Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.Das Alte Testament und der Dichter des Heliand wird der Dichter, vorausgesetzt, daß er eine fortlaufende Genesisdichtung hat Außer diesen zunächst hervortretenden Zügen weist die altsüchsische Bibel- Das Alte Testament und der Dichter des Heliand wird der Dichter, vorausgesetzt, daß er eine fortlaufende Genesisdichtung hat Außer diesen zunächst hervortretenden Zügen weist die altsüchsische Bibel- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221178"/> <fw type="header" place="top"> Das Alte Testament und der Dichter des Heliand</fw><lb/> <p xml:id="ID_612" prev="#ID_611"> wird der Dichter, vorausgesetzt, daß er eine fortlaufende Genesisdichtung hat<lb/> schaffen wollen, aus dem Inhalt der folgenden Genesiskapitel manches weg¬<lb/> gelassen haben, zum Teil weil es Anstößiges enthält (Abraham giebt dem<lb/> Abimelech sein Weib Sarah hin, als wäre es seine Schwester, Kapitel 20),<lb/> hauptsächlich aber wohl, weil es nichts Einheitliches darbot. Möglich, daß<lb/> ihn zunächst Hagar und Jsmciel in der Wüste und ihre Errettung durch Gottes<lb/> Stimme angezogen hat; wahrscheinlich, daß der Prediger christlicher Demut und<lb/> christlichen Gehorsams die Prüfung Abrahams durch die ihm von Gott auf¬<lb/> erlegte Opferung Jsaaks mit ihrer dramatisch bewegten und spannenden Hand¬<lb/> lang begierig ergriff und in seinem nächsten Gesänge den segnenden Engel<lb/> Gottes (Kapitel 22,15 sf.) ein feierliches, wirkungsvolles Amen sprechen ließ.</p><lb/> <p xml:id="ID_613" next="#ID_614"> Außer diesen zunächst hervortretenden Zügen weist die altsüchsische Bibel-<lb/> dichtnng anch in manchen Einzelwendnngen selbständige Eigentümlichkeiten ans,<lb/> die mit der germanischen Stammesart, Sitte, Mythe und Lebensanschauung<lb/> zusaunuenhängen. So leistet Abraham, ohne daß die biblische Vorlage etwas<lb/> Entsprechendes dafür böte, seinen: himmlischen Herrn mit seiner frommen Ge¬<lb/> horsamserklärung geradezu den Treuschwur des deutschen Gefolgsmannes: II<<lb/> mun Uiw LMii öviüv, ltvlcl «zu<>i Ailiorig', etui bist mi liorrc» so g'uoci, invämo<lb/> Lo innati. . . Ile lidoio bi tliinum, Isliöns . . . muot ik Un ÜAg'on un, >og,rin><lb/> Urv. sigidrolitin Acton villog.8? (Ich bin dein Eigenknecht, hold und hörig; du<lb/> bist mein guter Herr, an Gaben so mild; mein Leben ist dein Lehngut: darf<lb/> ich dich um fragen, wohin du, Siegesherr, ziehen willst?) Die Wohnstätte<lb/> des Helden heißt mit Vezng auf eine der schönsten und hervorstechendsten,<lb/> schon von Taeitus gerühmten Tugenden des deutschen Hauses der AöslMi<lb/> (Gastsaal), und wenn vom Freien die Rede ist, klingt in dem Ausdruck noch<lb/> ein deutlicher Nachklang der altgermanischen Sitte des Brautkaufs: Lig'unum<lb/> im eoxrm wo veros vit, unclor tuislc (Es begannen da die Männer unter<lb/> sich Weiber zu taufen). In der Wendung Kuiril>it> luiu 8<zol!i, Uns gsst im<lb/> guoclg-n vvss schimmert vielleicht noch die germanische Vorstellung von dem<lb/> Tode als einer Kriegsfahrt durch, wie auch das kriegerische M im Heliand<lb/> öfter für Tvdesfahrt gebraucht wird. Fährt aber die Seele anstatt des guten<lb/> Weges den bösen, so findet sie die Hölle, tun suartou deU ginon ZraäaKU,,<lb/> die gierig gähnende. Der Dichter stellt sich den Ort der Verdammnis, wie<lb/> ans einer andern Stelle hervorgeht, wie eine Polargegend zur Zeit der langen<lb/> Nacht vor, nur mit Hinzufügung großer Feuer, in die die Bewohner von<lb/> Zeit zu Zeit hineingeworfen werden. Diese Feuer aber erscheinen ihm wie<lb/> lebendige Ungeheuer, die in hungriger, unersättlicher Gier den Nachen auf¬<lb/> sperren, ihre Opfer zu empfangen; eine mythische Erinnerung an das Unheim¬<lb/> liche und Ungeheure und an die Untiere der Tiefe aus der alten germanischen<lb/> Nvlkssage klingt nach. Wie unsere Dichtung bei jeder Gelegenheit nachdrücklich<lb/> allen Zweifel an der guten Vorsehung Gottes abwehrt, ist schon hervor-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0202]
Das Alte Testament und der Dichter des Heliand
wird der Dichter, vorausgesetzt, daß er eine fortlaufende Genesisdichtung hat
schaffen wollen, aus dem Inhalt der folgenden Genesiskapitel manches weg¬
gelassen haben, zum Teil weil es Anstößiges enthält (Abraham giebt dem
Abimelech sein Weib Sarah hin, als wäre es seine Schwester, Kapitel 20),
hauptsächlich aber wohl, weil es nichts Einheitliches darbot. Möglich, daß
ihn zunächst Hagar und Jsmciel in der Wüste und ihre Errettung durch Gottes
Stimme angezogen hat; wahrscheinlich, daß der Prediger christlicher Demut und
christlichen Gehorsams die Prüfung Abrahams durch die ihm von Gott auf¬
erlegte Opferung Jsaaks mit ihrer dramatisch bewegten und spannenden Hand¬
lang begierig ergriff und in seinem nächsten Gesänge den segnenden Engel
Gottes (Kapitel 22,15 sf.) ein feierliches, wirkungsvolles Amen sprechen ließ.
Außer diesen zunächst hervortretenden Zügen weist die altsüchsische Bibel-
dichtnng anch in manchen Einzelwendnngen selbständige Eigentümlichkeiten ans,
die mit der germanischen Stammesart, Sitte, Mythe und Lebensanschauung
zusaunuenhängen. So leistet Abraham, ohne daß die biblische Vorlage etwas
Entsprechendes dafür böte, seinen: himmlischen Herrn mit seiner frommen Ge¬
horsamserklärung geradezu den Treuschwur des deutschen Gefolgsmannes: II<
mun Uiw LMii öviüv, ltvlcl «zu<>i Ailiorig', etui bist mi liorrc» so g'uoci, invämo
Lo innati. . . Ile lidoio bi tliinum, Isliöns . . . muot ik Un ÜAg'on un, >og,rin>
Urv. sigidrolitin Acton villog.8? (Ich bin dein Eigenknecht, hold und hörig; du
bist mein guter Herr, an Gaben so mild; mein Leben ist dein Lehngut: darf
ich dich um fragen, wohin du, Siegesherr, ziehen willst?) Die Wohnstätte
des Helden heißt mit Vezng auf eine der schönsten und hervorstechendsten,
schon von Taeitus gerühmten Tugenden des deutschen Hauses der AöslMi
(Gastsaal), und wenn vom Freien die Rede ist, klingt in dem Ausdruck noch
ein deutlicher Nachklang der altgermanischen Sitte des Brautkaufs: Lig'unum
im eoxrm wo veros vit, unclor tuislc (Es begannen da die Männer unter
sich Weiber zu taufen). In der Wendung Kuiril>it> luiu 8<zol!i, Uns gsst im
guoclg-n vvss schimmert vielleicht noch die germanische Vorstellung von dem
Tode als einer Kriegsfahrt durch, wie auch das kriegerische M im Heliand
öfter für Tvdesfahrt gebraucht wird. Fährt aber die Seele anstatt des guten
Weges den bösen, so findet sie die Hölle, tun suartou deU ginon ZraäaKU,,
die gierig gähnende. Der Dichter stellt sich den Ort der Verdammnis, wie
ans einer andern Stelle hervorgeht, wie eine Polargegend zur Zeit der langen
Nacht vor, nur mit Hinzufügung großer Feuer, in die die Bewohner von
Zeit zu Zeit hineingeworfen werden. Diese Feuer aber erscheinen ihm wie
lebendige Ungeheuer, die in hungriger, unersättlicher Gier den Nachen auf¬
sperren, ihre Opfer zu empfangen; eine mythische Erinnerung an das Unheim¬
liche und Ungeheure und an die Untiere der Tiefe aus der alten germanischen
Nvlkssage klingt nach. Wie unsere Dichtung bei jeder Gelegenheit nachdrücklich
allen Zweifel an der guten Vorsehung Gottes abwehrt, ist schon hervor-
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