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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Staatshilfe oder Selbsthilfe?

in einer bescheidnen und abhängigen Stellung zu verbleiben, sondern auch
weil beim Eingehen einer Ehe weniger persönliche Neigung und mehr die Rück¬
sicht ans den Besitz entscheidet. Der alte Junggesell und die alte Jungfer
auf unseru Bauernhöfen bilden einen festern Damm gegen die "Proletarisirung
des Bauernstandes/' als alles Geschrei der Agrarier aufzurichten vermöchte.
Sie schassen getreulich im Schweiße ihres Angesichts und halten dadurch von
dem Bauernstande alle Schwierigkeiten der Arbeiterfrage fern. Sie warten,
wenn sich nicht ein gutgestellter Bauer das Mädchen in den jüngern Jahren
heimholt, oder dem jungen Mann das "Einfreien" in einen Bauernhof gelingt,
das als die Aufgabe der jüngern Vanernsöhne bezeichnet wird, geduldig
ab, bis irgendwo ein Ehemann oder eine Ehefrau ins Jenseits abberufen und
dadurch ein Platz frei wird. Andrerseits hält es auch der Bauernsohn dieses
Schlages nicht sür entwürdigend, sich als Arbeiter und vielleicht Besitzer eines
kleinen Unwesens ein Heim zu gründen.

Wie ganz anders ist das Bild, das der an Bildung und Lebensansprüche"
fortgeschrittnere Stand der Grundbesitzer darbietet! Die kostspieligere Lebens¬
haltung, namentlich die Erziehung der Kinder, die oft noch nach der Schulzeit
eine weitere Ausbildung genießen, verschlingt das ganze Einkommen des Vaters
und oft noch mehr dazu. sind mehrere Söhne da, so wird vielleicht ein
Sohn für einen andern Beruf ausgebildet, während außer dem Hoferben noch
ein Sohn mehr in der Landwirtschaft sein Fortkommen sucht. Der Wunsch
des letztern geht dahin, einen Landbesitz von ungefähr der Größe des väter¬
lichen zu kaufen oder zu pachten. Er hat sich zur Frau ein Mädchen erwählt,
das zu denselben Ansprüchen erzogen, aber mit keinem oder ungenügendem
Kapital ausgerüstet ist. Der Vater muß die Bürgschaft übernehmen, um das
Unternehmen zu ermöglichen, und wenn dieses nach einigen Jahren scheitert,
so ist das Vermögen der Familie so stark vermindert, daß auf die Dauer auch
die Festhaltung der ererbten Hufe, die ebenfalls nur mit starker Schuldenlast
von dem Hoferben übernommen werden konnte, nicht möglich ist.

Ich schildere hier Verhältnisse, die ich aus eigner langjähriger Erfahrung
kenne, Vorgänge, die sich, ob genau in derselben oder in etwas andrer Form,
unzählige mal abspielen. Ich will die Gewohnheiten jenes einfachen Bauern-
standes, die die Bevorzugung eines einzelnen Kindes in sich schließen, nicht
empfehlen, und ich glaube, daß es sehr verkehrt wäre, sie durch Gesetz er¬
zwingen zu wollen da, wo sie nicht den Überlieferungen und der Denkweise
des Bauernstandes entsprechen. Aber eins oder das andre. Wenn das Rechts¬
bewußtsein der Kiuder des Landnianns eine gleichmäßige Teilung des Ver¬
mögens fordert, so ist in sehr vielen Fällen die Möglichkeit der Eheschließung
nur unter der Bedingung gegeben, daß sich das Hernbsinken auf eine tiefere
gesellschaftliche Stufe damit verbindet. Daß dies bei der heutigen Erziehungs¬
weise verschmäht wird, ist begreiflich, aber man braucht dann auch uicht zu


Staatshilfe oder Selbsthilfe?

in einer bescheidnen und abhängigen Stellung zu verbleiben, sondern auch
weil beim Eingehen einer Ehe weniger persönliche Neigung und mehr die Rück¬
sicht ans den Besitz entscheidet. Der alte Junggesell und die alte Jungfer
auf unseru Bauernhöfen bilden einen festern Damm gegen die „Proletarisirung
des Bauernstandes/' als alles Geschrei der Agrarier aufzurichten vermöchte.
Sie schassen getreulich im Schweiße ihres Angesichts und halten dadurch von
dem Bauernstande alle Schwierigkeiten der Arbeiterfrage fern. Sie warten,
wenn sich nicht ein gutgestellter Bauer das Mädchen in den jüngern Jahren
heimholt, oder dem jungen Mann das „Einfreien" in einen Bauernhof gelingt,
das als die Aufgabe der jüngern Vanernsöhne bezeichnet wird, geduldig
ab, bis irgendwo ein Ehemann oder eine Ehefrau ins Jenseits abberufen und
dadurch ein Platz frei wird. Andrerseits hält es auch der Bauernsohn dieses
Schlages nicht sür entwürdigend, sich als Arbeiter und vielleicht Besitzer eines
kleinen Unwesens ein Heim zu gründen.

Wie ganz anders ist das Bild, das der an Bildung und Lebensansprüche»
fortgeschrittnere Stand der Grundbesitzer darbietet! Die kostspieligere Lebens¬
haltung, namentlich die Erziehung der Kinder, die oft noch nach der Schulzeit
eine weitere Ausbildung genießen, verschlingt das ganze Einkommen des Vaters
und oft noch mehr dazu. sind mehrere Söhne da, so wird vielleicht ein
Sohn für einen andern Beruf ausgebildet, während außer dem Hoferben noch
ein Sohn mehr in der Landwirtschaft sein Fortkommen sucht. Der Wunsch
des letztern geht dahin, einen Landbesitz von ungefähr der Größe des väter¬
lichen zu kaufen oder zu pachten. Er hat sich zur Frau ein Mädchen erwählt,
das zu denselben Ansprüchen erzogen, aber mit keinem oder ungenügendem
Kapital ausgerüstet ist. Der Vater muß die Bürgschaft übernehmen, um das
Unternehmen zu ermöglichen, und wenn dieses nach einigen Jahren scheitert,
so ist das Vermögen der Familie so stark vermindert, daß auf die Dauer auch
die Festhaltung der ererbten Hufe, die ebenfalls nur mit starker Schuldenlast
von dem Hoferben übernommen werden konnte, nicht möglich ist.

Ich schildere hier Verhältnisse, die ich aus eigner langjähriger Erfahrung
kenne, Vorgänge, die sich, ob genau in derselben oder in etwas andrer Form,
unzählige mal abspielen. Ich will die Gewohnheiten jenes einfachen Bauern-
standes, die die Bevorzugung eines einzelnen Kindes in sich schließen, nicht
empfehlen, und ich glaube, daß es sehr verkehrt wäre, sie durch Gesetz er¬
zwingen zu wollen da, wo sie nicht den Überlieferungen und der Denkweise
des Bauernstandes entsprechen. Aber eins oder das andre. Wenn das Rechts¬
bewußtsein der Kiuder des Landnianns eine gleichmäßige Teilung des Ver¬
mögens fordert, so ist in sehr vielen Fällen die Möglichkeit der Eheschließung
nur unter der Bedingung gegeben, daß sich das Hernbsinken auf eine tiefere
gesellschaftliche Stufe damit verbindet. Daß dies bei der heutigen Erziehungs¬
weise verschmäht wird, ist begreiflich, aber man braucht dann auch uicht zu


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[0269] Staatshilfe oder Selbsthilfe? in einer bescheidnen und abhängigen Stellung zu verbleiben, sondern auch weil beim Eingehen einer Ehe weniger persönliche Neigung und mehr die Rück¬ sicht ans den Besitz entscheidet. Der alte Junggesell und die alte Jungfer auf unseru Bauernhöfen bilden einen festern Damm gegen die „Proletarisirung des Bauernstandes/' als alles Geschrei der Agrarier aufzurichten vermöchte. Sie schassen getreulich im Schweiße ihres Angesichts und halten dadurch von dem Bauernstande alle Schwierigkeiten der Arbeiterfrage fern. Sie warten, wenn sich nicht ein gutgestellter Bauer das Mädchen in den jüngern Jahren heimholt, oder dem jungen Mann das „Einfreien" in einen Bauernhof gelingt, das als die Aufgabe der jüngern Vanernsöhne bezeichnet wird, geduldig ab, bis irgendwo ein Ehemann oder eine Ehefrau ins Jenseits abberufen und dadurch ein Platz frei wird. Andrerseits hält es auch der Bauernsohn dieses Schlages nicht sür entwürdigend, sich als Arbeiter und vielleicht Besitzer eines kleinen Unwesens ein Heim zu gründen. Wie ganz anders ist das Bild, das der an Bildung und Lebensansprüche» fortgeschrittnere Stand der Grundbesitzer darbietet! Die kostspieligere Lebens¬ haltung, namentlich die Erziehung der Kinder, die oft noch nach der Schulzeit eine weitere Ausbildung genießen, verschlingt das ganze Einkommen des Vaters und oft noch mehr dazu. sind mehrere Söhne da, so wird vielleicht ein Sohn für einen andern Beruf ausgebildet, während außer dem Hoferben noch ein Sohn mehr in der Landwirtschaft sein Fortkommen sucht. Der Wunsch des letztern geht dahin, einen Landbesitz von ungefähr der Größe des väter¬ lichen zu kaufen oder zu pachten. Er hat sich zur Frau ein Mädchen erwählt, das zu denselben Ansprüchen erzogen, aber mit keinem oder ungenügendem Kapital ausgerüstet ist. Der Vater muß die Bürgschaft übernehmen, um das Unternehmen zu ermöglichen, und wenn dieses nach einigen Jahren scheitert, so ist das Vermögen der Familie so stark vermindert, daß auf die Dauer auch die Festhaltung der ererbten Hufe, die ebenfalls nur mit starker Schuldenlast von dem Hoferben übernommen werden konnte, nicht möglich ist. Ich schildere hier Verhältnisse, die ich aus eigner langjähriger Erfahrung kenne, Vorgänge, die sich, ob genau in derselben oder in etwas andrer Form, unzählige mal abspielen. Ich will die Gewohnheiten jenes einfachen Bauern- standes, die die Bevorzugung eines einzelnen Kindes in sich schließen, nicht empfehlen, und ich glaube, daß es sehr verkehrt wäre, sie durch Gesetz er¬ zwingen zu wollen da, wo sie nicht den Überlieferungen und der Denkweise des Bauernstandes entsprechen. Aber eins oder das andre. Wenn das Rechts¬ bewußtsein der Kiuder des Landnianns eine gleichmäßige Teilung des Ver¬ mögens fordert, so ist in sehr vielen Fällen die Möglichkeit der Eheschließung nur unter der Bedingung gegeben, daß sich das Hernbsinken auf eine tiefere gesellschaftliche Stufe damit verbindet. Daß dies bei der heutigen Erziehungs¬ weise verschmäht wird, ist begreiflich, aber man braucht dann auch uicht zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/269>, abgerufen am 26.07.2024.