Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

ist. Je zlvci solcher Kurzverse werden um durch den gleichen Stabreim zu
einer metrischen Einheit verbunden, zu der germanischenLangzeile, in der für
gewöhnlich die zwei Hebungen des ersten Knrzverses mit der ersten des zweiten
den gleichen Stab tragen.


[Beginn Spaltensatz]
[Spaltenumbruch]
[Ende Spaltensatz]

lautet ein Vers des Heliand. Man muß sich heute, wo >ins durch die gnanti-
tireude Metrik der klassischen Sprachen noch immer das eingeborne Gefühl
unsrer heimischen Betvuuugsgesetze verwirrt ist, förmlich erst ans sich selbst be¬
sinnen, um die völlige innere Übereinstimmung zwischen dieser Aeeentuirnng
und unsrer natürlichen Sprechweise zu erkennen. Hat man es aber einmal
dazu gebracht, dann gleiten und hüpfen, springen und finden diese Verse dahin
wie die beweglichen Wellen eines Bachs, der bald sanft im Thale fließt, bald
schänmend und brausend sich über Fels und Gerölle stürzt. Wie diese äußere
Form, das alte angestammte Erbe unsrer unvermischten Volksdichtung, so
trägt auch der sprachliche Ausdruck des altsächsischen Epos die deutlichen Kenn¬
zeichen unsers germanischen Stils. Seine reiche Fülle fest geprägter Formeln
und thpischer Wendungen giebt sich sofort als Gemeingut unsrer ältesten Poesie
kund. Die Ausdrücke für Kampf und Sturm, Wehr und Waffe, Herr und
Gefolgsmann werden natürlich, weil sie im Mittelpunkte des altgermanischen
Lebens standen, von diesen schmückenden Umschreibungen hauptsächlich betroffen.
So bezeichnet der Heliand den König als wöäomgödu, Kleinodspender, do^gvbv,
Niugspender, iKslZobo, Ratgeber; den Krieger als Kvlmdsrimü, Helmträger,
und >v!l,port>(Muä, Wasserträger; den Kampf selbst als vuMo "xil und wu-xue"
"ü>, und die Verwendung dieses Formelschatzes ist stehend, wie im griechischen
Epos. Es ist klar, daß dieser hergebrachte Stil, über den eine im ganzen
Volke verbreitete Kuustkeuntnis getreulich wachte, eine sattelfeste Technik er¬
forderte, die gelernt und geübt sei" wollte. Und über sie, mag er sonst sein,
was er wollte, verfügte der Dichter des Heliand im vollsten Maße. Er steht
durchaus unter dem helfenden Segen dieser volkstümlichen Überlieferung, auch
ein berufsmäßiger Säuger der alten Sachsen, ein se-op, wie er in ihrer
Sprache hieß, hätte seiue Aufgabe schwerlich besser und knnstmäßiger lösen
können.

Alles in allem haben wir also in der altsächsischen Helianddichtmig, trotz
des geistlichen Inhalts, ein Denkmal germanischen Gemüts, Geistes und Fvrm-
sinns, wie wir es reiner und unverfälschter nur noch im Hildebrandsliede und
im angelsächsischen Beowulf aufbewahrt haben. Diese germanische Eigenart
im mühsamen Ringkampf mit der fremden Welt- und Lebensanschauung des
jungen Christentums zu sehen, machte dies Werk des christlichen Germanen,
des volkstümlichen Geistlichen, doppelt anziehend. Nun hatten sich -- so ließ
das frohe Heureka! aus Rom erwarten -- aus derselben Zeit, vielleicht ans


ist. Je zlvci solcher Kurzverse werden um durch den gleichen Stabreim zu
einer metrischen Einheit verbunden, zu der germanischenLangzeile, in der für
gewöhnlich die zwei Hebungen des ersten Knrzverses mit der ersten des zweiten
den gleichen Stab tragen.


[Beginn Spaltensatz]
[Spaltenumbruch]
[Ende Spaltensatz]

lautet ein Vers des Heliand. Man muß sich heute, wo >ins durch die gnanti-
tireude Metrik der klassischen Sprachen noch immer das eingeborne Gefühl
unsrer heimischen Betvuuugsgesetze verwirrt ist, förmlich erst ans sich selbst be¬
sinnen, um die völlige innere Übereinstimmung zwischen dieser Aeeentuirnng
und unsrer natürlichen Sprechweise zu erkennen. Hat man es aber einmal
dazu gebracht, dann gleiten und hüpfen, springen und finden diese Verse dahin
wie die beweglichen Wellen eines Bachs, der bald sanft im Thale fließt, bald
schänmend und brausend sich über Fels und Gerölle stürzt. Wie diese äußere
Form, das alte angestammte Erbe unsrer unvermischten Volksdichtung, so
trägt auch der sprachliche Ausdruck des altsächsischen Epos die deutlichen Kenn¬
zeichen unsers germanischen Stils. Seine reiche Fülle fest geprägter Formeln
und thpischer Wendungen giebt sich sofort als Gemeingut unsrer ältesten Poesie
kund. Die Ausdrücke für Kampf und Sturm, Wehr und Waffe, Herr und
Gefolgsmann werden natürlich, weil sie im Mittelpunkte des altgermanischen
Lebens standen, von diesen schmückenden Umschreibungen hauptsächlich betroffen.
So bezeichnet der Heliand den König als wöäomgödu, Kleinodspender, do^gvbv,
Niugspender, iKslZobo, Ratgeber; den Krieger als Kvlmdsrimü, Helmträger,
und >v!l,port>(Muä, Wasserträger; den Kampf selbst als vuMo «xil und wu-xue»
ȟ>, und die Verwendung dieses Formelschatzes ist stehend, wie im griechischen
Epos. Es ist klar, daß dieser hergebrachte Stil, über den eine im ganzen
Volke verbreitete Kuustkeuntnis getreulich wachte, eine sattelfeste Technik er¬
forderte, die gelernt und geübt sei« wollte. Und über sie, mag er sonst sein,
was er wollte, verfügte der Dichter des Heliand im vollsten Maße. Er steht
durchaus unter dem helfenden Segen dieser volkstümlichen Überlieferung, auch
ein berufsmäßiger Säuger der alten Sachsen, ein se-op, wie er in ihrer
Sprache hieß, hätte seiue Aufgabe schwerlich besser und knnstmäßiger lösen
können.

Alles in allem haben wir also in der altsächsischen Helianddichtmig, trotz
des geistlichen Inhalts, ein Denkmal germanischen Gemüts, Geistes und Fvrm-
sinns, wie wir es reiner und unverfälschter nur noch im Hildebrandsliede und
im angelsächsischen Beowulf aufbewahrt haben. Diese germanische Eigenart
im mühsamen Ringkampf mit der fremden Welt- und Lebensanschauung des
jungen Christentums zu sehen, machte dies Werk des christlichen Germanen,
des volkstümlichen Geistlichen, doppelt anziehend. Nun hatten sich — so ließ
das frohe Heureka! aus Rom erwarten — aus derselben Zeit, vielleicht ans


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221166"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_580" prev="#ID_579"> ist. Je zlvci solcher Kurzverse werden um durch den gleichen Stabreim zu<lb/>
einer metrischen Einheit verbunden, zu der germanischenLangzeile, in der für<lb/>
gewöhnlich die zwei Hebungen des ersten Knrzverses mit der ersten des zweiten<lb/>
den gleichen Stab tragen.</p><lb/>
          <cb type="start"/>
          <lg xml:id="POEMID_3" type="poem">
            <l/>
          </lg>
          <cb/><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_4" type="poem">
            <l/>
          </lg>
          <cb type="end"/><lb/>
          <p xml:id="ID_581"> lautet ein Vers des Heliand. Man muß sich heute, wo &gt;ins durch die gnanti-<lb/>
tireude Metrik der klassischen Sprachen noch immer das eingeborne Gefühl<lb/>
unsrer heimischen Betvuuugsgesetze verwirrt ist, förmlich erst ans sich selbst be¬<lb/>
sinnen, um die völlige innere Übereinstimmung zwischen dieser Aeeentuirnng<lb/>
und unsrer natürlichen Sprechweise zu erkennen. Hat man es aber einmal<lb/>
dazu gebracht, dann gleiten und hüpfen, springen und finden diese Verse dahin<lb/>
wie die beweglichen Wellen eines Bachs, der bald sanft im Thale fließt, bald<lb/>
schänmend und brausend sich über Fels und Gerölle stürzt. Wie diese äußere<lb/>
Form, das alte angestammte Erbe unsrer unvermischten Volksdichtung, so<lb/>
trägt auch der sprachliche Ausdruck des altsächsischen Epos die deutlichen Kenn¬<lb/>
zeichen unsers germanischen Stils. Seine reiche Fülle fest geprägter Formeln<lb/>
und thpischer Wendungen giebt sich sofort als Gemeingut unsrer ältesten Poesie<lb/>
kund. Die Ausdrücke für Kampf und Sturm, Wehr und Waffe, Herr und<lb/>
Gefolgsmann werden natürlich, weil sie im Mittelpunkte des altgermanischen<lb/>
Lebens standen, von diesen schmückenden Umschreibungen hauptsächlich betroffen.<lb/>
So bezeichnet der Heliand den König als wöäomgödu, Kleinodspender, do^gvbv,<lb/>
Niugspender, iKslZobo, Ratgeber; den Krieger als Kvlmdsrimü, Helmträger,<lb/>
und &gt;v!l,port&gt;(Muä, Wasserträger; den Kampf selbst als vuMo «xil und wu-xue»<lb/>
ȟ&gt;, und die Verwendung dieses Formelschatzes ist stehend, wie im griechischen<lb/>
Epos. Es ist klar, daß dieser hergebrachte Stil, über den eine im ganzen<lb/>
Volke verbreitete Kuustkeuntnis getreulich wachte, eine sattelfeste Technik er¬<lb/>
forderte, die gelernt und geübt sei« wollte. Und über sie, mag er sonst sein,<lb/>
was er wollte, verfügte der Dichter des Heliand im vollsten Maße. Er steht<lb/>
durchaus unter dem helfenden Segen dieser volkstümlichen Überlieferung, auch<lb/>
ein berufsmäßiger Säuger der alten Sachsen, ein se-op, wie er in ihrer<lb/>
Sprache hieß, hätte seiue Aufgabe schwerlich besser und knnstmäßiger lösen<lb/>
können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_582" next="#ID_583"> Alles in allem haben wir also in der altsächsischen Helianddichtmig, trotz<lb/>
des geistlichen Inhalts, ein Denkmal germanischen Gemüts, Geistes und Fvrm-<lb/>
sinns, wie wir es reiner und unverfälschter nur noch im Hildebrandsliede und<lb/>
im angelsächsischen Beowulf aufbewahrt haben. Diese germanische Eigenart<lb/>
im mühsamen Ringkampf mit der fremden Welt- und Lebensanschauung des<lb/>
jungen Christentums zu sehen, machte dies Werk des christlichen Germanen,<lb/>
des volkstümlichen Geistlichen, doppelt anziehend. Nun hatten sich &#x2014; so ließ<lb/>
das frohe Heureka! aus Rom erwarten &#x2014; aus derselben Zeit, vielleicht ans</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] ist. Je zlvci solcher Kurzverse werden um durch den gleichen Stabreim zu einer metrischen Einheit verbunden, zu der germanischenLangzeile, in der für gewöhnlich die zwei Hebungen des ersten Knrzverses mit der ersten des zweiten den gleichen Stab tragen. lautet ein Vers des Heliand. Man muß sich heute, wo >ins durch die gnanti- tireude Metrik der klassischen Sprachen noch immer das eingeborne Gefühl unsrer heimischen Betvuuugsgesetze verwirrt ist, förmlich erst ans sich selbst be¬ sinnen, um die völlige innere Übereinstimmung zwischen dieser Aeeentuirnng und unsrer natürlichen Sprechweise zu erkennen. Hat man es aber einmal dazu gebracht, dann gleiten und hüpfen, springen und finden diese Verse dahin wie die beweglichen Wellen eines Bachs, der bald sanft im Thale fließt, bald schänmend und brausend sich über Fels und Gerölle stürzt. Wie diese äußere Form, das alte angestammte Erbe unsrer unvermischten Volksdichtung, so trägt auch der sprachliche Ausdruck des altsächsischen Epos die deutlichen Kenn¬ zeichen unsers germanischen Stils. Seine reiche Fülle fest geprägter Formeln und thpischer Wendungen giebt sich sofort als Gemeingut unsrer ältesten Poesie kund. Die Ausdrücke für Kampf und Sturm, Wehr und Waffe, Herr und Gefolgsmann werden natürlich, weil sie im Mittelpunkte des altgermanischen Lebens standen, von diesen schmückenden Umschreibungen hauptsächlich betroffen. So bezeichnet der Heliand den König als wöäomgödu, Kleinodspender, do^gvbv, Niugspender, iKslZobo, Ratgeber; den Krieger als Kvlmdsrimü, Helmträger, und >v!l,port>(Muä, Wasserträger; den Kampf selbst als vuMo «xil und wu-xue» »ü>, und die Verwendung dieses Formelschatzes ist stehend, wie im griechischen Epos. Es ist klar, daß dieser hergebrachte Stil, über den eine im ganzen Volke verbreitete Kuustkeuntnis getreulich wachte, eine sattelfeste Technik er¬ forderte, die gelernt und geübt sei« wollte. Und über sie, mag er sonst sein, was er wollte, verfügte der Dichter des Heliand im vollsten Maße. Er steht durchaus unter dem helfenden Segen dieser volkstümlichen Überlieferung, auch ein berufsmäßiger Säuger der alten Sachsen, ein se-op, wie er in ihrer Sprache hieß, hätte seiue Aufgabe schwerlich besser und knnstmäßiger lösen können. Alles in allem haben wir also in der altsächsischen Helianddichtmig, trotz des geistlichen Inhalts, ein Denkmal germanischen Gemüts, Geistes und Fvrm- sinns, wie wir es reiner und unverfälschter nur noch im Hildebrandsliede und im angelsächsischen Beowulf aufbewahrt haben. Diese germanische Eigenart im mühsamen Ringkampf mit der fremden Welt- und Lebensanschauung des jungen Christentums zu sehen, machte dies Werk des christlichen Germanen, des volkstümlichen Geistlichen, doppelt anziehend. Nun hatten sich — so ließ das frohe Heureka! aus Rom erwarten — aus derselben Zeit, vielleicht ans

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/190>, abgerufen am 24.07.2024.