Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Lage des Hcmdivelks

schiedner Gewerbe zu einer Unternehmung, die die schon frühe, in den letzten
zwanzig Jahren natürlich beschleunigte Entwicklung der Möbelfabrik zum De-
kvrationsgeschäft bewirkt hat, und die immer mehr Gewerbe und immer mehr
Meister, die heute noch zu Hause für die Fabrik arbeiten, in der Hand des
kapitalkräftigen Kaufmanns vereinigt."

Wir sehen hier schon, daß es weder die Maschine allein, noch das Kapital
allein ist, noch beides zusammen allein, sondern der ganze gesellschaftliche Zu¬
stand, was in manchen Gewerben den Kleinbetrieb einengt und bedrängt,
wollen aber, ehe wir diesen Gedanken weiter verfolgen, unsre Übersicht, die
übrigens nicht auf Vollständigkeit Anspruch macht, vollenden. Bei den Bau-
gewerben im engern Sinne: Zimmerei, Maurerei und Dachdeckerei, steht die
Sache so, daß sie ihrer Natur nach niemals ganz klein betrieben werden konnten,
andrerseits aber auch aus ähnlichen Gründen wie die Anbringegewerbe nicht
leicht über einen müßigen Umfang hinauswachsen können. Wenn heute solche
Meister entweder in Abhängigkeit von Großnnternehmern geraten oder selbst
zu Großunternehmern werden, so hat auch das mit der Maschine gar nichts
zu thun und hängt mit der Übermacht des Großkapitals nur mittelbar zu¬
sammen. Ursache des Wandels ist die Anhäufung der Bevölkerung in Städten
und Industriebezirken und die daraus folgende Verdrängung des Eigenhauses
durch die Mietkaserne. Bauherr ist nicht mehr, wie ehedem, der zukünftige
Bewohner des Hauses, sondern der Bauspekulant, der Mietkasernen und Eigcn-
häuser (Villen) auf Vorrat baut. Wird der Maurer oder Zimmermeister reich,
so wird er es nicht als Handwerker, sondern als Bauunternehmer. Übrigens
verliert das Zimmerhandwerk viel von seinem alten Besitz durch die moderne
Dachform, durch die eisernen und steinernen Treppen und die sonstigen Eisen-
kvnstruktivnen. Vom Dachdeckergcwerbe in Frankfurt a. M. schreibt Philipp
Stein, daß sein Fortbestand als mittlerer und kleiner Handwerksbetrieb gesichert
sei; ein bedeutendes Anlagekapital sei nicht nötig, der Großbetrieb nicht vorteil¬
hafter als der Mittelbetrieb, und da der Dqchdecker weder Maschinen anwende"
noch Waren für den Markt Produziren könne, sondern nur für den Kunden
arbeite, und zwar in einem Fach, das einen hohen Grad von Geschicklichkeit
und Übung erfordre, so sei damit seine Natur als die eines handwerksmäßigen
Betriebs unabänderlich gegeben.

Wir kommen nun zu eiuer Gruppe von Handwerken, denen die Fabrik
nicht, wie der Schlosserei und Klempnerei, bloß einzelne Produktionszweige,
sondern die ganze Produktion wegzunehmen droht, ohne daß sich ihnen wie
jenen andern, nur in einem Teile ihres Bereichs geschädigten Gewerben, ein
Ersatz darböte; das siud die Bekleidungsgewerbe. Die Hutmacherei ist schon
kurz abgefertigt worden. Von den beiden größten Bekleidungsgewerben ist
die Schufterei mehr bedroht als die Schneiderei, weil in ihr die Maschine
eine größere Rolle spielt, und weil ihre Erzeugnisse weniger mannichfach sind


Die Lage des Hcmdivelks

schiedner Gewerbe zu einer Unternehmung, die die schon frühe, in den letzten
zwanzig Jahren natürlich beschleunigte Entwicklung der Möbelfabrik zum De-
kvrationsgeschäft bewirkt hat, und die immer mehr Gewerbe und immer mehr
Meister, die heute noch zu Hause für die Fabrik arbeiten, in der Hand des
kapitalkräftigen Kaufmanns vereinigt."

Wir sehen hier schon, daß es weder die Maschine allein, noch das Kapital
allein ist, noch beides zusammen allein, sondern der ganze gesellschaftliche Zu¬
stand, was in manchen Gewerben den Kleinbetrieb einengt und bedrängt,
wollen aber, ehe wir diesen Gedanken weiter verfolgen, unsre Übersicht, die
übrigens nicht auf Vollständigkeit Anspruch macht, vollenden. Bei den Bau-
gewerben im engern Sinne: Zimmerei, Maurerei und Dachdeckerei, steht die
Sache so, daß sie ihrer Natur nach niemals ganz klein betrieben werden konnten,
andrerseits aber auch aus ähnlichen Gründen wie die Anbringegewerbe nicht
leicht über einen müßigen Umfang hinauswachsen können. Wenn heute solche
Meister entweder in Abhängigkeit von Großnnternehmern geraten oder selbst
zu Großunternehmern werden, so hat auch das mit der Maschine gar nichts
zu thun und hängt mit der Übermacht des Großkapitals nur mittelbar zu¬
sammen. Ursache des Wandels ist die Anhäufung der Bevölkerung in Städten
und Industriebezirken und die daraus folgende Verdrängung des Eigenhauses
durch die Mietkaserne. Bauherr ist nicht mehr, wie ehedem, der zukünftige
Bewohner des Hauses, sondern der Bauspekulant, der Mietkasernen und Eigcn-
häuser (Villen) auf Vorrat baut. Wird der Maurer oder Zimmermeister reich,
so wird er es nicht als Handwerker, sondern als Bauunternehmer. Übrigens
verliert das Zimmerhandwerk viel von seinem alten Besitz durch die moderne
Dachform, durch die eisernen und steinernen Treppen und die sonstigen Eisen-
kvnstruktivnen. Vom Dachdeckergcwerbe in Frankfurt a. M. schreibt Philipp
Stein, daß sein Fortbestand als mittlerer und kleiner Handwerksbetrieb gesichert
sei; ein bedeutendes Anlagekapital sei nicht nötig, der Großbetrieb nicht vorteil¬
hafter als der Mittelbetrieb, und da der Dqchdecker weder Maschinen anwende»
noch Waren für den Markt Produziren könne, sondern nur für den Kunden
arbeite, und zwar in einem Fach, das einen hohen Grad von Geschicklichkeit
und Übung erfordre, so sei damit seine Natur als die eines handwerksmäßigen
Betriebs unabänderlich gegeben.

Wir kommen nun zu eiuer Gruppe von Handwerken, denen die Fabrik
nicht, wie der Schlosserei und Klempnerei, bloß einzelne Produktionszweige,
sondern die ganze Produktion wegzunehmen droht, ohne daß sich ihnen wie
jenen andern, nur in einem Teile ihres Bereichs geschädigten Gewerben, ein
Ersatz darböte; das siud die Bekleidungsgewerbe. Die Hutmacherei ist schon
kurz abgefertigt worden. Von den beiden größten Bekleidungsgewerben ist
die Schufterei mehr bedroht als die Schneiderei, weil in ihr die Maschine
eine größere Rolle spielt, und weil ihre Erzeugnisse weniger mannichfach sind


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221107"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Lage des Hcmdivelks</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_411" prev="#ID_410"> schiedner Gewerbe zu einer Unternehmung, die die schon frühe, in den letzten<lb/>
zwanzig Jahren natürlich beschleunigte Entwicklung der Möbelfabrik zum De-<lb/>
kvrationsgeschäft bewirkt hat, und die immer mehr Gewerbe und immer mehr<lb/>
Meister, die heute noch zu Hause für die Fabrik arbeiten, in der Hand des<lb/>
kapitalkräftigen Kaufmanns vereinigt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_412"> Wir sehen hier schon, daß es weder die Maschine allein, noch das Kapital<lb/>
allein ist, noch beides zusammen allein, sondern der ganze gesellschaftliche Zu¬<lb/>
stand, was in manchen Gewerben den Kleinbetrieb einengt und bedrängt,<lb/>
wollen aber, ehe wir diesen Gedanken weiter verfolgen, unsre Übersicht, die<lb/>
übrigens nicht auf Vollständigkeit Anspruch macht, vollenden. Bei den Bau-<lb/>
gewerben im engern Sinne: Zimmerei, Maurerei und Dachdeckerei, steht die<lb/>
Sache so, daß sie ihrer Natur nach niemals ganz klein betrieben werden konnten,<lb/>
andrerseits aber auch aus ähnlichen Gründen wie die Anbringegewerbe nicht<lb/>
leicht über einen müßigen Umfang hinauswachsen können. Wenn heute solche<lb/>
Meister entweder in Abhängigkeit von Großnnternehmern geraten oder selbst<lb/>
zu Großunternehmern werden, so hat auch das mit der Maschine gar nichts<lb/>
zu thun und hängt mit der Übermacht des Großkapitals nur mittelbar zu¬<lb/>
sammen. Ursache des Wandels ist die Anhäufung der Bevölkerung in Städten<lb/>
und Industriebezirken und die daraus folgende Verdrängung des Eigenhauses<lb/>
durch die Mietkaserne. Bauherr ist nicht mehr, wie ehedem, der zukünftige<lb/>
Bewohner des Hauses, sondern der Bauspekulant, der Mietkasernen und Eigcn-<lb/>
häuser (Villen) auf Vorrat baut. Wird der Maurer oder Zimmermeister reich,<lb/>
so wird er es nicht als Handwerker, sondern als Bauunternehmer. Übrigens<lb/>
verliert das Zimmerhandwerk viel von seinem alten Besitz durch die moderne<lb/>
Dachform, durch die eisernen und steinernen Treppen und die sonstigen Eisen-<lb/>
kvnstruktivnen. Vom Dachdeckergcwerbe in Frankfurt a. M. schreibt Philipp<lb/>
Stein, daß sein Fortbestand als mittlerer und kleiner Handwerksbetrieb gesichert<lb/>
sei; ein bedeutendes Anlagekapital sei nicht nötig, der Großbetrieb nicht vorteil¬<lb/>
hafter als der Mittelbetrieb, und da der Dqchdecker weder Maschinen anwende»<lb/>
noch Waren für den Markt Produziren könne, sondern nur für den Kunden<lb/>
arbeite, und zwar in einem Fach, das einen hohen Grad von Geschicklichkeit<lb/>
und Übung erfordre, so sei damit seine Natur als die eines handwerksmäßigen<lb/>
Betriebs unabänderlich gegeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_413" next="#ID_414"> Wir kommen nun zu eiuer Gruppe von Handwerken, denen die Fabrik<lb/>
nicht, wie der Schlosserei und Klempnerei, bloß einzelne Produktionszweige,<lb/>
sondern die ganze Produktion wegzunehmen droht, ohne daß sich ihnen wie<lb/>
jenen andern, nur in einem Teile ihres Bereichs geschädigten Gewerben, ein<lb/>
Ersatz darböte; das siud die Bekleidungsgewerbe. Die Hutmacherei ist schon<lb/>
kurz abgefertigt worden. Von den beiden größten Bekleidungsgewerben ist<lb/>
die Schufterei mehr bedroht als die Schneiderei, weil in ihr die Maschine<lb/>
eine größere Rolle spielt, und weil ihre Erzeugnisse weniger mannichfach sind</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0131] Die Lage des Hcmdivelks schiedner Gewerbe zu einer Unternehmung, die die schon frühe, in den letzten zwanzig Jahren natürlich beschleunigte Entwicklung der Möbelfabrik zum De- kvrationsgeschäft bewirkt hat, und die immer mehr Gewerbe und immer mehr Meister, die heute noch zu Hause für die Fabrik arbeiten, in der Hand des kapitalkräftigen Kaufmanns vereinigt." Wir sehen hier schon, daß es weder die Maschine allein, noch das Kapital allein ist, noch beides zusammen allein, sondern der ganze gesellschaftliche Zu¬ stand, was in manchen Gewerben den Kleinbetrieb einengt und bedrängt, wollen aber, ehe wir diesen Gedanken weiter verfolgen, unsre Übersicht, die übrigens nicht auf Vollständigkeit Anspruch macht, vollenden. Bei den Bau- gewerben im engern Sinne: Zimmerei, Maurerei und Dachdeckerei, steht die Sache so, daß sie ihrer Natur nach niemals ganz klein betrieben werden konnten, andrerseits aber auch aus ähnlichen Gründen wie die Anbringegewerbe nicht leicht über einen müßigen Umfang hinauswachsen können. Wenn heute solche Meister entweder in Abhängigkeit von Großnnternehmern geraten oder selbst zu Großunternehmern werden, so hat auch das mit der Maschine gar nichts zu thun und hängt mit der Übermacht des Großkapitals nur mittelbar zu¬ sammen. Ursache des Wandels ist die Anhäufung der Bevölkerung in Städten und Industriebezirken und die daraus folgende Verdrängung des Eigenhauses durch die Mietkaserne. Bauherr ist nicht mehr, wie ehedem, der zukünftige Bewohner des Hauses, sondern der Bauspekulant, der Mietkasernen und Eigcn- häuser (Villen) auf Vorrat baut. Wird der Maurer oder Zimmermeister reich, so wird er es nicht als Handwerker, sondern als Bauunternehmer. Übrigens verliert das Zimmerhandwerk viel von seinem alten Besitz durch die moderne Dachform, durch die eisernen und steinernen Treppen und die sonstigen Eisen- kvnstruktivnen. Vom Dachdeckergcwerbe in Frankfurt a. M. schreibt Philipp Stein, daß sein Fortbestand als mittlerer und kleiner Handwerksbetrieb gesichert sei; ein bedeutendes Anlagekapital sei nicht nötig, der Großbetrieb nicht vorteil¬ hafter als der Mittelbetrieb, und da der Dqchdecker weder Maschinen anwende» noch Waren für den Markt Produziren könne, sondern nur für den Kunden arbeite, und zwar in einem Fach, das einen hohen Grad von Geschicklichkeit und Übung erfordre, so sei damit seine Natur als die eines handwerksmäßigen Betriebs unabänderlich gegeben. Wir kommen nun zu eiuer Gruppe von Handwerken, denen die Fabrik nicht, wie der Schlosserei und Klempnerei, bloß einzelne Produktionszweige, sondern die ganze Produktion wegzunehmen droht, ohne daß sich ihnen wie jenen andern, nur in einem Teile ihres Bereichs geschädigten Gewerben, ein Ersatz darböte; das siud die Bekleidungsgewerbe. Die Hutmacherei ist schon kurz abgefertigt worden. Von den beiden größten Bekleidungsgewerben ist die Schufterei mehr bedroht als die Schneiderei, weil in ihr die Maschine eine größere Rolle spielt, und weil ihre Erzeugnisse weniger mannichfach sind

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/131
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/131>, abgerufen am 24.07.2024.