Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.Litteratur werden, thut man ihm bitter Unrecht. Gewiß war er kein dramatisches Genie Fachmännische Beiträge zur Volkswirtschaft und Sozialpolitik. Unter den uns seit längerer Zeit vorliegenden Schriften dieser Art gebührt der erste Greazboten IV 1394 80
Litteratur werden, thut man ihm bitter Unrecht. Gewiß war er kein dramatisches Genie Fachmännische Beiträge zur Volkswirtschaft und Sozialpolitik. Unter den uns seit längerer Zeit vorliegenden Schriften dieser Art gebührt der erste Greazboten IV 1394 80
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0641" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220967"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_2378" prev="#ID_2377"> werden, thut man ihm bitter Unrecht. Gewiß war er kein dramatisches Genie<lb/> wie Shakespeare oder selbst Schiller, gewiß stand er diesen Dichtern und noch<lb/> mehr Goethe an Weite und Freiheit des dichterischen und des menschlichen Stand¬<lb/> punkts nach. Aber mit seinem bekannten Ausspruche nach Goethe und Schiller,<lb/> wenn auch in gehörigem Abstände, komme doch er, giebt er nur eine gerechte Selbst¬<lb/> würdigung. . . . Ein solcher Dichter wird noch lange auf der Bühne leben, wenn<lb/> viele heut aktuelle Stücke längst vergessen sind. Er wird wohl nie die Popularität<lb/> eines Shakespeare oder Schiller erreichen; aber einige seiner Dramen werden<lb/> sicherlich mehr und mehr einen festen Platz in dem Spielplane jeder großen Bühne<lb/> sich erringen." Wir teilen Langes Anschauung nicht und müssen Heinrich von Kleists<lb/> gewaltige Phantasie und Naturkraft um so mehr über Grillparzers reichere Bildung<lb/> setzen, als in dieser Bildung nur allzu viel Unharmonisches und Eigensinniges mit<lb/> unterläuft. Aber bemerkenswert ist es immerhin, daß es diesmal kein Deutsch¬<lb/> österreicher, sondern ein Norddeutscher ist, der aus der eingehenden Beschäftigung<lb/> mit Grillparzer zu solchen Ergebnissen kommt.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Fachmännische Beiträge zur Volkswirtschaft und Sozialpolitik.</head><lb/> <p xml:id="ID_2379" next="#ID_2380"> Unter den uns seit längerer Zeit vorliegenden Schriften dieser Art gebührt der erste<lb/> Raug dem Buche: Entwicklung des deutschen Post- und Telegrapheu-<lb/> weseus in den letzten fünfundzwanzig Jahren. Von J. Jung, Kaiserlichen Post-<lb/> iuspektor. Mit 7 graphischen Tnfelu. Dritte, unveränderte Auflage. (Leipzig,<lb/> Duncker und Humblot, 1893.) In zwölf Hauptabschnitten werden uns die Ent¬<lb/> wicklung des Verkehrsgebiets und der staatsrechtlichen Grundlagen, die Organisation,<lb/> die Gesamtheit der Neueinrichtungen und Verkehrsverbesserungen, der Umfang des<lb/> Verkehrs, Bauthätigkeit und Finanzwesen der Post vorgeführt. Die Post gehört<lb/> ja zu den wenigen unter den modernen Einrichtungen, an denen jedermann Freude<lb/> hat, und wenn wir auf den graphischen Tafeln sehen, wie die den Fortschritt ver-<lb/> sinnlichenden Linien in den Himmel hinaufklettern, so finden wir darin nichts be¬<lb/> ängstigendes. Auch in diesem lichten Bilde, etwa im elften Abschnitt: Beamten¬<lb/> verhältnisse, dunkle Stellen zu entdecken, die der Verfasser übermalt haben mag,<lb/> wollen wir den Sozialdemokraten überlassen. — Dr. H. Grohmcinn, Major n. D.,<lb/> hat ein Schriftchen herausgegeben: Über den Nutzen statistischer, volkswirtschaft¬<lb/> licher und völkerrechtlicher Kenntnisse für den Berufsoffizier. (München,<lb/> I. Schweizer, 1894.) Er sagt u. a.: „Die Verwaltung befindet sich in den Händen<lb/> der Militärbeamten, die größtenteils Juristen sind und ihre Wirtschaftskenntnisse<lb/> als Nebenfach auf der Universität erlernt haben. Nun sind aber die Berufsoffiziere<lb/> in deu höhern Stellen Vorgesetzte der Verwaltungsbeamten, mithin müssen sie we¬<lb/> nigstens wirtschaftlichen Aufbau (so!) keimen, soll nicht ihre Stellung als Vorgesetzte<lb/> bloß eine disziplinare sein, und das ist doch nicht wünschenswert." Der Verfasser<lb/> entdeckt eine Menge interessanter Beziehungen zwischen Volkswirtschaft und Militär-<lb/> wesen, u. a.: „daß eine gewisse Stabilität der Heeresstärke die Produktion be¬<lb/> günstigen hilft." Hoffen wir, daß solche Studien nicht auf die Kreise der Herren a. D.<lb/> beschränkt bleiben! — Die Reform der Jnvaliditäts- und Altersversiche¬<lb/> rung (Mainz, I. Diemer, 1893) ist ein Beitrag zur Lösung einer Frage, die<lb/> wohl noch etliche Jahrzehnte lang brennen wird; ein Fachmann, der Direktor der<lb/> Hanseatischen Versicherungsanstalt, Hermann Gebhard, liefert ihn, ans eigner Er¬<lb/> fahrung schöpfend. Seine Verbesserungsvorschläge betreffen vorzugsweise die Ein¬<lb/> ziehung der Beiträge (die Marken hält er für unentbehrlich), die Ausdehnung der<lb/> Verhinderungspflicht und die Erhöhung der Leistungen. Bei dieser Gelegenheit</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Greazboten IV 1394 80</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0641]
Litteratur
werden, thut man ihm bitter Unrecht. Gewiß war er kein dramatisches Genie
wie Shakespeare oder selbst Schiller, gewiß stand er diesen Dichtern und noch
mehr Goethe an Weite und Freiheit des dichterischen und des menschlichen Stand¬
punkts nach. Aber mit seinem bekannten Ausspruche nach Goethe und Schiller,
wenn auch in gehörigem Abstände, komme doch er, giebt er nur eine gerechte Selbst¬
würdigung. . . . Ein solcher Dichter wird noch lange auf der Bühne leben, wenn
viele heut aktuelle Stücke längst vergessen sind. Er wird wohl nie die Popularität
eines Shakespeare oder Schiller erreichen; aber einige seiner Dramen werden
sicherlich mehr und mehr einen festen Platz in dem Spielplane jeder großen Bühne
sich erringen." Wir teilen Langes Anschauung nicht und müssen Heinrich von Kleists
gewaltige Phantasie und Naturkraft um so mehr über Grillparzers reichere Bildung
setzen, als in dieser Bildung nur allzu viel Unharmonisches und Eigensinniges mit
unterläuft. Aber bemerkenswert ist es immerhin, daß es diesmal kein Deutsch¬
österreicher, sondern ein Norddeutscher ist, der aus der eingehenden Beschäftigung
mit Grillparzer zu solchen Ergebnissen kommt.
Fachmännische Beiträge zur Volkswirtschaft und Sozialpolitik.
Unter den uns seit längerer Zeit vorliegenden Schriften dieser Art gebührt der erste
Raug dem Buche: Entwicklung des deutschen Post- und Telegrapheu-
weseus in den letzten fünfundzwanzig Jahren. Von J. Jung, Kaiserlichen Post-
iuspektor. Mit 7 graphischen Tnfelu. Dritte, unveränderte Auflage. (Leipzig,
Duncker und Humblot, 1893.) In zwölf Hauptabschnitten werden uns die Ent¬
wicklung des Verkehrsgebiets und der staatsrechtlichen Grundlagen, die Organisation,
die Gesamtheit der Neueinrichtungen und Verkehrsverbesserungen, der Umfang des
Verkehrs, Bauthätigkeit und Finanzwesen der Post vorgeführt. Die Post gehört
ja zu den wenigen unter den modernen Einrichtungen, an denen jedermann Freude
hat, und wenn wir auf den graphischen Tafeln sehen, wie die den Fortschritt ver-
sinnlichenden Linien in den Himmel hinaufklettern, so finden wir darin nichts be¬
ängstigendes. Auch in diesem lichten Bilde, etwa im elften Abschnitt: Beamten¬
verhältnisse, dunkle Stellen zu entdecken, die der Verfasser übermalt haben mag,
wollen wir den Sozialdemokraten überlassen. — Dr. H. Grohmcinn, Major n. D.,
hat ein Schriftchen herausgegeben: Über den Nutzen statistischer, volkswirtschaft¬
licher und völkerrechtlicher Kenntnisse für den Berufsoffizier. (München,
I. Schweizer, 1894.) Er sagt u. a.: „Die Verwaltung befindet sich in den Händen
der Militärbeamten, die größtenteils Juristen sind und ihre Wirtschaftskenntnisse
als Nebenfach auf der Universität erlernt haben. Nun sind aber die Berufsoffiziere
in deu höhern Stellen Vorgesetzte der Verwaltungsbeamten, mithin müssen sie we¬
nigstens wirtschaftlichen Aufbau (so!) keimen, soll nicht ihre Stellung als Vorgesetzte
bloß eine disziplinare sein, und das ist doch nicht wünschenswert." Der Verfasser
entdeckt eine Menge interessanter Beziehungen zwischen Volkswirtschaft und Militär-
wesen, u. a.: „daß eine gewisse Stabilität der Heeresstärke die Produktion be¬
günstigen hilft." Hoffen wir, daß solche Studien nicht auf die Kreise der Herren a. D.
beschränkt bleiben! — Die Reform der Jnvaliditäts- und Altersversiche¬
rung (Mainz, I. Diemer, 1893) ist ein Beitrag zur Lösung einer Frage, die
wohl noch etliche Jahrzehnte lang brennen wird; ein Fachmann, der Direktor der
Hanseatischen Versicherungsanstalt, Hermann Gebhard, liefert ihn, ans eigner Er¬
fahrung schöpfend. Seine Verbesserungsvorschläge betreffen vorzugsweise die Ein¬
ziehung der Beiträge (die Marken hält er für unentbehrlich), die Ausdehnung der
Verhinderungspflicht und die Erhöhung der Leistungen. Bei dieser Gelegenheit
Greazboten IV 1394 80
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