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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

i" Anlehnung an die Bestrebungen Iherings, Gareisens und Ofners Petrazheki
erst ins Leben zu rufen versucht. Deshalb kann jedem, der zur Mitarbeit an
dem großen nationalen Werk eines bürgerlichen Gesetzbuchs berufen ist, nicht
dringend genug ans Herz gelegt werden, die zivilpolitischen Betrachtungen über
den Entwurf, die Petrazycki im zweiten Bande seines genannten Werkes")
bringt, eingehend zu studiren. Nicht daß seinen Ergebnissen allenthalben zu¬
gestimmt werden müßte, aber die Methode ist wertvoll, nach der er die Prü¬
fung der einzelnen Vorschriften des Gesetzes vornimmt. Im Anschluß an seine
Untersuchungen mögen zur Erläuterung dessen, worauf der Reichstag die
Prüfung bei dem Entwurf zu erstrecken hat, einige Punkte hervorgehoben
werden.

So ist zunächst für das gesamte Wirtschaftsleben von Bedeutung die Vor¬
schrift über die Form der Verträge. Das Erfordernis, daß ein Vertrag, um
giltig zu sein, schriftlich abgefaßt sein muß, übt eine ganz andre Wirkung auf
die Vertragschließenden aus, als wenn eine solche Form nicht für notwendig
erachtet wird. Es leuchtet ein, daß durch dieses Erfordernis die Vertrag¬
schließenden viel mehr angehalten werden, vor Eingehung des Vertrags mit sich
zu Rate zu gehen und sich die möglicherweise aus ihm ergebenden Verpflich¬
tungen zu vergegenwärtigen, als wenn das bloße Wort schon bindet. Auf
der andern Seite erschwert wieder die zur Giltigkeit notwendige Form den
Verkehr, der sich im Abschluß dieser Verträge abwickelt. Im Hinblick auf diese
Wirkungen wird deshalb der Gesetzgeber zu prüfe" habe", unter welchen Ver-
hältnissen ihm die Leichtigkeit des Verkehrs für das Wirtschaftsleben seines
Volks wichtiger erscheint, und wann er es für notwendig hält, die Vertrag¬
schließenden zur genauen Überlegung und Vorsicht anzuhalten. Es liegt nahe,
die Leichtigkeit des Verkehrs im Handel und Gewerbe in erster Linie zu be¬
rücksichtigen, auf Vorsicht und Überlegung durch die Erschwerung der schrift¬
lichen Form aber dort hinzuwirken, wo der Vertrag leicht unter Benutzung
augenblicklicher Stimmungen, unter Ausbeutung des Leichtsinns und der Un-
erfahrenheit abgeschlossn werden kann. Diese Gefahr besteht in hohem Grade
bei den Rechtsgeschäften, die nicht unmittelbar die Hingabe eines Vermögens-
werts erheischen, sondern nur für die Zukunft und nur gegebneufalls ver¬
pflichten. Hierher gehören z. B. Bürgschaftsüberuahmeu, Zinsversprechungen,
Vollmachtserteilungeu usw. Zur Abschließung derartiger Verträge läßt sich
ein Leichtsinniger und Unerfahrner eher verleiten, da er hofft, es werde doch
nicht der Fall eintreten, wo er auf Grund seiner Verpflichtung in Anspruch
genommen werden könne. Es fragt sich also, ob nicht bei den erwähnten



*) Die Lehre vom Einkommen. Vom Standpunkte des gemeinen Zivilrechts unter
Berücksichtigung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich. Bon
Leo von Petrazycki. 1. Band, Grundbegriffe. Berlin, 1893. L.Band, Einkomnienserscch.
Berlin, 1835. Verlag von H. W. Müller.
Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

i» Anlehnung an die Bestrebungen Iherings, Gareisens und Ofners Petrazheki
erst ins Leben zu rufen versucht. Deshalb kann jedem, der zur Mitarbeit an
dem großen nationalen Werk eines bürgerlichen Gesetzbuchs berufen ist, nicht
dringend genug ans Herz gelegt werden, die zivilpolitischen Betrachtungen über
den Entwurf, die Petrazycki im zweiten Bande seines genannten Werkes")
bringt, eingehend zu studiren. Nicht daß seinen Ergebnissen allenthalben zu¬
gestimmt werden müßte, aber die Methode ist wertvoll, nach der er die Prü¬
fung der einzelnen Vorschriften des Gesetzes vornimmt. Im Anschluß an seine
Untersuchungen mögen zur Erläuterung dessen, worauf der Reichstag die
Prüfung bei dem Entwurf zu erstrecken hat, einige Punkte hervorgehoben
werden.

So ist zunächst für das gesamte Wirtschaftsleben von Bedeutung die Vor¬
schrift über die Form der Verträge. Das Erfordernis, daß ein Vertrag, um
giltig zu sein, schriftlich abgefaßt sein muß, übt eine ganz andre Wirkung auf
die Vertragschließenden aus, als wenn eine solche Form nicht für notwendig
erachtet wird. Es leuchtet ein, daß durch dieses Erfordernis die Vertrag¬
schließenden viel mehr angehalten werden, vor Eingehung des Vertrags mit sich
zu Rate zu gehen und sich die möglicherweise aus ihm ergebenden Verpflich¬
tungen zu vergegenwärtigen, als wenn das bloße Wort schon bindet. Auf
der andern Seite erschwert wieder die zur Giltigkeit notwendige Form den
Verkehr, der sich im Abschluß dieser Verträge abwickelt. Im Hinblick auf diese
Wirkungen wird deshalb der Gesetzgeber zu prüfe» habe», unter welchen Ver-
hältnissen ihm die Leichtigkeit des Verkehrs für das Wirtschaftsleben seines
Volks wichtiger erscheint, und wann er es für notwendig hält, die Vertrag¬
schließenden zur genauen Überlegung und Vorsicht anzuhalten. Es liegt nahe,
die Leichtigkeit des Verkehrs im Handel und Gewerbe in erster Linie zu be¬
rücksichtigen, auf Vorsicht und Überlegung durch die Erschwerung der schrift¬
lichen Form aber dort hinzuwirken, wo der Vertrag leicht unter Benutzung
augenblicklicher Stimmungen, unter Ausbeutung des Leichtsinns und der Un-
erfahrenheit abgeschlossn werden kann. Diese Gefahr besteht in hohem Grade
bei den Rechtsgeschäften, die nicht unmittelbar die Hingabe eines Vermögens-
werts erheischen, sondern nur für die Zukunft und nur gegebneufalls ver¬
pflichten. Hierher gehören z. B. Bürgschaftsüberuahmeu, Zinsversprechungen,
Vollmachtserteilungeu usw. Zur Abschließung derartiger Verträge läßt sich
ein Leichtsinniger und Unerfahrner eher verleiten, da er hofft, es werde doch
nicht der Fall eintreten, wo er auf Grund seiner Verpflichtung in Anspruch
genommen werden könne. Es fragt sich also, ob nicht bei den erwähnten



*) Die Lehre vom Einkommen. Vom Standpunkte des gemeinen Zivilrechts unter
Berücksichtigung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich. Bon
Leo von Petrazycki. 1. Band, Grundbegriffe. Berlin, 1893. L.Band, Einkomnienserscch.
Berlin, 1835. Verlag von H. W. Müller.
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[0275] Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? i» Anlehnung an die Bestrebungen Iherings, Gareisens und Ofners Petrazheki erst ins Leben zu rufen versucht. Deshalb kann jedem, der zur Mitarbeit an dem großen nationalen Werk eines bürgerlichen Gesetzbuchs berufen ist, nicht dringend genug ans Herz gelegt werden, die zivilpolitischen Betrachtungen über den Entwurf, die Petrazycki im zweiten Bande seines genannten Werkes") bringt, eingehend zu studiren. Nicht daß seinen Ergebnissen allenthalben zu¬ gestimmt werden müßte, aber die Methode ist wertvoll, nach der er die Prü¬ fung der einzelnen Vorschriften des Gesetzes vornimmt. Im Anschluß an seine Untersuchungen mögen zur Erläuterung dessen, worauf der Reichstag die Prüfung bei dem Entwurf zu erstrecken hat, einige Punkte hervorgehoben werden. So ist zunächst für das gesamte Wirtschaftsleben von Bedeutung die Vor¬ schrift über die Form der Verträge. Das Erfordernis, daß ein Vertrag, um giltig zu sein, schriftlich abgefaßt sein muß, übt eine ganz andre Wirkung auf die Vertragschließenden aus, als wenn eine solche Form nicht für notwendig erachtet wird. Es leuchtet ein, daß durch dieses Erfordernis die Vertrag¬ schließenden viel mehr angehalten werden, vor Eingehung des Vertrags mit sich zu Rate zu gehen und sich die möglicherweise aus ihm ergebenden Verpflich¬ tungen zu vergegenwärtigen, als wenn das bloße Wort schon bindet. Auf der andern Seite erschwert wieder die zur Giltigkeit notwendige Form den Verkehr, der sich im Abschluß dieser Verträge abwickelt. Im Hinblick auf diese Wirkungen wird deshalb der Gesetzgeber zu prüfe» habe», unter welchen Ver- hältnissen ihm die Leichtigkeit des Verkehrs für das Wirtschaftsleben seines Volks wichtiger erscheint, und wann er es für notwendig hält, die Vertrag¬ schließenden zur genauen Überlegung und Vorsicht anzuhalten. Es liegt nahe, die Leichtigkeit des Verkehrs im Handel und Gewerbe in erster Linie zu be¬ rücksichtigen, auf Vorsicht und Überlegung durch die Erschwerung der schrift¬ lichen Form aber dort hinzuwirken, wo der Vertrag leicht unter Benutzung augenblicklicher Stimmungen, unter Ausbeutung des Leichtsinns und der Un- erfahrenheit abgeschlossn werden kann. Diese Gefahr besteht in hohem Grade bei den Rechtsgeschäften, die nicht unmittelbar die Hingabe eines Vermögens- werts erheischen, sondern nur für die Zukunft und nur gegebneufalls ver¬ pflichten. Hierher gehören z. B. Bürgschaftsüberuahmeu, Zinsversprechungen, Vollmachtserteilungeu usw. Zur Abschließung derartiger Verträge läßt sich ein Leichtsinniger und Unerfahrner eher verleiten, da er hofft, es werde doch nicht der Fall eintreten, wo er auf Grund seiner Verpflichtung in Anspruch genommen werden könne. Es fragt sich also, ob nicht bei den erwähnten *) Die Lehre vom Einkommen. Vom Standpunkte des gemeinen Zivilrechts unter Berücksichtigung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich. Bon Leo von Petrazycki. 1. Band, Grundbegriffe. Berlin, 1893. L.Band, Einkomnienserscch. Berlin, 1835. Verlag von H. W. Müller.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/275>, abgerufen am 25.07.2024.