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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Aunst und Polizei

nur Rafael, sondern sogar der fromme Mönch Fra Bartvlommeo und zwar
auf Altarbildern, also an heiligster Stelle, nackte Engel anzubringen pflegten.
Aber woher sollte der Herr Polizeipräsident das wissen? Darnach war doch
im juristischen Examen nicht gefragt worden. Und die ästhetische Bildung des
Herrn Polizeipräsidenten ging offenbar nicht so weit, daß er einen nackten
Buben aus Bronze von einem nackten Buben aus Fleisch und Blut Hütte
unterscheiden können. In den Polizeiverordnungen giebt es eben nur Nackt¬
heit. Und Nacktheit auf offner Straße ist anstößig, mag sie aus Bronze oder
aus Fleisch sein.

Kurz, Herr Gasteiger sollte etwas gegen die Nacktheit thun. Was, das
wußte freilich der Herr Polizeipräsident selber nicht. Er soll den Vorschlag
gemacht haben, den Knaben einfach herumzudrehen, aber da fiel ihm sofort
ein, daß auch die Rückseite des Menschen -- wenn nackt -- in gewisser Weise
unanständig ist, und der Bildhauer soll gegen diesen Vorschlag bescheiden geltend
gemacht haben, daß durch eine Umdrehung der Figur die Klarheit des Motivs
eine gewisse Einbuße erleiden würde. Kurz, man ließ die Sache in 8U8p6Q80.
Inzwischen hatte die Bewohnerschaft Münchens von dem Vorgange gehört und
strömte in hellen Haufen zu dem Brunnen, um -- an ihm Anstoß zu nehmen.
Hatten vorher nur wenige besonders begabte Spürhunde das anstößige Knust-
Werk in seinem Winkel entdeckt, so kannte es jetzt mit einem male die ganze
Stadt und die Landbevölkerung der Umgegend dazu. Männlein und Weiblein
und Kinder eilten in Scharen herbei und dankten im Geiste dem Herrn Polizei-
Präsidenten dafür, daß er sie durch sein Verfahren zur Besichtigung dieses
reizenden Werkes ermuntert und ihnen zu einem großen Kunstgenuß verholfen
hatte. Man begriff mir nicht, warum in solchen und ähnlichen Fällen die
Polizei immer den Umweg des Verbots oder der Klage macht, statt einfach
zu sagen: Seht euch doch den Brunnen um, er ist unanständig, oder geht doch in
dieses Schauspiel, es ist sozialistisch, oder lest doch diesen Roman, er ist
gemein!

Inzwischen hatte ein erfinderischer Kopf, der ganz in die Absicht des
Herrn Polizeipräsidenten eingedrungen zu sein glaubte, einen Ausweg aus dieser
Schwierigkeit gefunden: eines Morgens hatte das "Buberl" eine Badehose
um. Die Polizei ließ sie freilich sofort wieder entfernen, woraus man den
g"nz richtigen Schluß zog, daß sie sich die Sache überlegt habe und ihren
Protest gegen die Nacktheit nicht mehr in vollem Maße>ufrecht erhalte. In
der That in auch seitdem nichts an dem Brunnen geschehen. Das "Buberl"
ist nackt und wird, so Gott will, nackt bleiben.

Nach der in München herrschenden Auffassung soll die ganze Hetze gegen
den Brunnen Gasteigers !von ultramontaner Seite ausgegangen sein. Man
h"be sich v bemüht, ^das ^protestantische Pfarramt oder die protestantische
Kirchenverwaltung zu einer Agitation gegen das der Matthäuskirche benach-


Aunst und Polizei

nur Rafael, sondern sogar der fromme Mönch Fra Bartvlommeo und zwar
auf Altarbildern, also an heiligster Stelle, nackte Engel anzubringen pflegten.
Aber woher sollte der Herr Polizeipräsident das wissen? Darnach war doch
im juristischen Examen nicht gefragt worden. Und die ästhetische Bildung des
Herrn Polizeipräsidenten ging offenbar nicht so weit, daß er einen nackten
Buben aus Bronze von einem nackten Buben aus Fleisch und Blut Hütte
unterscheiden können. In den Polizeiverordnungen giebt es eben nur Nackt¬
heit. Und Nacktheit auf offner Straße ist anstößig, mag sie aus Bronze oder
aus Fleisch sein.

Kurz, Herr Gasteiger sollte etwas gegen die Nacktheit thun. Was, das
wußte freilich der Herr Polizeipräsident selber nicht. Er soll den Vorschlag
gemacht haben, den Knaben einfach herumzudrehen, aber da fiel ihm sofort
ein, daß auch die Rückseite des Menschen — wenn nackt — in gewisser Weise
unanständig ist, und der Bildhauer soll gegen diesen Vorschlag bescheiden geltend
gemacht haben, daß durch eine Umdrehung der Figur die Klarheit des Motivs
eine gewisse Einbuße erleiden würde. Kurz, man ließ die Sache in 8U8p6Q80.
Inzwischen hatte die Bewohnerschaft Münchens von dem Vorgange gehört und
strömte in hellen Haufen zu dem Brunnen, um — an ihm Anstoß zu nehmen.
Hatten vorher nur wenige besonders begabte Spürhunde das anstößige Knust-
Werk in seinem Winkel entdeckt, so kannte es jetzt mit einem male die ganze
Stadt und die Landbevölkerung der Umgegend dazu. Männlein und Weiblein
und Kinder eilten in Scharen herbei und dankten im Geiste dem Herrn Polizei-
Präsidenten dafür, daß er sie durch sein Verfahren zur Besichtigung dieses
reizenden Werkes ermuntert und ihnen zu einem großen Kunstgenuß verholfen
hatte. Man begriff mir nicht, warum in solchen und ähnlichen Fällen die
Polizei immer den Umweg des Verbots oder der Klage macht, statt einfach
zu sagen: Seht euch doch den Brunnen um, er ist unanständig, oder geht doch in
dieses Schauspiel, es ist sozialistisch, oder lest doch diesen Roman, er ist
gemein!

Inzwischen hatte ein erfinderischer Kopf, der ganz in die Absicht des
Herrn Polizeipräsidenten eingedrungen zu sein glaubte, einen Ausweg aus dieser
Schwierigkeit gefunden: eines Morgens hatte das „Buberl" eine Badehose
um. Die Polizei ließ sie freilich sofort wieder entfernen, woraus man den
g"nz richtigen Schluß zog, daß sie sich die Sache überlegt habe und ihren
Protest gegen die Nacktheit nicht mehr in vollem Maße>ufrecht erhalte. In
der That in auch seitdem nichts an dem Brunnen geschehen. Das „Buberl"
ist nackt und wird, so Gott will, nackt bleiben.

Nach der in München herrschenden Auffassung soll die ganze Hetze gegen
den Brunnen Gasteigers !von ultramontaner Seite ausgegangen sein. Man
h"be sich v bemüht, ^das ^protestantische Pfarramt oder die protestantische
Kirchenverwaltung zu einer Agitation gegen das der Matthäuskirche benach-


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[0235] Aunst und Polizei nur Rafael, sondern sogar der fromme Mönch Fra Bartvlommeo und zwar auf Altarbildern, also an heiligster Stelle, nackte Engel anzubringen pflegten. Aber woher sollte der Herr Polizeipräsident das wissen? Darnach war doch im juristischen Examen nicht gefragt worden. Und die ästhetische Bildung des Herrn Polizeipräsidenten ging offenbar nicht so weit, daß er einen nackten Buben aus Bronze von einem nackten Buben aus Fleisch und Blut Hütte unterscheiden können. In den Polizeiverordnungen giebt es eben nur Nackt¬ heit. Und Nacktheit auf offner Straße ist anstößig, mag sie aus Bronze oder aus Fleisch sein. Kurz, Herr Gasteiger sollte etwas gegen die Nacktheit thun. Was, das wußte freilich der Herr Polizeipräsident selber nicht. Er soll den Vorschlag gemacht haben, den Knaben einfach herumzudrehen, aber da fiel ihm sofort ein, daß auch die Rückseite des Menschen — wenn nackt — in gewisser Weise unanständig ist, und der Bildhauer soll gegen diesen Vorschlag bescheiden geltend gemacht haben, daß durch eine Umdrehung der Figur die Klarheit des Motivs eine gewisse Einbuße erleiden würde. Kurz, man ließ die Sache in 8U8p6Q80. Inzwischen hatte die Bewohnerschaft Münchens von dem Vorgange gehört und strömte in hellen Haufen zu dem Brunnen, um — an ihm Anstoß zu nehmen. Hatten vorher nur wenige besonders begabte Spürhunde das anstößige Knust- Werk in seinem Winkel entdeckt, so kannte es jetzt mit einem male die ganze Stadt und die Landbevölkerung der Umgegend dazu. Männlein und Weiblein und Kinder eilten in Scharen herbei und dankten im Geiste dem Herrn Polizei- Präsidenten dafür, daß er sie durch sein Verfahren zur Besichtigung dieses reizenden Werkes ermuntert und ihnen zu einem großen Kunstgenuß verholfen hatte. Man begriff mir nicht, warum in solchen und ähnlichen Fällen die Polizei immer den Umweg des Verbots oder der Klage macht, statt einfach zu sagen: Seht euch doch den Brunnen um, er ist unanständig, oder geht doch in dieses Schauspiel, es ist sozialistisch, oder lest doch diesen Roman, er ist gemein! Inzwischen hatte ein erfinderischer Kopf, der ganz in die Absicht des Herrn Polizeipräsidenten eingedrungen zu sein glaubte, einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit gefunden: eines Morgens hatte das „Buberl" eine Badehose um. Die Polizei ließ sie freilich sofort wieder entfernen, woraus man den g"nz richtigen Schluß zog, daß sie sich die Sache überlegt habe und ihren Protest gegen die Nacktheit nicht mehr in vollem Maße>ufrecht erhalte. In der That in auch seitdem nichts an dem Brunnen geschehen. Das „Buberl" ist nackt und wird, so Gott will, nackt bleiben. Nach der in München herrschenden Auffassung soll die ganze Hetze gegen den Brunnen Gasteigers !von ultramontaner Seite ausgegangen sein. Man h"be sich v bemüht, ^das ^protestantische Pfarramt oder die protestantische Kirchenverwaltung zu einer Agitation gegen das der Matthäuskirche benach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/235>, abgerufen am 25.07.2024.