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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Änderung der Rechtsanwaltsordnnng

Annahme, daß diese durch eine staatliche Ernennung gefährdet werde, wohl
theoretisch richtig; aber die praktische Erfahrung hat dies nicht bestätigt. In
Preußen waren die Rechtsanwälte bis 1379, zumal da sie ausnahmlos das
Staatsamt eines Notars bekleideten, Beamte, und nach der Rechtsprechung des
preußischen Obertribunals enthielt die Teilnahme eines Urwalds an regierungs¬
feindlichen politischen Bestrebungen eine Verletzung seiner Verufspflichten.
Dennoch sind gerade ans dem Anwaltsstande in der preußischen Konfliktszeit
(1862 bis 1866) und in den spätern kirchenpolitischen Kämpfen zahlreiche
Führer und Organisatoren der Oppositionspartei hervorgegangen, und man hat
nicht gehört, daß Anwälte wegen ihrer Beamtcneigenschaft ihre freie Über¬
zeugung zu äußern Anstand genommen Hütten. Auf dein entgegengesetzten
Standpunkt müßte man die Trennung der Nechtsanwaltschaft von dem Staats¬
amt des Notars als unerläßlich bezeichnen, da die Verbindung der beiden Be¬
rufe eine Abhängigkeit der Rechtsanwälte von der Justizverwaltung notwendig
mit sich bringt.

Daß man es bei Feststellung der Rechtsanwaltsordnnng für selbstverständ¬
lich hielt, jede Beschränkung in der Zahl der Anwälte zu unterlassen, will
gar nichts sagen, man hielt damals anch die Einführung der "vollen Münd¬
lichkeit" im Zivilprozeß und die Abschaffung der Berufung in Strafsachen für
selbstverständlich, und doch haben sich diese Einrichtungen sehr bald nach ihrer
Einführung als verfehlt erwiesen, und man ist im Begriff, sie ans dem Wege
der Gesetzgebung zu ändern. Die Strömung, die damals in juristischen Kreisen
herrschte, ist uns vielfach heute unverständlich.

Am wenigsten kann der Ansicht Wilmowskis beigestimmt werden, daß eine
zu große Anzahl von Rechtsanwälten für die Rechtspflege unschädlich sei. Die
preußische Allgemeine Gerichtsordnung von 1795 faßt die Sache anders auf,
sie will dasür sorgen, "daß durch eine zu große Vermehrung der Rechtsanwälte
und den daraus entstehenden Mangel hinlänglicher Subsistenz zu Erregung
und Unterhaltung der Streitsucht unter den Einwohnern, zu Betrügereien und
Unterschleifen und zu andern dergleichen unerlaubten Handlungen, wozu Nah-
rungslosigkeit und Not mannichfaltigen Reiz enthalten, kein Anlaß gegeben
werde." In der That genügt ein Blick in die Entscheidungen des Ehren¬
gerichtshofs, um zu erkennen, daß Not eine der wichtigsten Triebfedern zum
Verbrechen ist, und daß der freien Konkurrenz der "unlautere Wettbewerb" auf
dem Fuße folgt. Thatsächlich kann es doch nicht zweifelhaft sein, daß der
Anwalt, dem es der Staat überläßt, unter einer unbeschränkten Anzahl von
Konkurrenten sein Brot zu finden, seinen Beruf weniger würdevoll und we¬
niger gewissenhaft ausüben wird, als der, dem der Staat im Interesse der
Rechtspflege einen bestimmten Berufskreis zuweist. Giebt man dem Anwalt
den schrankenlosen Wettbewerb frei, so muß man auch gefaßt sein, daß alle
Schattenseiten des unlautern Wettbewerbs hervortreten werden zum Nachteil


Zur Änderung der Rechtsanwaltsordnnng

Annahme, daß diese durch eine staatliche Ernennung gefährdet werde, wohl
theoretisch richtig; aber die praktische Erfahrung hat dies nicht bestätigt. In
Preußen waren die Rechtsanwälte bis 1379, zumal da sie ausnahmlos das
Staatsamt eines Notars bekleideten, Beamte, und nach der Rechtsprechung des
preußischen Obertribunals enthielt die Teilnahme eines Urwalds an regierungs¬
feindlichen politischen Bestrebungen eine Verletzung seiner Verufspflichten.
Dennoch sind gerade ans dem Anwaltsstande in der preußischen Konfliktszeit
(1862 bis 1866) und in den spätern kirchenpolitischen Kämpfen zahlreiche
Führer und Organisatoren der Oppositionspartei hervorgegangen, und man hat
nicht gehört, daß Anwälte wegen ihrer Beamtcneigenschaft ihre freie Über¬
zeugung zu äußern Anstand genommen Hütten. Auf dein entgegengesetzten
Standpunkt müßte man die Trennung der Nechtsanwaltschaft von dem Staats¬
amt des Notars als unerläßlich bezeichnen, da die Verbindung der beiden Be¬
rufe eine Abhängigkeit der Rechtsanwälte von der Justizverwaltung notwendig
mit sich bringt.

Daß man es bei Feststellung der Rechtsanwaltsordnnng für selbstverständ¬
lich hielt, jede Beschränkung in der Zahl der Anwälte zu unterlassen, will
gar nichts sagen, man hielt damals anch die Einführung der „vollen Münd¬
lichkeit" im Zivilprozeß und die Abschaffung der Berufung in Strafsachen für
selbstverständlich, und doch haben sich diese Einrichtungen sehr bald nach ihrer
Einführung als verfehlt erwiesen, und man ist im Begriff, sie ans dem Wege
der Gesetzgebung zu ändern. Die Strömung, die damals in juristischen Kreisen
herrschte, ist uns vielfach heute unverständlich.

Am wenigsten kann der Ansicht Wilmowskis beigestimmt werden, daß eine
zu große Anzahl von Rechtsanwälten für die Rechtspflege unschädlich sei. Die
preußische Allgemeine Gerichtsordnung von 1795 faßt die Sache anders auf,
sie will dasür sorgen, „daß durch eine zu große Vermehrung der Rechtsanwälte
und den daraus entstehenden Mangel hinlänglicher Subsistenz zu Erregung
und Unterhaltung der Streitsucht unter den Einwohnern, zu Betrügereien und
Unterschleifen und zu andern dergleichen unerlaubten Handlungen, wozu Nah-
rungslosigkeit und Not mannichfaltigen Reiz enthalten, kein Anlaß gegeben
werde." In der That genügt ein Blick in die Entscheidungen des Ehren¬
gerichtshofs, um zu erkennen, daß Not eine der wichtigsten Triebfedern zum
Verbrechen ist, und daß der freien Konkurrenz der „unlautere Wettbewerb" auf
dem Fuße folgt. Thatsächlich kann es doch nicht zweifelhaft sein, daß der
Anwalt, dem es der Staat überläßt, unter einer unbeschränkten Anzahl von
Konkurrenten sein Brot zu finden, seinen Beruf weniger würdevoll und we¬
niger gewissenhaft ausüben wird, als der, dem der Staat im Interesse der
Rechtspflege einen bestimmten Berufskreis zuweist. Giebt man dem Anwalt
den schrankenlosen Wettbewerb frei, so muß man auch gefaßt sein, daß alle
Schattenseiten des unlautern Wettbewerbs hervortreten werden zum Nachteil


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[0122] Zur Änderung der Rechtsanwaltsordnnng Annahme, daß diese durch eine staatliche Ernennung gefährdet werde, wohl theoretisch richtig; aber die praktische Erfahrung hat dies nicht bestätigt. In Preußen waren die Rechtsanwälte bis 1379, zumal da sie ausnahmlos das Staatsamt eines Notars bekleideten, Beamte, und nach der Rechtsprechung des preußischen Obertribunals enthielt die Teilnahme eines Urwalds an regierungs¬ feindlichen politischen Bestrebungen eine Verletzung seiner Verufspflichten. Dennoch sind gerade ans dem Anwaltsstande in der preußischen Konfliktszeit (1862 bis 1866) und in den spätern kirchenpolitischen Kämpfen zahlreiche Führer und Organisatoren der Oppositionspartei hervorgegangen, und man hat nicht gehört, daß Anwälte wegen ihrer Beamtcneigenschaft ihre freie Über¬ zeugung zu äußern Anstand genommen Hütten. Auf dein entgegengesetzten Standpunkt müßte man die Trennung der Nechtsanwaltschaft von dem Staats¬ amt des Notars als unerläßlich bezeichnen, da die Verbindung der beiden Be¬ rufe eine Abhängigkeit der Rechtsanwälte von der Justizverwaltung notwendig mit sich bringt. Daß man es bei Feststellung der Rechtsanwaltsordnnng für selbstverständ¬ lich hielt, jede Beschränkung in der Zahl der Anwälte zu unterlassen, will gar nichts sagen, man hielt damals anch die Einführung der „vollen Münd¬ lichkeit" im Zivilprozeß und die Abschaffung der Berufung in Strafsachen für selbstverständlich, und doch haben sich diese Einrichtungen sehr bald nach ihrer Einführung als verfehlt erwiesen, und man ist im Begriff, sie ans dem Wege der Gesetzgebung zu ändern. Die Strömung, die damals in juristischen Kreisen herrschte, ist uns vielfach heute unverständlich. Am wenigsten kann der Ansicht Wilmowskis beigestimmt werden, daß eine zu große Anzahl von Rechtsanwälten für die Rechtspflege unschädlich sei. Die preußische Allgemeine Gerichtsordnung von 1795 faßt die Sache anders auf, sie will dasür sorgen, „daß durch eine zu große Vermehrung der Rechtsanwälte und den daraus entstehenden Mangel hinlänglicher Subsistenz zu Erregung und Unterhaltung der Streitsucht unter den Einwohnern, zu Betrügereien und Unterschleifen und zu andern dergleichen unerlaubten Handlungen, wozu Nah- rungslosigkeit und Not mannichfaltigen Reiz enthalten, kein Anlaß gegeben werde." In der That genügt ein Blick in die Entscheidungen des Ehren¬ gerichtshofs, um zu erkennen, daß Not eine der wichtigsten Triebfedern zum Verbrechen ist, und daß der freien Konkurrenz der „unlautere Wettbewerb" auf dem Fuße folgt. Thatsächlich kann es doch nicht zweifelhaft sein, daß der Anwalt, dem es der Staat überläßt, unter einer unbeschränkten Anzahl von Konkurrenten sein Brot zu finden, seinen Beruf weniger würdevoll und we¬ niger gewissenhaft ausüben wird, als der, dem der Staat im Interesse der Rechtspflege einen bestimmten Berufskreis zuweist. Giebt man dem Anwalt den schrankenlosen Wettbewerb frei, so muß man auch gefaßt sein, daß alle Schattenseiten des unlautern Wettbewerbs hervortreten werden zum Nachteil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/122>, abgerufen am 24.07.2024.