Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches medischen Gründen, die Sache gut für die Klerikal-Konservativen und schlecht fürs Das zu sagen, hätten wir uns nun eigentlich auch ersparen können, denn Maßgebliches und Unmaßgebliches medischen Gründen, die Sache gut für die Klerikal-Konservativen und schlecht fürs Das zu sagen, hätten wir uns nun eigentlich auch ersparen können, denn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0631" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220957"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2354" prev="#ID_2353"> medischen Gründen, die Sache gut für die Klerikal-Konservativen und schlecht fürs<lb/> Kartell; der Fall Stöcker hat jenen zu einer Kraftprobe gedient.</p><lb/> <p xml:id="ID_2355" next="#ID_2356"> Das zu sagen, hätten wir uns nun eigentlich auch ersparen können, denn<lb/> erstens wissen es die Leser ohnedies, und zweitens legen wir ja gar kein Gewicht<lb/> auf das Parteitreiben; wogen die Figuren auf dem politischen Schachbrett so oder<lb/> so stehen, sür Volk und Vaterland kommt gleich wenig heraus. Aber ein Um¬<lb/> stand ist für uns interessant: die „vornehmen" Organe beider Parteien werfen den<lb/> Gegnern täglich die gröbsten Schimpfwörter an den Kopf. Das ist schon öfter<lb/> dagewesen, hat aber die beiden „reichstreuen" Parteien niemals gehindert, bei den<lb/> nächsten Wahlen einander gegenseitig zu empfehle» und „Schulter an Schulter" gegen<lb/> die „Reichsfeinde" ins Feld zu ziehen: man beschimpft einander, aber man boy¬<lb/> rottet einander nicht, sondern verfährt nach dem bekannten unhöflichen Sprichwort.<lb/> Die Grenzboten haben niemals geschimpft, trotzdem hat man — glücklicherweise<lb/> ohne Erfolg — sie zu boykotten versucht, weil sie beide Parteien kritisiren, wobei<lb/> sie inhaltlich nichts andres gesagt haben, als was die Parteien selbst einander<lb/> gegenseitig zu sagen Pflegen, wie die Kreuzzeitung (Ur. 424) in ihrer Polemik<lb/> gegen unser Artikelchen: Cohn und Rosenberg ausdrücklich anerkennt. Woher der<lb/> Unterschied in der Behandlung? Nun: die Parteihäupter haben es nur mit ein¬<lb/> ander zu thun. Sie bilden zwei Gruppen, die der industriellen und die der land¬<lb/> wirtschaftlichen Großunternehmer, die zum Teil unvereinbare, zum Teil gemeinsame<lb/> Interessen bilden. Weil ihre Interessen teilweise entgegengesetzt sind, geraten sie<lb/> einander manchmal in die Haare, weil sie aber auch gemeinsame Interessen haben,<lb/> so ordnen sie, nachdem sie ihren Gefühlen Luft gemacht haben, dann wieder ihre<lb/> Frisur, wischen sich die Hände ab und gehen an die gemeinsame Arbeit, als ob<lb/> nichts vorgefallen wäre. Wir hingegen, die wir weder Ar und Halm noch Schlot<lb/> und Grube besitzen, wir wenden uns nicht an die Führer, sondern an die Truppen,<lb/> und suchen ihnen klar zu machen, daß sie sich andre Führer anzuschaffen oder die<lb/> alten Führer in eine andre Richtung zu drängen haben, und das können die Führer<lb/> natürlich nicht leicht verzeihen, mag es auch in der anständigsten und objektivster Weise<lb/> geschehen. Wir nehmen es der Masse der Gebildeten und mäßig Bemittelten nicht<lb/> übel, daß sie sich bisher teils zu den Schlotjuukeru, teils zu den wirklichen Junkern<lb/> gehalten haben, denn sie sind sozusagen in diese beiden Parteien hineingewachsen,<lb/> und deren Führern ist ihre Führerschaft sozusagen historisch angewachsen. Aber<lb/> wir sagen den Truppen: die Zeit, wo euer Interesse, das Interesse der großen<lb/> Masse, also des Vaterlands selbst, mit dem der Führer zusammenfiel, ist vorüber;<lb/> besinnt euch also auf euer eignes Interesse und laßt euch nicht immer bloß von<lb/> andern und für andre gebrauchen. Ist es schon thöricht, sich immer nnr für die<lb/> eignen Führer zu opfern, so ist es noch weit thörichter, wenn das Opfer den<lb/> Führern der Gegenpartei gebracht wird, wenn z. B. Nationalliberale in das Ge¬<lb/> schrei der Agrarier gegen die Handelsverträge einstimmen. Zwei Parteien, von<lb/> denen die eine die Freiheit und den Fortschritt, die andre die Autorität und den<lb/> bestehenden Zustand vertritt, sind dem Staate unentbehrlich, eben ihr Gegensatz<lb/> macht das Politische Leben aus. Aber wenn die Partei, die sich liberal nennt,<lb/> sür die Beamtenwillkür gegen die Volksrechte eintritt und aus dem Verfassungs¬<lb/> staate in den absoluten Polizeistaat znrückstrcbt, dann hat sie keine Dnseinsberech¬<lb/> tigung mehr; dann mögen ihre Führer einfach ins konservative Lager übergehen,<lb/> die Wählerschaft aber den Antisemiten, Demokraten und Sozialdemokraten über¬<lb/> lassen. Und wenn sie, anstatt so zu handeln, es machen wie eben jetzt die Wiener<lb/> „Deutschliberalcn," die bis zum letzten Ende an der Fiktion ihres Liberalismus</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0631]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
medischen Gründen, die Sache gut für die Klerikal-Konservativen und schlecht fürs
Kartell; der Fall Stöcker hat jenen zu einer Kraftprobe gedient.
Das zu sagen, hätten wir uns nun eigentlich auch ersparen können, denn
erstens wissen es die Leser ohnedies, und zweitens legen wir ja gar kein Gewicht
auf das Parteitreiben; wogen die Figuren auf dem politischen Schachbrett so oder
so stehen, sür Volk und Vaterland kommt gleich wenig heraus. Aber ein Um¬
stand ist für uns interessant: die „vornehmen" Organe beider Parteien werfen den
Gegnern täglich die gröbsten Schimpfwörter an den Kopf. Das ist schon öfter
dagewesen, hat aber die beiden „reichstreuen" Parteien niemals gehindert, bei den
nächsten Wahlen einander gegenseitig zu empfehle» und „Schulter an Schulter" gegen
die „Reichsfeinde" ins Feld zu ziehen: man beschimpft einander, aber man boy¬
rottet einander nicht, sondern verfährt nach dem bekannten unhöflichen Sprichwort.
Die Grenzboten haben niemals geschimpft, trotzdem hat man — glücklicherweise
ohne Erfolg — sie zu boykotten versucht, weil sie beide Parteien kritisiren, wobei
sie inhaltlich nichts andres gesagt haben, als was die Parteien selbst einander
gegenseitig zu sagen Pflegen, wie die Kreuzzeitung (Ur. 424) in ihrer Polemik
gegen unser Artikelchen: Cohn und Rosenberg ausdrücklich anerkennt. Woher der
Unterschied in der Behandlung? Nun: die Parteihäupter haben es nur mit ein¬
ander zu thun. Sie bilden zwei Gruppen, die der industriellen und die der land¬
wirtschaftlichen Großunternehmer, die zum Teil unvereinbare, zum Teil gemeinsame
Interessen bilden. Weil ihre Interessen teilweise entgegengesetzt sind, geraten sie
einander manchmal in die Haare, weil sie aber auch gemeinsame Interessen haben,
so ordnen sie, nachdem sie ihren Gefühlen Luft gemacht haben, dann wieder ihre
Frisur, wischen sich die Hände ab und gehen an die gemeinsame Arbeit, als ob
nichts vorgefallen wäre. Wir hingegen, die wir weder Ar und Halm noch Schlot
und Grube besitzen, wir wenden uns nicht an die Führer, sondern an die Truppen,
und suchen ihnen klar zu machen, daß sie sich andre Führer anzuschaffen oder die
alten Führer in eine andre Richtung zu drängen haben, und das können die Führer
natürlich nicht leicht verzeihen, mag es auch in der anständigsten und objektivster Weise
geschehen. Wir nehmen es der Masse der Gebildeten und mäßig Bemittelten nicht
übel, daß sie sich bisher teils zu den Schlotjuukeru, teils zu den wirklichen Junkern
gehalten haben, denn sie sind sozusagen in diese beiden Parteien hineingewachsen,
und deren Führern ist ihre Führerschaft sozusagen historisch angewachsen. Aber
wir sagen den Truppen: die Zeit, wo euer Interesse, das Interesse der großen
Masse, also des Vaterlands selbst, mit dem der Führer zusammenfiel, ist vorüber;
besinnt euch also auf euer eignes Interesse und laßt euch nicht immer bloß von
andern und für andre gebrauchen. Ist es schon thöricht, sich immer nnr für die
eignen Führer zu opfern, so ist es noch weit thörichter, wenn das Opfer den
Führern der Gegenpartei gebracht wird, wenn z. B. Nationalliberale in das Ge¬
schrei der Agrarier gegen die Handelsverträge einstimmen. Zwei Parteien, von
denen die eine die Freiheit und den Fortschritt, die andre die Autorität und den
bestehenden Zustand vertritt, sind dem Staate unentbehrlich, eben ihr Gegensatz
macht das Politische Leben aus. Aber wenn die Partei, die sich liberal nennt,
sür die Beamtenwillkür gegen die Volksrechte eintritt und aus dem Verfassungs¬
staate in den absoluten Polizeistaat znrückstrcbt, dann hat sie keine Dnseinsberech¬
tigung mehr; dann mögen ihre Führer einfach ins konservative Lager übergehen,
die Wählerschaft aber den Antisemiten, Demokraten und Sozialdemokraten über¬
lassen. Und wenn sie, anstatt so zu handeln, es machen wie eben jetzt die Wiener
„Deutschliberalcn," die bis zum letzten Ende an der Fiktion ihres Liberalismus
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