende Perspektiven ließen
sich da eröffnen! In jedem Zimmer vortreffliche Gemäldereproduktiouen, oder
besser noch Gemälde selbst, die den Schönheitssinn des jungen Deutschen von
der Wiege an entwickeln, auf jedem Marktplatz Statuen berühmter Männer,
in jedem Rathause geschichtliche Fresken, dazu ein musterhaftes Theater für
das ganze Volk durch Erhebung des Instituts der Wanderbühne zu echter
Kunsthöhe, was natürlich die Ausbildung nud Anstellung der Schauspieler
durch den Staat voraussetzt, dazu klassische Konzerte in Hülle und Fülle!
Ein pcrikleisches und medieeisches Zeitalter in Deutschland wäre in der That
so übel nicht, aber man darf nicht vergessen, daß solche Zeitalter auch ihre
Schattenseiten haben, und daß sich der Mensch, wenn man ihm ewig und überall
mit der Kunst auf de» Leib rückt, durch einen herzhaften Sprung in die rohe
Natur zu retten pflegt. Daß ans dem Gebiete der Kunst für das Volk jedoch
»och unendlich viel geleistet werden kann, ist unbestreitbar, nur soll mau
davon ablassen, eine besondre Kunst für das Volk schaffen zu wollen, sondern
sich begnügen, die vorhandnen Werke, die die mächtigste Wirkung verraten,
mehr ins Volk zu tragen. Die mächtigste Wirkung übt immer die echte Kunst,
hinter der eine große Persönlichkeit steht, und gerade die großen Persönlichkeiten
sind auch die besten Vertreter und Träger des Volkstums. Shakespeares „Lear"
und „Hamlet," Goethes „Faust," Schillers „Kabale und Liebe" haben auch
das Volk tausendmal aufs tiefste ergriffen, und so gewaltig diese Dichter
immerhin emporragen mögen, sie wurzeln in ihrem Volke, und ihr Größtes
und Bestes zu empfinden, ist keine Sache der Bildung.

Vom Kunstgewerbe will ich nicht viel sagen. Es ist heute in schönster
Entwicklung und äußerst volksbeliebt. Sind auch die alten Bauernhäuser mit


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[0283] Henne und Volkston, eines Denkmals, das in der Regel doch nur eine hundertmal dargestellte Stellung wiederholt, ein Gemälde zu stiften, wofür sich wohl auch ein Platz fände, wenn man die großstädtischen Museen dazu brächte, von ihren auf¬ gehäuften Schätzen einiges an die kleinern Städte abzugeben, wenn mau — doch ich will mir die übrigen Wenn schenken; zu einem lebendigen Kunstleben, und gar zu einem volkstümlichen, gehört allzuviel. Die Zahl der Pracht¬ bauten in Deutschland nimmt freilich stetig zu, der alte Kastenstil ist selbst im Privatbau völlig überwunden; aber es giebt Leute, die behaupten, daß die moderne Stilverwirrnng nicht gerade ein Fortschritt sei, daß man auch den Einfluß der Architektur auf das Volk überschätze. Soviel ist richtig, daß ihm unsre neuen Monumentalbauten nicht so sehr imponiren, wie mau denkt, und zwar einfach deshalb nicht, weil es den innern Zusammenhang zwischen dem Stil und dem Zweck der Gebäude nicht herausfindet. Er soll auch öfter nicht vorhanden sein. Mich wundert übrigeus, daß in unserm Zeitalter der utopistischen Zu¬ kunftsromane noch niemand das Kunstleben der Zukunft zum Gegenstand einer eingehenden Darstellung gemacht hat. Welch glänzende Perspektiven ließen sich da eröffnen! In jedem Zimmer vortreffliche Gemäldereproduktiouen, oder besser noch Gemälde selbst, die den Schönheitssinn des jungen Deutschen von der Wiege an entwickeln, auf jedem Marktplatz Statuen berühmter Männer, in jedem Rathause geschichtliche Fresken, dazu ein musterhaftes Theater für das ganze Volk durch Erhebung des Instituts der Wanderbühne zu echter Kunsthöhe, was natürlich die Ausbildung nud Anstellung der Schauspieler durch den Staat voraussetzt, dazu klassische Konzerte in Hülle und Fülle! Ein pcrikleisches und medieeisches Zeitalter in Deutschland wäre in der That so übel nicht, aber man darf nicht vergessen, daß solche Zeitalter auch ihre Schattenseiten haben, und daß sich der Mensch, wenn man ihm ewig und überall mit der Kunst auf de» Leib rückt, durch einen herzhaften Sprung in die rohe Natur zu retten pflegt. Daß ans dem Gebiete der Kunst für das Volk jedoch »och unendlich viel geleistet werden kann, ist unbestreitbar, nur soll mau davon ablassen, eine besondre Kunst für das Volk schaffen zu wollen, sondern sich begnügen, die vorhandnen Werke, die die mächtigste Wirkung verraten, mehr ins Volk zu tragen. Die mächtigste Wirkung übt immer die echte Kunst, hinter der eine große Persönlichkeit steht, und gerade die großen Persönlichkeiten sind auch die besten Vertreter und Träger des Volkstums. Shakespeares „Lear" und „Hamlet," Goethes „Faust," Schillers „Kabale und Liebe" haben auch das Volk tausendmal aufs tiefste ergriffen, und so gewaltig diese Dichter immerhin emporragen mögen, sie wurzeln in ihrem Volke, und ihr Größtes und Bestes zu empfinden, ist keine Sache der Bildung. Vom Kunstgewerbe will ich nicht viel sagen. Es ist heute in schönster Entwicklung und äußerst volksbeliebt. Sind auch die alten Bauernhäuser mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/283>, abgerufen am 04.07.2024.