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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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von 1848, dein kurze Mitteilungen über einunddreißig der hervorragendsten
Redner beigefügt sind.") Der Verfasser sieht in diesem Frankfurter Parlament
die glänzendste Versammlung, die die Welt je gesehen habe, neben deren staats¬
männischen und rednerischen Größen die französische Nationalversammlung von
1789 bis 1792 nicht genannt werden könne. Aber so liegt die Sache doch
wohl nicht. Denn wo wären denn die Erfolge aller dieser Größen! Die Er¬
innerungsfeste, von denen wir ausgingen, zeigen uns wohl am besten, wie wir
diese Verhandlungen von 1848 jetzt anzusehen haben. Politisch lernen wir
aus ihnen kaum noch etwas, so sehr hat sich die Welt geändert, und so ganz
andre Wege ist unsre Zeit gegangen; aber geschichtlich sind sie höchst merk¬
würdig, namentlich sür den, der an sie und ihre Zeit noch eine persönliche
Erinnerung bewahrt. Denn dem Geschlecht, das nach 1870 herangewachsen
ist, wird die Sprache der Redner und Gesetzgeber von 1348 schon fremdartig
klingen, und vieles von dem, was in diesem hübschen Buche steht, wird ihm
kaum noch verständlich sein. Derer aber, die damals die Geschichte mit machen
halsen, sind jetzt nur uoch wenige, und schon wir andern, in deren Kinder¬
jahre diese Ereignisse fielen, gehören nicht mehr zu den Jungen. In An¬
betracht alles dessen hätte der Verfasser vielleicht gut gethan, statt der einzelnen
Gesetzes- und Verfaffungsentwürfe, aus denen allen ja doch nichts geworden
ist, kurze Auszüge, statt einzelner ganzer Reden besonders ausgezeichnete Teile
aus mehreren zu geben und alles das durch eine geschichtliche Darstellung zu
verbinden und dadurch den Leser auf den Eindruck hinzuführen, den auf ihn,
wie wir gesehen haben, jene Versammlung gemacht hat. Aber er giebt nur
das Material und damit uns die Freiheit, für unsre Betrachtungen uns den
Weg darin zu suchen.

Wie merkwürdig ist es nun, daß in einer zahlreichen, glänzenden Ver¬
sammlung an sich so hochbegabter Männer und unter so vielen geschriebnen
und gesprochnen Worten -- der Band hat 832 Seiten! -- fo außerordentlich
wenig einfache Einsicht in die Thatsachen zu finden ist! Alle ihre Erörterungen
fangen sozusagen mit der Erschaffung der Welt an, und kaum haben sie be¬
gonnen, so sind sie auch schon von den Ereignissen überholt. Trotzdem redet
und beschließt die Versammlung weiter, eine "Universität, wo eine sehr lang¬
weilige Politik gelesen wird," wie L. Simon (aus Trier) richtig sagt. Aber
leider ist seine eigne Politik auch nicht mehr wert, wenn er als echter Doktrinär
bedauert, daß man "Frankreich ignorirt, die freie Schweiz beleidigt und die
Sympathien Amerikas verscherzt" (16. Oktober 1848), lauter Dinge, deren
Wertlosigkeit für Deutschland einzusehen es schon damals, so sollte man meinen,
keiner besondern Weisheit bedurft hätte.



*) Reden und Redner des ersten deutschen Parlament. Von Dr. Georg
Mollnt. XVI und 332 Seiten. Osterwieck am Harz, Zickfeldt.

von 1848, dein kurze Mitteilungen über einunddreißig der hervorragendsten
Redner beigefügt sind.") Der Verfasser sieht in diesem Frankfurter Parlament
die glänzendste Versammlung, die die Welt je gesehen habe, neben deren staats¬
männischen und rednerischen Größen die französische Nationalversammlung von
1789 bis 1792 nicht genannt werden könne. Aber so liegt die Sache doch
wohl nicht. Denn wo wären denn die Erfolge aller dieser Größen! Die Er¬
innerungsfeste, von denen wir ausgingen, zeigen uns wohl am besten, wie wir
diese Verhandlungen von 1848 jetzt anzusehen haben. Politisch lernen wir
aus ihnen kaum noch etwas, so sehr hat sich die Welt geändert, und so ganz
andre Wege ist unsre Zeit gegangen; aber geschichtlich sind sie höchst merk¬
würdig, namentlich sür den, der an sie und ihre Zeit noch eine persönliche
Erinnerung bewahrt. Denn dem Geschlecht, das nach 1870 herangewachsen
ist, wird die Sprache der Redner und Gesetzgeber von 1348 schon fremdartig
klingen, und vieles von dem, was in diesem hübschen Buche steht, wird ihm
kaum noch verständlich sein. Derer aber, die damals die Geschichte mit machen
halsen, sind jetzt nur uoch wenige, und schon wir andern, in deren Kinder¬
jahre diese Ereignisse fielen, gehören nicht mehr zu den Jungen. In An¬
betracht alles dessen hätte der Verfasser vielleicht gut gethan, statt der einzelnen
Gesetzes- und Verfaffungsentwürfe, aus denen allen ja doch nichts geworden
ist, kurze Auszüge, statt einzelner ganzer Reden besonders ausgezeichnete Teile
aus mehreren zu geben und alles das durch eine geschichtliche Darstellung zu
verbinden und dadurch den Leser auf den Eindruck hinzuführen, den auf ihn,
wie wir gesehen haben, jene Versammlung gemacht hat. Aber er giebt nur
das Material und damit uns die Freiheit, für unsre Betrachtungen uns den
Weg darin zu suchen.

Wie merkwürdig ist es nun, daß in einer zahlreichen, glänzenden Ver¬
sammlung an sich so hochbegabter Männer und unter so vielen geschriebnen
und gesprochnen Worten — der Band hat 832 Seiten! — fo außerordentlich
wenig einfache Einsicht in die Thatsachen zu finden ist! Alle ihre Erörterungen
fangen sozusagen mit der Erschaffung der Welt an, und kaum haben sie be¬
gonnen, so sind sie auch schon von den Ereignissen überholt. Trotzdem redet
und beschließt die Versammlung weiter, eine „Universität, wo eine sehr lang¬
weilige Politik gelesen wird," wie L. Simon (aus Trier) richtig sagt. Aber
leider ist seine eigne Politik auch nicht mehr wert, wenn er als echter Doktrinär
bedauert, daß man „Frankreich ignorirt, die freie Schweiz beleidigt und die
Sympathien Amerikas verscherzt" (16. Oktober 1848), lauter Dinge, deren
Wertlosigkeit für Deutschland einzusehen es schon damals, so sollte man meinen,
keiner besondern Weisheit bedurft hätte.



*) Reden und Redner des ersten deutschen Parlament. Von Dr. Georg
Mollnt. XVI und 332 Seiten. Osterwieck am Harz, Zickfeldt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/138>, abgerufen am 04.07.2024.