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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Heimat und volkstnm

arbeitung ficht es nicht zum besten aus, wenigstens ist außer den grundlegenden
Riehlschen Arbeiten und einigen Einzelwerken, wie dem Marschculmch von
Hermann Allmers, nichts in weitere Kreise gedrungen. Was für dankenswerte
Gaben an das deutsche Volk eine ganze Reihe solcher Stammesmonographien
Ware, wie Riehl eine in seinen "Pfälzern" geliefert hat, braucht man wohl nicht
auseinanderzusetzen, aber unsre junge Gelehrten haben sich meist zu tief in
Einzeluntersuchungen eingelassen, auch deu hier durchaus notwendigen Zn-
sanuneuhcmg mit Heimat und Volkstum verloren und sind in der Regel auch
zu schlechte Schriftsteller, als daß sie so etwas versuchen konnten. Unter Um¬
ständen hilft eine Dilettantenarbeit ans, wenn nur der Dilettant im Volke
wurzelt und ein Herz für das Volk hat; so ist z. V. ein 1858 erschienenes
Werk des Wandsbecker Pastors A. U. Hansen, das folgenden laugen Titel
führt: "Charakterbilder aus den Herzogtümern Schleswig, Holstein und Lauen-
burg, den Hansestädten Hamburg und Lübeck wie dein Fürstentum Lübeck, be¬
treffend das Laud und seine Gestaltungen, das Volk und sein Werden, sein
Leben, seine Sprache, seine Einrichtungen und Zierden, entworfen für das
Volk," trotz zahlreicher Einseitigkeiten und Irrtümer ein vortreffliches Buch
n"d selbst nach der Seite des Sozialen, das einen Pfarrer damals noch nicht
zu kümmern brauchte, musterhaft. Ähnliche Werke mögen in geringer Anzahl
auch anderswo geschrieben worden sein, aber nur wenige kennen sie, die
Volkskunde ist nirgends recht Volkssache geworden, man hat sie nicht ins Volk
zurückgetragen, obwohl das Interesse dafür immer vorhanden war und auch
heute uoch ist. Natürlich ist es viel wichtiger, das Volk politisch aufzuklären!
Aber vielleicht wird man doch eines Tages in Deutschland erkennen, daß es
nötig ist, gegen den zentralisirenden Zug im deutschen Volksleben, zumal mit
Berlin als Zentrum, ein Gegengewicht zu schaffen oder zu erhalten und ebenso
gegen deu demokratisirendeu Zug, insoweit beide überall die Fülle der Er¬
scheinungen, Farbe, Duft, Poesie und leider auch die Zufriedenheit und jeg¬
liches Lebensbehagen zerstören. Man kann ein guter Reichsdeutscher sein,
ohne doch alle Regungen des schwäbischen Stammesstvlzes zu verdammen,
man kann auch ein überzeugter Demokrat sein, ohne an jedem Adelstitel und
Wappenschilde Anstoß zu nehmen, man kann vor allem ein wirklich sozial
gesinnter Mann sein, ohne dem öden Nützlichkeitsprinzip der Sozialdemokratin'
zu huldigen. Zu viel geschichtlichen Ballast mit sich zu schleppen, ist zwar
weder einem Volke uoch dem Einzelnen gut, aber ewiger Radikalismus führt
zu nichts, und wo das Gcwordne auf natürlicher Grundlage steht, noch immer
steht, da ist es zu achten, es verschafft sich übrigens auch selber, so oder so,
Achtung. Solch ein natürlich Gewordnes und sich immer Erneueudes ist das
Volkstum, das Stammesvolkstum, aus dem das Nationalgefühl in dein
früh vorhandnen Bewußtsein des Zusammenstimmenden der einzelnen Stämme
natürlich entspringt und durch Arbeit im Dienste des nationale" Gedankens


Heimat und volkstnm

arbeitung ficht es nicht zum besten aus, wenigstens ist außer den grundlegenden
Riehlschen Arbeiten und einigen Einzelwerken, wie dem Marschculmch von
Hermann Allmers, nichts in weitere Kreise gedrungen. Was für dankenswerte
Gaben an das deutsche Volk eine ganze Reihe solcher Stammesmonographien
Ware, wie Riehl eine in seinen „Pfälzern" geliefert hat, braucht man wohl nicht
auseinanderzusetzen, aber unsre junge Gelehrten haben sich meist zu tief in
Einzeluntersuchungen eingelassen, auch deu hier durchaus notwendigen Zn-
sanuneuhcmg mit Heimat und Volkstum verloren und sind in der Regel auch
zu schlechte Schriftsteller, als daß sie so etwas versuchen konnten. Unter Um¬
ständen hilft eine Dilettantenarbeit ans, wenn nur der Dilettant im Volke
wurzelt und ein Herz für das Volk hat; so ist z. V. ein 1858 erschienenes
Werk des Wandsbecker Pastors A. U. Hansen, das folgenden laugen Titel
führt: „Charakterbilder aus den Herzogtümern Schleswig, Holstein und Lauen-
burg, den Hansestädten Hamburg und Lübeck wie dein Fürstentum Lübeck, be¬
treffend das Laud und seine Gestaltungen, das Volk und sein Werden, sein
Leben, seine Sprache, seine Einrichtungen und Zierden, entworfen für das
Volk," trotz zahlreicher Einseitigkeiten und Irrtümer ein vortreffliches Buch
n»d selbst nach der Seite des Sozialen, das einen Pfarrer damals noch nicht
zu kümmern brauchte, musterhaft. Ähnliche Werke mögen in geringer Anzahl
auch anderswo geschrieben worden sein, aber nur wenige kennen sie, die
Volkskunde ist nirgends recht Volkssache geworden, man hat sie nicht ins Volk
zurückgetragen, obwohl das Interesse dafür immer vorhanden war und auch
heute uoch ist. Natürlich ist es viel wichtiger, das Volk politisch aufzuklären!
Aber vielleicht wird man doch eines Tages in Deutschland erkennen, daß es
nötig ist, gegen den zentralisirenden Zug im deutschen Volksleben, zumal mit
Berlin als Zentrum, ein Gegengewicht zu schaffen oder zu erhalten und ebenso
gegen deu demokratisirendeu Zug, insoweit beide überall die Fülle der Er¬
scheinungen, Farbe, Duft, Poesie und leider auch die Zufriedenheit und jeg¬
liches Lebensbehagen zerstören. Man kann ein guter Reichsdeutscher sein,
ohne doch alle Regungen des schwäbischen Stammesstvlzes zu verdammen,
man kann auch ein überzeugter Demokrat sein, ohne an jedem Adelstitel und
Wappenschilde Anstoß zu nehmen, man kann vor allem ein wirklich sozial
gesinnter Mann sein, ohne dem öden Nützlichkeitsprinzip der Sozialdemokratin'
zu huldigen. Zu viel geschichtlichen Ballast mit sich zu schleppen, ist zwar
weder einem Volke uoch dem Einzelnen gut, aber ewiger Radikalismus führt
zu nichts, und wo das Gcwordne auf natürlicher Grundlage steht, noch immer
steht, da ist es zu achten, es verschafft sich übrigens auch selber, so oder so,
Achtung. Solch ein natürlich Gewordnes und sich immer Erneueudes ist das
Volkstum, das Stammesvolkstum, aus dem das Nationalgefühl in dein
früh vorhandnen Bewußtsein des Zusammenstimmenden der einzelnen Stämme
natürlich entspringt und durch Arbeit im Dienste des nationale» Gedankens


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[0186] Heimat und volkstnm arbeitung ficht es nicht zum besten aus, wenigstens ist außer den grundlegenden Riehlschen Arbeiten und einigen Einzelwerken, wie dem Marschculmch von Hermann Allmers, nichts in weitere Kreise gedrungen. Was für dankenswerte Gaben an das deutsche Volk eine ganze Reihe solcher Stammesmonographien Ware, wie Riehl eine in seinen „Pfälzern" geliefert hat, braucht man wohl nicht auseinanderzusetzen, aber unsre junge Gelehrten haben sich meist zu tief in Einzeluntersuchungen eingelassen, auch deu hier durchaus notwendigen Zn- sanuneuhcmg mit Heimat und Volkstum verloren und sind in der Regel auch zu schlechte Schriftsteller, als daß sie so etwas versuchen konnten. Unter Um¬ ständen hilft eine Dilettantenarbeit ans, wenn nur der Dilettant im Volke wurzelt und ein Herz für das Volk hat; so ist z. V. ein 1858 erschienenes Werk des Wandsbecker Pastors A. U. Hansen, das folgenden laugen Titel führt: „Charakterbilder aus den Herzogtümern Schleswig, Holstein und Lauen- burg, den Hansestädten Hamburg und Lübeck wie dein Fürstentum Lübeck, be¬ treffend das Laud und seine Gestaltungen, das Volk und sein Werden, sein Leben, seine Sprache, seine Einrichtungen und Zierden, entworfen für das Volk," trotz zahlreicher Einseitigkeiten und Irrtümer ein vortreffliches Buch n»d selbst nach der Seite des Sozialen, das einen Pfarrer damals noch nicht zu kümmern brauchte, musterhaft. Ähnliche Werke mögen in geringer Anzahl auch anderswo geschrieben worden sein, aber nur wenige kennen sie, die Volkskunde ist nirgends recht Volkssache geworden, man hat sie nicht ins Volk zurückgetragen, obwohl das Interesse dafür immer vorhanden war und auch heute uoch ist. Natürlich ist es viel wichtiger, das Volk politisch aufzuklären! Aber vielleicht wird man doch eines Tages in Deutschland erkennen, daß es nötig ist, gegen den zentralisirenden Zug im deutschen Volksleben, zumal mit Berlin als Zentrum, ein Gegengewicht zu schaffen oder zu erhalten und ebenso gegen deu demokratisirendeu Zug, insoweit beide überall die Fülle der Er¬ scheinungen, Farbe, Duft, Poesie und leider auch die Zufriedenheit und jeg¬ liches Lebensbehagen zerstören. Man kann ein guter Reichsdeutscher sein, ohne doch alle Regungen des schwäbischen Stammesstvlzes zu verdammen, man kann auch ein überzeugter Demokrat sein, ohne an jedem Adelstitel und Wappenschilde Anstoß zu nehmen, man kann vor allem ein wirklich sozial gesinnter Mann sein, ohne dem öden Nützlichkeitsprinzip der Sozialdemokratin' zu huldigen. Zu viel geschichtlichen Ballast mit sich zu schleppen, ist zwar weder einem Volke uoch dem Einzelnen gut, aber ewiger Radikalismus führt zu nichts, und wo das Gcwordne auf natürlicher Grundlage steht, noch immer steht, da ist es zu achten, es verschafft sich übrigens auch selber, so oder so, Achtung. Solch ein natürlich Gewordnes und sich immer Erneueudes ist das Volkstum, das Stammesvolkstum, aus dem das Nationalgefühl in dein früh vorhandnen Bewußtsein des Zusammenstimmenden der einzelnen Stämme natürlich entspringt und durch Arbeit im Dienste des nationale» Gedankens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/186>, abgerufen am 24.07.2024.