Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

lungen sonst zuziehen können. Wir fürchten nicht, daß bei einem derartigen
Entwurf ein neuer Herzog Christoph käme und an den Rand -- wie bei dem
Entwurf des württembergischen Landrechts von 1567 -- schriebe: "Es ist
nunmehr Deutsch genug, dabei es bleibt, damit nicht Barbarisini darein
kommen."

Von diesen Gesichtspunkten aus etwa werden die Reichstagsabgeordneten
den ihnen vorgelegten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs ins Auge zu
fassen und an ihre verantwortungsvolle Prüfungsarbeit zu gehen haben. Die
hier aufgestellte" Erfordernisse stimmen in manchem überein mit denen der
Kaiserin Maria Theresia, als ihr die umfangreichen Arbeite" der Jahre 1753
bis 1767 für deu Entwurf eines österreichischen Gesetzbuchs vorgelegt worden
waren, und diese ihren Ansprüchen nicht genügten. Ihre Autorität mag daher
zum Schluß noch herangezogen werden, da dem deutschen Gesetzgebungswerk
von gleich hoher Stelle kein ähnlicher Spruch mit auf den Weg gegeben
worden ist. Sie schrieb: "1. soll das Gesetzbuch und Lehrbuch nicht mit ein¬
ander vermengt, mithin alles, was nicht in den Mund des Gesetzgebers, sondern
aä (AtlwäiÄili gehört, aus dem Kodex weggelassen, 2. alles in möglichster
Kürze gefaßt, die vWus mriorss übergangen, die übrigen aber unter allgemeine
Sätze begriffen, jedoch 3. alle Zweideutigkeit und Undeutlichkeit vermieden
werden; 4. in dem Gesetzbuch soll man sich nicht an die römischen Gesetze
binden, sondern überall die natürliche Billigkeit zu Grnnde legen; endlich 5. die
Gesetze so viel wie möglich simplifiziren, daher bei solchen Fällen, die wesent¬
lich einerlei sind, wegen einer etwa unterwaltenden Subtilität nicht verviel¬
fältigen." Ihre Wünsche sind freilich im österreichischen Gesetzbuch nicht voll¬
ständig erfüllt worden. Die Pflicht jedes Gesetzgebers aber ist es, alle als
notwendig erkannten Erfordernisse eines guten Gesetzbuchs nach Kräften zu be¬
schaffen. Dann kann er allen Anfeindungen entgegen ruhig auf die Mangel-
haftigkeit alles Menschenwerth hinweisen und mit Solon sagen: "Man soll
zufrieden sein, dem Volke das beste Gesetzbuch, dessen man fähig ist, gegeben
zu haben."




"Ärenzlww, IV I"9535
Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

lungen sonst zuziehen können. Wir fürchten nicht, daß bei einem derartigen
Entwurf ein neuer Herzog Christoph käme und an den Rand — wie bei dem
Entwurf des württembergischen Landrechts von 1567 — schriebe: „Es ist
nunmehr Deutsch genug, dabei es bleibt, damit nicht Barbarisini darein
kommen."

Von diesen Gesichtspunkten aus etwa werden die Reichstagsabgeordneten
den ihnen vorgelegten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs ins Auge zu
fassen und an ihre verantwortungsvolle Prüfungsarbeit zu gehen haben. Die
hier aufgestellte» Erfordernisse stimmen in manchem überein mit denen der
Kaiserin Maria Theresia, als ihr die umfangreichen Arbeite» der Jahre 1753
bis 1767 für deu Entwurf eines österreichischen Gesetzbuchs vorgelegt worden
waren, und diese ihren Ansprüchen nicht genügten. Ihre Autorität mag daher
zum Schluß noch herangezogen werden, da dem deutschen Gesetzgebungswerk
von gleich hoher Stelle kein ähnlicher Spruch mit auf den Weg gegeben
worden ist. Sie schrieb: „1. soll das Gesetzbuch und Lehrbuch nicht mit ein¬
ander vermengt, mithin alles, was nicht in den Mund des Gesetzgebers, sondern
aä (AtlwäiÄili gehört, aus dem Kodex weggelassen, 2. alles in möglichster
Kürze gefaßt, die vWus mriorss übergangen, die übrigen aber unter allgemeine
Sätze begriffen, jedoch 3. alle Zweideutigkeit und Undeutlichkeit vermieden
werden; 4. in dem Gesetzbuch soll man sich nicht an die römischen Gesetze
binden, sondern überall die natürliche Billigkeit zu Grnnde legen; endlich 5. die
Gesetze so viel wie möglich simplifiziren, daher bei solchen Fällen, die wesent¬
lich einerlei sind, wegen einer etwa unterwaltenden Subtilität nicht verviel¬
fältigen." Ihre Wünsche sind freilich im österreichischen Gesetzbuch nicht voll¬
ständig erfüllt worden. Die Pflicht jedes Gesetzgebers aber ist es, alle als
notwendig erkannten Erfordernisse eines guten Gesetzbuchs nach Kräften zu be¬
schaffen. Dann kann er allen Anfeindungen entgegen ruhig auf die Mangel-
haftigkeit alles Menschenwerth hinweisen und mit Solon sagen: „Man soll
zufrieden sein, dem Volke das beste Gesetzbuch, dessen man fähig ist, gegeben
zu haben."




«Ärenzlww, IV I»9535
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0281" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221257"/>
            <fw type="header" place="top"> Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_892" prev="#ID_891"> lungen sonst zuziehen können. Wir fürchten nicht, daß bei einem derartigen<lb/>
Entwurf ein neuer Herzog Christoph käme und an den Rand &#x2014; wie bei dem<lb/>
Entwurf des württembergischen Landrechts von 1567 &#x2014; schriebe: &#x201E;Es ist<lb/>
nunmehr Deutsch genug, dabei es bleibt, damit nicht Barbarisini darein<lb/>
kommen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_893"> Von diesen Gesichtspunkten aus etwa werden die Reichstagsabgeordneten<lb/>
den ihnen vorgelegten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs ins Auge zu<lb/>
fassen und an ihre verantwortungsvolle Prüfungsarbeit zu gehen haben. Die<lb/>
hier aufgestellte» Erfordernisse stimmen in manchem überein mit denen der<lb/>
Kaiserin Maria Theresia, als ihr die umfangreichen Arbeite» der Jahre 1753<lb/>
bis 1767 für deu Entwurf eines österreichischen Gesetzbuchs vorgelegt worden<lb/>
waren, und diese ihren Ansprüchen nicht genügten. Ihre Autorität mag daher<lb/>
zum Schluß noch herangezogen werden, da dem deutschen Gesetzgebungswerk<lb/>
von gleich hoher Stelle kein ähnlicher Spruch mit auf den Weg gegeben<lb/>
worden ist. Sie schrieb: &#x201E;1. soll das Gesetzbuch und Lehrbuch nicht mit ein¬<lb/>
ander vermengt, mithin alles, was nicht in den Mund des Gesetzgebers, sondern<lb/>
aä (AtlwäiÄili gehört, aus dem Kodex weggelassen, 2. alles in möglichster<lb/>
Kürze gefaßt, die vWus mriorss übergangen, die übrigen aber unter allgemeine<lb/>
Sätze begriffen, jedoch 3. alle Zweideutigkeit und Undeutlichkeit vermieden<lb/>
werden; 4. in dem Gesetzbuch soll man sich nicht an die römischen Gesetze<lb/>
binden, sondern überall die natürliche Billigkeit zu Grnnde legen; endlich 5. die<lb/>
Gesetze so viel wie möglich simplifiziren, daher bei solchen Fällen, die wesent¬<lb/>
lich einerlei sind, wegen einer etwa unterwaltenden Subtilität nicht verviel¬<lb/>
fältigen." Ihre Wünsche sind freilich im österreichischen Gesetzbuch nicht voll¬<lb/>
ständig erfüllt worden. Die Pflicht jedes Gesetzgebers aber ist es, alle als<lb/>
notwendig erkannten Erfordernisse eines guten Gesetzbuchs nach Kräften zu be¬<lb/>
schaffen. Dann kann er allen Anfeindungen entgegen ruhig auf die Mangel-<lb/>
haftigkeit alles Menschenwerth hinweisen und mit Solon sagen: &#x201E;Man soll<lb/>
zufrieden sein, dem Volke das beste Gesetzbuch, dessen man fähig ist, gegeben<lb/>
zu haben."</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> «Ärenzlww, IV I»9535</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0281] Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? lungen sonst zuziehen können. Wir fürchten nicht, daß bei einem derartigen Entwurf ein neuer Herzog Christoph käme und an den Rand — wie bei dem Entwurf des württembergischen Landrechts von 1567 — schriebe: „Es ist nunmehr Deutsch genug, dabei es bleibt, damit nicht Barbarisini darein kommen." Von diesen Gesichtspunkten aus etwa werden die Reichstagsabgeordneten den ihnen vorgelegten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs ins Auge zu fassen und an ihre verantwortungsvolle Prüfungsarbeit zu gehen haben. Die hier aufgestellte» Erfordernisse stimmen in manchem überein mit denen der Kaiserin Maria Theresia, als ihr die umfangreichen Arbeite» der Jahre 1753 bis 1767 für deu Entwurf eines österreichischen Gesetzbuchs vorgelegt worden waren, und diese ihren Ansprüchen nicht genügten. Ihre Autorität mag daher zum Schluß noch herangezogen werden, da dem deutschen Gesetzgebungswerk von gleich hoher Stelle kein ähnlicher Spruch mit auf den Weg gegeben worden ist. Sie schrieb: „1. soll das Gesetzbuch und Lehrbuch nicht mit ein¬ ander vermengt, mithin alles, was nicht in den Mund des Gesetzgebers, sondern aä (AtlwäiÄili gehört, aus dem Kodex weggelassen, 2. alles in möglichster Kürze gefaßt, die vWus mriorss übergangen, die übrigen aber unter allgemeine Sätze begriffen, jedoch 3. alle Zweideutigkeit und Undeutlichkeit vermieden werden; 4. in dem Gesetzbuch soll man sich nicht an die römischen Gesetze binden, sondern überall die natürliche Billigkeit zu Grnnde legen; endlich 5. die Gesetze so viel wie möglich simplifiziren, daher bei solchen Fällen, die wesent¬ lich einerlei sind, wegen einer etwa unterwaltenden Subtilität nicht verviel¬ fältigen." Ihre Wünsche sind freilich im österreichischen Gesetzbuch nicht voll¬ ständig erfüllt worden. Die Pflicht jedes Gesetzgebers aber ist es, alle als notwendig erkannten Erfordernisse eines guten Gesetzbuchs nach Kräften zu be¬ schaffen. Dann kann er allen Anfeindungen entgegen ruhig auf die Mangel- haftigkeit alles Menschenwerth hinweisen und mit Solon sagen: „Man soll zufrieden sein, dem Volke das beste Gesetzbuch, dessen man fähig ist, gegeben zu haben." «Ärenzlww, IV I»9535

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/281
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/281>, abgerufen am 24.07.2024.