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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Redner der Paulskirche

wei Länder, die nach ihrer staatlichen Entwicklung in neuerer
Zeit viel mit einander verglichen wurden sind, Deutschland und
Italien, haben vor kurzem große Feste gefeiert zur Erinnerung
an die Ereignisse, die vor einem Vierteljahrhundert ihre politische
Einigung herbeiführten. Aber wie verschieden waren doch die
Ereignisse hier und dort, wie verschieden das Verhältnis der beiderseitigen
Festgenosseu zu dem Inhalt der Feier! Die Italiener verdanken ihren Ein¬
heitsstaat abgesehen von den Fehlern, die Österreich bis zum Jahre 1866
machte, den Waffen ihrer französischen Bundesgenossen von 185V. Diese
konnte mau nun freilich bei einem Feste, das der eignen Nation gelten sollte,
nicht zu ihrem geschichtlichen Rechte kommen lassen. Aber die eigne, auf keinem
Schlachtfelde endgiltig erprobte Armee konnte doch auch uur im Hintergründe
Parade machen. So blieben für das patriotische Bedürfnis und zur mili¬
tärischen Schaustellung nur die wenigen Veteranen übrig, namentlich die in
Italien allezeit beliebten Garibaldianer mit ihrem theatralischen Aufputz. Dabei
konnte man denn weiter auch in Denkmälern und Reden die Staatsmänner,
die Dichter und Patrioten wieder aufleben lassen. Sie hatten ja freilich das
einige Italien nicht wirklich gemacht, aber es war doch tröstlich, in der Er¬
innerung an sie der fremden Hilfe vergessen zu können. Anders bei uns in
Deutschland. Wir sahen eine Reihe einfacher, wesentlich militärischer Feste,
wie sie zu der mit eigner Kraft vollbrachten That paßten. Man suchte dabei
alle, die aus jenen Tagen noch am Leben sind, zu ehren, jeden nach seinem
Verdienst, und in diesem Wunsche waren alle einig, vom Kaiser bis zum
geringsten Mann in seinem Krieger- oder Bezirksverein. Das alles galt den
Ereignissen vos 1870 und 1871. Auch auf das Jahr 1866, selbst auf 1864
siel dabei mit Genugthuung mancher vergleichende Blick. Weiter aber ist
man nicht in seinen Erinnerungen zurückgegangen. Die Reihe der Jahre rück¬
wärts bis 1848 fiel -- wiederum anders als in Italien -- diesmal bei
uns aus.

Zu rechter Zeit scheint darum gerade jetzt ein neues Buch uns die ver¬
gessenen Jahre ins Gedächtnis zu rufen, ein stattlicher Band mit einer Aus¬
wahl von Vorlagen, Reden und Beschlüssen aus dem ersten deutschen Parlament


Grenzbvw" IV IWö , 17


Die Redner der Paulskirche

wei Länder, die nach ihrer staatlichen Entwicklung in neuerer
Zeit viel mit einander verglichen wurden sind, Deutschland und
Italien, haben vor kurzem große Feste gefeiert zur Erinnerung
an die Ereignisse, die vor einem Vierteljahrhundert ihre politische
Einigung herbeiführten. Aber wie verschieden waren doch die
Ereignisse hier und dort, wie verschieden das Verhältnis der beiderseitigen
Festgenosseu zu dem Inhalt der Feier! Die Italiener verdanken ihren Ein¬
heitsstaat abgesehen von den Fehlern, die Österreich bis zum Jahre 1866
machte, den Waffen ihrer französischen Bundesgenossen von 185V. Diese
konnte mau nun freilich bei einem Feste, das der eignen Nation gelten sollte,
nicht zu ihrem geschichtlichen Rechte kommen lassen. Aber die eigne, auf keinem
Schlachtfelde endgiltig erprobte Armee konnte doch auch uur im Hintergründe
Parade machen. So blieben für das patriotische Bedürfnis und zur mili¬
tärischen Schaustellung nur die wenigen Veteranen übrig, namentlich die in
Italien allezeit beliebten Garibaldianer mit ihrem theatralischen Aufputz. Dabei
konnte man denn weiter auch in Denkmälern und Reden die Staatsmänner,
die Dichter und Patrioten wieder aufleben lassen. Sie hatten ja freilich das
einige Italien nicht wirklich gemacht, aber es war doch tröstlich, in der Er¬
innerung an sie der fremden Hilfe vergessen zu können. Anders bei uns in
Deutschland. Wir sahen eine Reihe einfacher, wesentlich militärischer Feste,
wie sie zu der mit eigner Kraft vollbrachten That paßten. Man suchte dabei
alle, die aus jenen Tagen noch am Leben sind, zu ehren, jeden nach seinem
Verdienst, und in diesem Wunsche waren alle einig, vom Kaiser bis zum
geringsten Mann in seinem Krieger- oder Bezirksverein. Das alles galt den
Ereignissen vos 1870 und 1871. Auch auf das Jahr 1866, selbst auf 1864
siel dabei mit Genugthuung mancher vergleichende Blick. Weiter aber ist
man nicht in seinen Erinnerungen zurückgegangen. Die Reihe der Jahre rück¬
wärts bis 1848 fiel — wiederum anders als in Italien — diesmal bei
uns aus.

Zu rechter Zeit scheint darum gerade jetzt ein neues Buch uns die ver¬
gessenen Jahre ins Gedächtnis zu rufen, ein stattlicher Band mit einer Aus¬
wahl von Vorlagen, Reden und Beschlüssen aus dem ersten deutschen Parlament


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[0137] [Abbildung] Die Redner der Paulskirche wei Länder, die nach ihrer staatlichen Entwicklung in neuerer Zeit viel mit einander verglichen wurden sind, Deutschland und Italien, haben vor kurzem große Feste gefeiert zur Erinnerung an die Ereignisse, die vor einem Vierteljahrhundert ihre politische Einigung herbeiführten. Aber wie verschieden waren doch die Ereignisse hier und dort, wie verschieden das Verhältnis der beiderseitigen Festgenosseu zu dem Inhalt der Feier! Die Italiener verdanken ihren Ein¬ heitsstaat abgesehen von den Fehlern, die Österreich bis zum Jahre 1866 machte, den Waffen ihrer französischen Bundesgenossen von 185V. Diese konnte mau nun freilich bei einem Feste, das der eignen Nation gelten sollte, nicht zu ihrem geschichtlichen Rechte kommen lassen. Aber die eigne, auf keinem Schlachtfelde endgiltig erprobte Armee konnte doch auch uur im Hintergründe Parade machen. So blieben für das patriotische Bedürfnis und zur mili¬ tärischen Schaustellung nur die wenigen Veteranen übrig, namentlich die in Italien allezeit beliebten Garibaldianer mit ihrem theatralischen Aufputz. Dabei konnte man denn weiter auch in Denkmälern und Reden die Staatsmänner, die Dichter und Patrioten wieder aufleben lassen. Sie hatten ja freilich das einige Italien nicht wirklich gemacht, aber es war doch tröstlich, in der Er¬ innerung an sie der fremden Hilfe vergessen zu können. Anders bei uns in Deutschland. Wir sahen eine Reihe einfacher, wesentlich militärischer Feste, wie sie zu der mit eigner Kraft vollbrachten That paßten. Man suchte dabei alle, die aus jenen Tagen noch am Leben sind, zu ehren, jeden nach seinem Verdienst, und in diesem Wunsche waren alle einig, vom Kaiser bis zum geringsten Mann in seinem Krieger- oder Bezirksverein. Das alles galt den Ereignissen vos 1870 und 1871. Auch auf das Jahr 1866, selbst auf 1864 siel dabei mit Genugthuung mancher vergleichende Blick. Weiter aber ist man nicht in seinen Erinnerungen zurückgegangen. Die Reihe der Jahre rück¬ wärts bis 1848 fiel — wiederum anders als in Italien — diesmal bei uns aus. Zu rechter Zeit scheint darum gerade jetzt ein neues Buch uns die ver¬ gessenen Jahre ins Gedächtnis zu rufen, ein stattlicher Band mit einer Aus¬ wahl von Vorlagen, Reden und Beschlüssen aus dem ersten deutschen Parlament Grenzbvw» IV IWö , 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/137>, abgerufen am 24.07.2024.