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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Lage des Handwerks

überall nachhelfen, z. B. uachhobeln, und wahrend man zum Zerteilen aller¬
dings fast durchweg die Maschine benutzt, bleibt alles Zusammenfügen der Hand
vorbehalten. Und auch davon ist keine Rede, daß der eine Arbeiter etwa bloß
Stuhlbeine, ein zweiter bloß Lehnen machte u. s. w,, ein letzter zusammensetzte.
In der Beschreibung eines Mainzer Großbetriebs, den or, Richard Hirsch giebt,
heißt es (III, 311) nach Erwähnung der Maschincnanlagen: "Von diesen im
Parterre befindlichen Räumen geht es zur Tischlerwerkstätte. Das Bild ist,
abgesehen von dem größern Maßstabe, dasselbe wie beim Meister, der nur
einen oder zwei Gesellen beschäftigt. Hobelbank steht neben Hobelbank und
begrenzt den Raum, der jedem zur Verfügung steht. Hier arbeitet der Schreiner
Wochen- oder monatelang an demselben Stück vom ersten Aufriß,*) bis der
Schrank oder das Büffet fertig vor ihm steht. Nur hie und da verläßt er
seinen Platz, um sich unten im Parterre von den Maschinen seine Stücke
kehlen, fräsen oder schweifen zu lassen oder die zu drehenden Teile an die
Drechslerwerkstätte abzugeben. Höchstens kleine technische Verbesserungen, wie
etwa eine solche zum Leimkochen, oder die größern und Hellem Räume erinnern
an die Fabrik; sonst ist Schreinergeselle neben Schreinergesclle für sich einzeln
beschäftigt; etwa je zwanzig stehen unter Aufsicht eines Werkführers. Wie es
in der Schreinerwerkstatt beim altgewohnten Bilde geblieben ist, so beim
Polirer, der die weißen Stücke fertig macht (um sie in den Ausstellungs¬
raum oder zum Versand abzuliefern), oder in den Nebenräumen, wo Bild¬
hauer und Tapezierer, Vergolder und Schlosser untergebracht sind, oder wo
die Mädchen die schweren Seiden- und Sammetstoffe dnrch die Nähmaschine
laufen lassen. Es hat also hier derselbe Vorgang in der Schreinerei statt¬
gefunden, wie ihn Marx (Kapital I, 300) für die Kutschenfabrikation beschreibt,
nur daß an Stelle der Kutsche die Zimmereinrichtung als Produktivnseinheit
gesetzt ist. Nirgends ein andrer Anblick als in den kleinen Werkstätten der
räumlich vereinigten Gewerbe, nur daß vielleicht in der Bildhanerwerkstätte
eine Bildhauermaschine steht, die aber bis jetzt ohne jede Bedeutung geblieben
ist. Eine der Hauptursachen, der auf untern Gebieten der Großbetrieb sein
siegreiches Vordringen verdankt, die Arbeitszerlegung , hat in der Mainzer
Möbelfabrik keinen Platz gefunden. Es muß ein technisch ausgezeichnetes Ar¬
beitermaterial sein, das hier verwendet wird, denn wenn auch manche Leute
besonders ans Büffels, andre auf Schlafzimmereinrichtungen eingearbeitet sind,
so findet doch an ein und demselben Stück keine Zerlegung der Arbeit statt;
die Einheitlichkeit und künstlerisch individuelle Gestaltung des Möbels wird
gewahrt. Das Charakteristische ist, wie schon betont, die Vereinigung ver-



Vvu den Zeichnungen wird gesagt: "Aus dem Bureau der größten Firma werden damit
siens oder mehr Personen beschäftigt, die ihre Ausbildung teilweise auf dem Polytechnikum
vollendet haben, und von denen mancher auch den Namen Künstler beanspruchen kann."
Die Lage des Handwerks

überall nachhelfen, z. B. uachhobeln, und wahrend man zum Zerteilen aller¬
dings fast durchweg die Maschine benutzt, bleibt alles Zusammenfügen der Hand
vorbehalten. Und auch davon ist keine Rede, daß der eine Arbeiter etwa bloß
Stuhlbeine, ein zweiter bloß Lehnen machte u. s. w,, ein letzter zusammensetzte.
In der Beschreibung eines Mainzer Großbetriebs, den or, Richard Hirsch giebt,
heißt es (III, 311) nach Erwähnung der Maschincnanlagen: „Von diesen im
Parterre befindlichen Räumen geht es zur Tischlerwerkstätte. Das Bild ist,
abgesehen von dem größern Maßstabe, dasselbe wie beim Meister, der nur
einen oder zwei Gesellen beschäftigt. Hobelbank steht neben Hobelbank und
begrenzt den Raum, der jedem zur Verfügung steht. Hier arbeitet der Schreiner
Wochen- oder monatelang an demselben Stück vom ersten Aufriß,*) bis der
Schrank oder das Büffet fertig vor ihm steht. Nur hie und da verläßt er
seinen Platz, um sich unten im Parterre von den Maschinen seine Stücke
kehlen, fräsen oder schweifen zu lassen oder die zu drehenden Teile an die
Drechslerwerkstätte abzugeben. Höchstens kleine technische Verbesserungen, wie
etwa eine solche zum Leimkochen, oder die größern und Hellem Räume erinnern
an die Fabrik; sonst ist Schreinergeselle neben Schreinergesclle für sich einzeln
beschäftigt; etwa je zwanzig stehen unter Aufsicht eines Werkführers. Wie es
in der Schreinerwerkstatt beim altgewohnten Bilde geblieben ist, so beim
Polirer, der die weißen Stücke fertig macht (um sie in den Ausstellungs¬
raum oder zum Versand abzuliefern), oder in den Nebenräumen, wo Bild¬
hauer und Tapezierer, Vergolder und Schlosser untergebracht sind, oder wo
die Mädchen die schweren Seiden- und Sammetstoffe dnrch die Nähmaschine
laufen lassen. Es hat also hier derselbe Vorgang in der Schreinerei statt¬
gefunden, wie ihn Marx (Kapital I, 300) für die Kutschenfabrikation beschreibt,
nur daß an Stelle der Kutsche die Zimmereinrichtung als Produktivnseinheit
gesetzt ist. Nirgends ein andrer Anblick als in den kleinen Werkstätten der
räumlich vereinigten Gewerbe, nur daß vielleicht in der Bildhanerwerkstätte
eine Bildhauermaschine steht, die aber bis jetzt ohne jede Bedeutung geblieben
ist. Eine der Hauptursachen, der auf untern Gebieten der Großbetrieb sein
siegreiches Vordringen verdankt, die Arbeitszerlegung , hat in der Mainzer
Möbelfabrik keinen Platz gefunden. Es muß ein technisch ausgezeichnetes Ar¬
beitermaterial sein, das hier verwendet wird, denn wenn auch manche Leute
besonders ans Büffels, andre auf Schlafzimmereinrichtungen eingearbeitet sind,
so findet doch an ein und demselben Stück keine Zerlegung der Arbeit statt;
die Einheitlichkeit und künstlerisch individuelle Gestaltung des Möbels wird
gewahrt. Das Charakteristische ist, wie schon betont, die Vereinigung ver-



Vvu den Zeichnungen wird gesagt: „Aus dem Bureau der größten Firma werden damit
siens oder mehr Personen beschäftigt, die ihre Ausbildung teilweise auf dem Polytechnikum
vollendet haben, und von denen mancher auch den Namen Künstler beanspruchen kann."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/130>, abgerufen am 24.07.2024.